Ruth - Page 26

Bild von Lou Andreas-Salomé
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Augen mit aufblitzendem Verständnis zu ihm aufgeschlagen. Groß, ungeduldig hingen sie an seinen Lippen. Ihre ganze Seele war in diesen Augen.

»Und da –?« fragte sie atemlos.

»Und da,« fuhr er fort, »fand er eines Tages unter seinen Kohl- und Kartoffelstauden eine fremdartige kleine Pflanze. Irgendwoher mochte ihr Samenkörnchen in diesen Boden gefallen sein. Es war nur ein unscheinbarer, zarter Trieb, dem man noch nicht ansehen konnte, was drinsteckte. Aber vielleicht konnte er sich einmal zum Bäumchen auswachsen. Und wenn das gelang, – wenn ein guter Gärtner an diesem Bäumchen unablässig seine Dienste tat, und sich das Bäumchen willig behandeln und biegen, pfropfen und beschneiden ließ, – dann – ja, dann konnt' es am Ende seltnere Früchte tragen als irgend etwas, was sonst auf dem Feldwinkel wuchs.«

»Bin ich das Bäumchen?« fragte sie naiv und glitt leise vom Fensterbrett.

Er antwortete nicht, aber zog sie näher an sich, so daß ihr Haar seine Schulter berührte. Auf ihrem Gesicht lag ein Ausdruck, der kein Lächeln war und kein Ernst, und doch wie ein gesteigerter Abglanz von beiden, der einer Ekstase glich. Er erinnerte Erik plötzlich an jenen Aufsatz mit der Überschrift: »Seligkeit!« Zum erstenmal erinnerte ihn dieses schmale Kindergesicht mit den beredten Augen und den geschweiften Lippen an die Verse im Schulheft.

»Möchtest du solch ein Bäumchen für den Gärtner werden, Ruth?« fragte er sie mit halblauter Stimmte.

Sie atmete tief auf.

»Noch lieber möcht ich der Gärtner werden,« sagte sie unerwartet, »aber es ist vielleicht fast dasselbe.«

III.

Jeden Morgen, ganz früh, noch ehe das Haus wach war, fanden sich Erik und Ruth im Studierzimmer zusammen. Sie standen beide ein paar Stunden zeitiger auf als sonst, um es zu können, und jeden Morgen nahm er mit ihr ihre Arbeit für den Tag durch, der er sie dann allein überließ.

Es war immer dasselbe Bild: Ruth war immer schon da und stand, ihn erwartend, ins offene Fenster gelehnt. Sie horchte auf die kleinen Buchfinken draußen und zugleich, ob sein Schritt nicht über den Flur käme. Gewöhnlich sah sie ein bißchen blaß und bange aus, denn so übermütig froh sie auch tagsüber vor Erik sein konnte, – als Lehrer fürchtete sie ihn. Und auch jetzt noch, wenn sie seinen Schritt im Flur vernahm, überfiel sie, wie am allerersten Abend, das Herzklopfen und die alte Schüchternheit.

Es war immer dasselbe: ohne daß sie sich nach ihm umwandte, trat Erik dicht an sie heran, bis ihr Rücken gegen ihn gelehnt war, dann schloß er ihre beiden Hände in den seinen zusammen, so daß sie wie eingefangen war zwischen seinen Armen. Es lag für sie darin nicht nur eine Liebkosung, sondern auch etwas zugleich Beschwichtigendes und Zwingendes, unter dem sie unwillkürlich stillhielt und sich sammelte. Und dann, ohne Zeitverlust oder überleitende Gespräche, nahm er sie sofort nüchtern und ernsthaft vor. So ging der Morgengruß unmerklich in die Morgenarbeit über.

Als Erik eines Morgens die Tür zu seinem Zimmer öffnete, blieb er einen Augenblick überrascht stehn. Vor den Fenster waren die weiß lackierten Innenläden geschlossen worden, so daß die graue Regenluft draußen nur durch die Ritzen hereinschauen konnte; ein einzelnes Licht brannte mit trübem Schein auf dem Schreibtisch. Davor saß Ruth, von Heften und Büchern umgeben, und schrieb, ohne auch nur aufzublicken.

Erik sagte nichts. Er schlug einen Laden zurück und öffnete das Fenster, so daß Luft und Licht in breitem Strom eindrangen, dann kam er an den Schreibtisch und blies das Licht aus, während Ruth verwirrt emporfuhr.

Er beugte sich zu ihr nieder, nahm ihr Gesicht zwischen seine Hände und blickte sie aufmerksam an.

»Du hast geweint. Worüber?«

Sie errötete und zauderte einen Augenblick.

»Ich mag nicht dumm sein!« rief sie dann außer sich mit sprühenden Augen.

Er lachte.

»Du bist nicht dumm. hab' ich das gesagt? Wenigstens nicht hoffnungslos. Solange ich dich nicht aufgebe, brauchst auch du es nicht zu tun.«

Er rückte ihren Stuhl vom Tisch ab und nahm ihr die Feder aus der Hand.

»Aber du darfst nicht nachts aufstehn und arbeiten. Nie ohne mein Wissen. Das ist Unfug. Wenn ich abends deine Arbeiten durchgesehen habe, dann sollst du aufhören.«

»Die Sonne hörte auch nicht auf,« sagte Ruth, »sie schien hell fast die ganze Nacht durch. Im Gehölz schrie ein Kuckuck, die Drosseln vor meinem Fenster unterhielten sich. Da kam ich leise her.«

Erik griff über ihre Schulter nach dem Heft, worin sie geschrieben hatte, aber Ruth hielt es zögernd und schüchtern fest. Man konnte ihre ansehen, daß sie in ihrer Erregung beinahe litt.

»Ruhig!« sagte er eindringlich und entfernte ihre Hand vom Heft.

Schweigend las er eine Zeitlang darin, während Ruth mit gefurchter Stirn dasaß, die Hände im Nacken verschränkt und ganz blaß.

Dann legte er ihre Arbeit vor sie hin.

»Das hast du gut gemacht,« bemerkte er, »hat es dir Mühe und Überwindung gekostet?«

»Ja,« gestand sie ehrlich, ohne ihre Haltung zu verändern, »aber es schadet nichts.«

»Nein. Es schadet nichts. Siehst du das nun selbst ein? Es konnte nichts helfen, mit dir zu treiben, was dir lieb und leicht ist; durch das, was deinem kleinen phantastischen Kopf am härtesten ankommt, durch das, was ihm am schwersten fällt, grade da muß er hindurch.«

Er löste die im Nacken verschlungenen Hände und behielt sie in den seinen.

»Ich weiß, daß es manchmal ein harter Zwang war,« sagte er, »und du dein eignes Wesen unterdrücken mußtest; es tat weh, nicht wahr? Aber es mußte sein. Und nun – nun bekomm' ich dich allmählich grade so, wie ich dich haben will, Mädel. Ist es nicht schön?«

»Wunderschön ist es!« rief sie, sich mit leuchtenden Augen nach ihm zurückwendend, »das denk' ich ja immer dabei, wenn mir's schwer fällt! Ich such's zu vergessen und denke mich nur hin ein: wie wunderschön muß es sein, jemand, der ganz anders ist, grade so zurecht zu kriegen, wie man ihn haben will!«

Ein Schatten von Enttäuschung ging durch Eriks Augen.

»Nur daran denkst du dabei, Ruth? Und ich glaubte, dich selbst sollte es glücklich machen.«

»Das tut es ja eben!« erklärte sie erstaunt und stand auf.

»Was willst du nun heute morgen tun? Wir wollen in den Garten gehn. Es regnet nicht mehr. Oder meinst du, daß du schlafen könntest?«

Sie schüttelte lachend den Kopf.

»Ich möchte nicht, daß du später allein bleibst, ohne Beschäftigung

Veröffentlicht / Quelle: 
Verlag der J. G. Cotta'schen Verlagsbuchhandlung Nachfolger, Stuttgart, 1895

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