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Schuhe ausgezogen und unter einen Stuhl gestellt. Dann hatte sie sich, mit emporgezogenen Füßen, auf dem weißen Leinwandschutzbezug des Sofas zusammengekauert. Den Kopf gegen das Seitenpolster gedrückt, schlummerte sie mit ernstem Gesicht und schlafgeröteten Wangen fest und eifrig, wie ein Kind.
Die Müdigkeit mußte sie beim Warten überfallen haben.
Aus dem grauen Regenhimmel stahlen sich durch die niedergelassnen Fenstervorhänge einzelne Strahlenbündel, worin der Staub in breiten Wellen flimmerte und zitterte, und huschten über Ruths Gesicht. Ein leises Lächeln glitt mit den Sonnenstrahlen darüberhin und blieb auf den Lippen stehn, wie im Traum. Dann, als die Sonne zudringlicher wurde, zog sie ein paarmal Stirn und Nase kraus, und endlich mußte sie heftig niesen.
Das Lachen breitete sich über ihr ganzes Gesicht. Lachend wachte sie auf und hörte Erik lachen.
»Ist es Morgen?« fragte sie verwundert und setzte sich auf.
»Nein. Es ist Mittag. Warum bist du denn den Mädchen so rasch weggelaufen? Sie fragten noch nach dir,« sagte er.
Ruth rieb sich die Augen.
»Ach so, die Mädchen. Jetzt weiß ich schon,« versicherte sie, »ja, mit den Mädchen ist es nichts. Glaub es nicht. Aber mir ist eingefallen: wenn man keine lebendigen Menschen aufbringen kann, – dann gäb' es am Ende auch noch ein andres Mittel.«
»Mädel! Schüttle den Schlaf ab. Träumst du denn noch?«
»Nein, nein. Kein Traum,« sagte sie eifrig, glitt mit den Füßen vom Sofa herunter, stützte die Arme auf den staubigen Tisch davor und drückte das Kinn auf die geballten Hände; »ich hab' es mir nämlich so gedacht: wenn man zu den Menschen sprechen will, – in sie hineinwirken, – an ihnen was Großes schaffen, – und man findet nicht recht die richtigen Menschen, die gut dazu passen würden, dann muß man es so machen: man muß sich etwas ausdenken, was man ihnen vor Augen stellt, – so recht überzeugend und gewaltig vor Augen, bis sie Lust kriegen. Kann man das nicht? Warum nicht? Zu den Menschen vom Allerschönsten reden und nicht müde werden, – bis sie Lust kriegen.«
Sie sprach rasch und belebt, mit wachen, glänzenden Augen, sichtlich bemüht, ihm etwas deutlich zu machen, was sie da, wie einen Traum, mitten aus ihrem Schlaf hervorgeholt zu haben schien.
»Wer soll das tun?« fragte er langsam, von ihrem Gesichtsausdruck wie gebannt, und trat an den Tisch.
»Sie sollen es!« rief sie hell, »wer denn sonst? Sie haben mir immer gesagt: mit den Phantastereien ist es nichts, aber das Leben ist schön und weit. Ich glaub' es ja! Aber nun weiß ich, wozu die Phantasiegeschichten gut sind, – denn zu etwas sind die auch gut. Dazu, daß man sich ausdenken kann, was noch am Leben fehlt, und es hinzutun. Am Leben und an den Menschen. Nicht wahr?«
Während sie sprach, ging Erik im Zimmer auf und ab. Ihm schien, als lausche er auf den kindlichen Ausdruck dessen, was er nur künstlich in sich selbst zurückgedrängt hatte. Es kam wieder und redete mit Kinderstimme zu ihm. Eine Reihe noch unklarer Pläne blitzte ihm durch den Kopf. Alte und neue durcheinander. Sie hatten immer nach Gestaltung verlangt. Und er, enttäuscht durch die Verhältnisse, hatte versucht, sie von sich abzuschieben, – zu vergessen. Im vergangenen Winter hatte er sich in einen förmlichen Gesellschaftsrausch gestürzt, um sie zu vergessen.
Ruth saß und folgte ihm mit den Augen. »Jetzt denkt er sich gewiß was aus!« dachte sie. Mehrere Minuten vergingen in Schweigen.
Beide merkten nichts davon, daß die Luft im Zimmer dick und staubig war und ungezählte Mücken umherschwirrten.
Dann blieb Erik stehn, nickte zu ihr hinüber und sagte heiter: »Danke dir, Mädel. Erinnerst du dich, daß du mir etwas schenken wolltest, was ich eigentlich nie bekommen habe? Nun hast du mir aus deinen Phantasiegeschichten heraus doch etwas geschenkt. Zur guten Stunde.«
Sie sprang vom Sofa und kam auf ihren Strümpfen lautlos zu ihm.
»Ja,« sagte sie froh, »Sie wollten sie mir aus dem Kopf herausnehmen und alle für sich behalten. In den Kopf sollte nur lauter Vernünftiges hinein. Sie sagten damals: ›Nun sind alle deine Geschichten mein Eigentum, und ich kann damit machen, was ich will.‹ Und nun werden Sie etwas Schöneres damit machen, als ich's gekonnt habe.«
Sie hob den Kopf mit einem Ausdruck ungeduldiger Spannung und Erwartung und fügte dann bittend hinzu: »Aber ich muß zuhören dürfen, wenn Sie sich was ausdenken! Darf ich zuhören? Werden Sie mir's erzählen?«
Erik blickte auf sie nieder. So kindlich kam sie ihm vor, als sie so in Strümpfen neben ihm stand. Da reichte sie ihm noch nicht bis zur Schulter.
Wie am Morgen vor dem Schreibtisch beugte er sich zu ihr, nahm ihr Gesicht in seine Hände und sah hinein in zwei strahlende, glückliche, bittende Kinderaugen.
»Wir wer den es uns zusammen ausdenken!« sagte er.
*
Klare-Bel hatte inzwischen Besuch gehabt. Als Erik und Ruth nach Hause kamen, stand eine Equipage vor der Gartenpforte. Der Kutscher wendete den leichten Wagen mit englischem Gespann und ließ die Pferde sich langsam im Schritt abkühlen.
Warwara Michailowna saß bei Klare-Bel in deren kleinem behaglichen Gemach neben der Wohnstube. Sie war von ihrem erst kürzlich bezogenen Landhause, das etwa eine Stunde entfernt lag, herübergekommen.
Es waren meistens nicht nur konventionelle Besuche, die sie der kranken Frau machte. Sie kam gern, wie sie auch gern empfangen wurde. Sie empfand es wohltuend an Klare-Bel, daß man deutlich fühlte: hier lag eine, der es wirkliches Vergnügen machte, einmal im Plauderton wieder etwas von der Welt draußen, von den Menschen und der Gesellschaft zu hören. Konnte sie auch nie wieder in das gesellige Treiben zurückgelangen, so kannte sie dergleichen doch recht wohl aus den ersten, beglückenden Jahren ihrer Ehe und sah es noch immer ein wenig im Glanze dieser Zeit. Und da war es nun eigentümlich: wenn man zu so einer sprach, dann ließ man unwillkürlich den schlechtesten Klatsch zu Hause.
Klare-Bel selbst erzählte zwar niemals viel. Aber Warwara wußte, daß es auch andern Bekannten gegenüber nicht geschah. Sie wußte: dies hier war wirklich eine Frau, die mit niemand intim zu sein vermochte als mit ihrem Mann.
Was Warwara über Ruth und deren Anwesenheit im Hause erfuhr, fesselte sie im höchsten Grade und erregte sie beinahe. Als aber nun Ruth ins Zimmer trat, war sie enttäuscht.
Sie hatte unwillkürlich etwas