Ruth - Page 31

Bild von Lou Andreas-Salomé
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Auffallendes erwartet.

Vielleicht einen wilden, interessanten Jungen in Mädchenkostüm, vielleicht auch umgekehrt ein rührendes, liebliches Kind, das sich schüchtern zurückzog, – jedenfalls etwas ganz Eigenartiges. Nicht ein blasses, wohlerzogenes Ding, das sich für Warwaras im Salon geübten Blick von andern so jungen Mädchen durch nichts unterschied, als höchstens durch das gradezu Abgeschliffene, Formsichere und Unbefangene ihres Wesens einer Fremden gegenüber.

Nicht minder schnell war Ruth mit Warwara fertig: sie nahm diese ganz als eine von vielen und gab auch sich selbst so wie eine unter den vielen, woraus die Gesellschaft besteht.

Warwara zog sie ein wenig ins Gespräch und fragte, wo sie erzogen worden sei.

»Ich war an verschiedenen Orten,« sagte Ruth, »aber erzogen bin ich noch nicht.«

Man wußte nicht, war es bescheiden, oder übermütig gemeint?

»Wenn die nicht durchtrieben ist?« dachte Warwara bei sich und musterte sie schärfer.

Bald trat Erik dazu und brachte eine heitere Unterhaltung in Gang. Warwara erzählte vom Rückgang einer Verlobung, deren Anzeige erst vor kurzem eingetroffen war. Ein sensationeller Rückgang, denn die Braut hatte sich während der kurzen Verlobungszeit ganz eilig in einen andern verliebt.

Erik, der es nicht über sich vermochte, die humoristische Seite dieser Tatsache unbeachtet zu lassen, lachte laut.

Warwara sah sich nach Ruth um. Diese war hinausgegangen.

»Zufällig? oder ein Kunstgriff, um bei diesem Gespräch nicht hinausgeschickt zu werden?« fragte sie sich, »oder ist sie wirklich so kindlich, daß sie das gar nicht interessiert?«

Nachdem Erik über den betrübten Mienen der beiden Frauen wieder ernst geworden war, sagte er: »Ja, die armen Frauen! Wenn sie sich binden, haben sie allen Grund zu beten: Lieber Gott, hilf, daß ich eine gute Frau werde. Denn ihr einziger Schutz gegen sich selbst liegt in der Tat im rein gefühlsmäßigen Fortdauern ihrer Liebe, – in der eigentlichen Gefühlstreue. Sie können natürlich auch aus Pflichtstrenge festhalten, aber das ist dann ein verkümmertes Leben.«

»Sie meinen, der Mann bedürfe keines solchen Gebetes,« bemerkte Warwara, ohne ihre Ironie zu verbergen.

Er sah sie ganz unbefangen an. »Nein,« sagte er, »ich glaube, der Mann ist in diesem Punkt, wie in so vielen andern auch, durch seine Natur besser geschützt. Nicht gegen die Untreue der Sinne. Nicht gegen den Wechsel des Liebesgefühls. Aber gegen das bewußte innere Loslassen desjenigen Wesens, an das er sich gebunden, – nein: das er an sich gebunden hat. Das ist's!«

»Das ist originell. Sie vindizieren da dem Manne eine Kraft des Pflichtbewußtseins, einen Edelmut des Mitleids, den wir, – die Frauen, – nicht –«

»Ach nein, empören Sie sich nur nicht. Kein Pflichtbewußtsein, nur ein Glücksbewußtsein mehr, als ihr es habt. Keinen mitleidigen Edelmut, nur einen begehrlichen Hochmut, den ihr nicht besitzt. Der Mann, der für immer ein Weib an sich und auf sich nimmt, genießt neben dem Liebesglück noch ein andres, spezifisch männliches Glück: er legt seine Hand bewußt auf dies ganze ihm zugehörige Dasein und sagt dazu: ›Mein‹. Ihm bedeutet sein Glück durch das Weib dreierlei: lieben mögen, – verantworten wollen, – herrschen dürfen.«

Warwara schüttelte sich.

»Gott erhalte Ihnen Ihre Arroganz!« sagte sie, »mir jedoch ist wahrlich die Vorstellung lieber, wonach die Frau des Mannes Königin ist.«

»Sie sehen, – – ich sage noch mehr: sein Königreich,« versetzte er lächelnd, »daher gibt sie ihn eher preis, als er sie. Für sie gibt es eben ihm gegenüber Aufstand, Empörung, Revolution, – was alles ganz heroisch aussehen und sehr verführerisch wirken kann. Für den Mann hingegen wäre das untreue Preisgeben seines eigensten Reiches etwas, was ihm wider die Scham ginge.«

Warwara lachte ihm ins Gesicht.

»Und das sind Sie, der für alle möglichen modernen Entwicklungskämpfe, und auch für die der Frauen so gern eintritt,« rief sie, »es ist eine schauderhafte Inkonsequenz, und ein Selbstbetrug obendrein! Denn wenn Sie nun in eine solche entwickelte Zukunftsfrau verliebten, die nicht mehr so mittelalterlich denkt, und Sie sie nicht unterkriegten?«

»Das würd' ich doch!« sagte Erik. »Sonst würd' ich mich vielleicht für sie begeistern, sie bewundern, fördern, als meinen Kampfgenossen achten, – aber lieben, – wie sollt' ich das? So wenig, wie wenn ich ein Weib, oder sie ein geschlechtsloses Wesen wäre. Ich kann mir vorstellen, daß der Mann jede Herrschsucht vollständig ablegt um einer Sache willen, die er über sich stellt. In der Liebe – nie! Und ein Weib, das diesem Instinkt nicht entgegenkommt – wirkt nicht als Weib.«

»Und dieser Widerspruch sollte in der Natur selbst liegen? Nein, nur in eurem jahrhundertlang großgenährten Dünkel,« versetzte Warwara entrüstet und wandte sich zu Klare-Bel: »Was sagen Sie nur zu einem solchen Mann? Wir sollten uns für alle Zukunft unter den Mann stellen, wenn wir lieben?«

Klare-Bel antwortete etwas unsicher: »Ich glaube, das tun wir, nicht weil wir unter ihm stehn, sondern weil wir glücklich sein wollen.«

Alle drei fingen an zu lachen. Warwara erhob sich, um nach Hause zu fahren.

»Nun sollt' ich hier von eigentlich genug haben,« bemerkte sie gut gelaunt zu Erik, »aber von meiner kleinen Nichte in der Mädchenschule erfuhr ich, daß Sie diesmal beim feierlichen Schulschluß die übliche große Rede halten werden. Da komm' ich hin. Damit Sie doch wissen: Eine sitzt da und verspottet Sie. Und hübsch klingen wird es sicher. Ich habe nämlich schon immer Ihre Toaste in Gesellschaften so gern gehabt.«

Erik mußte lachen.

»Sie sollten mich nicht so gewaltsam daran erinnern, daß unsre schönsten Reden für Toaste genommen werden,« versetzte er, »und daß fast die einzigen aufmerksamen Zuhörer, die wir außer den Schulkindern auftreiben können, die gelangweilten schönen Frauen unsrer oberflächlichen Gesellschaft sind.

»Liebste, jetzt sind Sie Zeugin, daß ich mich zu rächen habe,« sagte Warwara gekränkt zu Klare-Bel, »ich möchte nur wissen, ob's ihm nicht weh täte, wenn die schönen Frauen alle wegblieben. Ich glaube, dann würde dieser Barbar Sie auf den Rücken nehmen und zur Zuhörerschaft unter seine Schulkinder setzen, die ihn alle fürchten wie das Feuer.«

»Das wird wohl nie geschehen,« meinte Klare-Bel etwas betrübt.

»Doch doch! Kein Mensch kann in die Zukunft sehen. Wir werden jetzt auf Grund einer Konsultation mit dem Professor eine Behandlung meiner Frau durchführen, die Wunder verspricht,« sagte Erik zu Warwara und geleitete sie an ihren Wagen.

*

Jonas war später nach Hause gekommen als Erik mit Ruth und kam seltsamerweise erst zum Vorschein, als der Besuch fortgefahren war und man sich

Veröffentlicht / Quelle: 
Verlag der J. G. Cotta'schen Verlagsbuchhandlung Nachfolger, Stuttgart, 1895

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