Ruth - Page 39

Bild von Lou Andreas-Salomé
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dagegen.«

»Deine Frau ist sehr außergewöhnlich,« bemerkte Erik, »ich bin froh, sie kennen gelernt zu haben. Aber entbehrst du sie denn nicht jetzt zu sehr im Hause? Wie lange bleibt sie noch fort?«

»Bis zu den Ferien. Den deutschen Universitätsferien. Entbehren? Ja, – doch in der Arbeitszeit, da behelf' ich mich schon mit der Wirtschafterin und schlecht bereitetem Kaffee. Denke mir halt dabei: 's ist Arbeitszeit, Wochentag. Aber in den Ferien – – meinen Ferien, – da muß ich Sonntag haben. Da muß ich – muß ich meine Frau um mich haben.«

Klare-Bel sah ihn erfreut an. Sie freute sich über seine herzlichen Worte, freute sich, ihn wiederzusehen. Kaum konnte sie's glauben, daß er es selbst sei, der bartlose Jüngling mit dem braunen Lockenkopf, – sanfter als Erik, stiller, ein schwärmerischer Utopist mit einem kleinen Stich ins Phlegma und in den deutschen Michel.

Und während Erik ins Haus ging, vertieften sie sich von neuem in die alten Erinnerungen, wie sie's schon am Morgen miteinander getan hatten. Und beide wurden warm beim Heraufbeschwören der Jugend und empfanden beide mit uneingestandener Wehmut, daß die Jugend Vergangenheit sei.

Erik störte sie nicht. Er stand in seinem Zimmer. In erregter Stimmung.

Ruth mit Römer, – nicht mit ihm: er konnte den Gedanken nicht verscheuchen.

Des Freundes Leben daheim stand ihm klar vor Augen. Ein seltenes Heim, – das seltenste: eine voll glückliche Ehe. Neben dem Mann die gleichaltrige Frau, in der, wie ein Stückchen seiner Jugend, das nicht sterben wollte, die Frische weiterlebte, die ihn vor dem Vertrocknen in Professorenweisheit und zufriedener Sattheit bewahrte. Daher seine ewig frische Liebe zu ihr, daher für alles, was sie plante, das offne Herz und die offne Hand.

Dort würde Ruth haben, war ihr not tat: in körperlicher, geistiger, praktischer Beziehung. Und indem sie ihn verlor, eine mütterliche Freundin gewinnen, der er sie blind anvertrauen konnte.

Irgend etwas raunte Erik zu: »Gib sie hin. Dort wäre die selbstlosere Liebe. Schütze sie vor dir selbst.«

Seine Augen verfinsterten sich, und um seinen Mund erschien eine harte Linie.

Nun ja, er gestand sich's ein: daß er Ruth selbstlos dienen wollte, das war nur, um sie zu behalten. Er hatte außer ihr nichts zu verlieren, was ihn ganz erfüllte. Er kämpfte um das Schönste und um das Letzte, – das fühlte er. Und um das Höchste: um sich selbst.

Man sagt oft: erst der Zusammenbruch des ganzen persönlichen Glückes führe manchen zur wahren menschlichen Größe, lehre ihn erst, wahrhaftig tatkräftig den andern zu dienen, auf andre zu wirken.

Gewiß gab es solche milde Menschen in der Welt. Aber galt es von ihm? Konnte er je zu ihnen gehören? Laut schrie es in ihm: Nein! Nein!

Seine Kraft und sein Glücksverlangen wollten sich nicht trennen. Miteinander verwachsen waren sie von der Wurzel an. Glück brauchte er, um Mensch zu bleiben. Viel Glück, um gut zu bleiben. Er mußte es zu sich zwingen in irgend einer Form – und um jeden Preis.

Um jeden? Gab es nichts, was ihn veranlassen könnte, einst selbst die Axt an die Wurzel zu legen?

Bels Glück? Nein! Aber Ruths Glück.

Er versuchte, gewaltsam den Gedanken fortzustoßen. Er setzte sich an den Schreibtisch und versuchte, ein paar Aufzeichnungen auszuführen, die er sich unterwegs für seine Winterpläne gemacht hatte. Er versuchte, sich dabei die Mienen einzelner zu vergegenwärtigen, die er an der Treppe im Vorbeigehn studiert, und worin er den Ausdruck der Freude und der Anregung gelesen hatte.

Aber die Gedanken verschwammen, und die Gesichter verblaßten. Er sah nur noch ein Chaos fremder, gleichgültiger Physiognomien, – ohne Ausdruck, ohne Freude, ohne Blick.

Unschöne, woran sein Auge vorüberglitt, – hübsche, worauf es teilnahmslos haften blieb.

IV.

Kurz und glühend, wie immer, war der russische Hochsommer vorübergeflogen, und früh, mitten im August, nistete sich leise der Herbst im Garten ein und verlöschte mit seinen langen dunkeln Abenden die Sonne. Der Rasen sah fahl und versengt aus, und längs den Kieswegen sammelten sich die ersten dürren Blätter.

Grade da, wo Klare-Bel in ihrem Stuhl am Rande des kleinen Gehölzes lag, konnte sie an den Birkenzweigen über sich in einen breiten goldgelben Fleck hineinschauen, der täglich ein wenig zunahm. Und von Zeit zu Zeit sank eines der entfärbten Blätter, drehte sich in der Luft ein paarmal herum und flatterte zu ihr nieder.

Gleich danebenstanden ein Tisch, roh aus ungeschälten Baumästen gezimmert, und zwei Bänke mit Rückenlehnen aus einem groben Flechtwerk von Weidenzweigen. Da saßen Erik und Ruth schon den halben Tag und arbeiteten.

Klare-Bel konnte nicht begreifen, wie sie das nur so ununterbrochen aushielten; manchmal schienen ihr's allerdings nur Unterhaltungen und Gespräche zu sein, die sie führten, aber sie wußte, wie ernst sie es damit nahmen und daß Erik mitunter die Nacht aufblieb, um seinen Unterricht vorzubereiten.

Gern lag sie so und lauschte darauf, nicht auf die Worte, aber auf die Stimmen. Denn darüber täuschte sie sich nicht: nur in solchen Stunden klang Eriks Stimme noch grade so froh wie früher. Und da war es wirklich gut, daß er sein Zimmer jetzt förmlich mied und mit Ruth immer in ihrer Nähe saß, wo sie ihn hören konnte.

Oft dachte sie dann mit heimlichen Sorgen und Zweifeln an den ersten Tag im Juni zurück, den Erik mit Bernhard Römer und dessen Frau in der Stadt verbracht hatte. Seitdem darauffolgenden Morgen war er verändert. Und mit diesem Tage mußt' es zusammenhängen. Aber den wahren Grund suchte sie in der fernsten Vergangenheit, namentlich seitdem sie den gemeinsamen Jugendfreund selbst wiedergesehen hatte.

Denn seitdem begriff sie ganz gut, daß Erik vielleicht noch im stillen den alten Erinnerungen nachgehn mochte. Kehrten doch sogar ihre eignen Gedanken häufiger als je dorthin zurück, wohin es keine Rückkehr gibt.

Die Jugend ersteht nicht wieder auf.

Wenn es doch eine Freude gäbe, – dachte sie ganz heimlich bei sich, – eine große, gewaltige Freude, die sie einmal über Eriks Leben bringen könnte, so daß er darüber alles vergäße! Aber sie besaß nichts, – sie hatte immer nur so dagelegen mit leeren Händen und Opfer gekostet.

Vor einigen Tagen hatte Erik ganz unerwartet den Professor herausgebracht, den er manchmal bei ihrer Behandlung hinzuzog. Sie war auf ihr Bett gelegt worden, und dann hatte Erik die vor Angst und Schmerz Zitternde ganz fest in

Veröffentlicht / Quelle: 
Verlag der J. G. Cotta'schen Verlagsbuchhandlung Nachfolger, Stuttgart, 1895

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