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zu verabschieden, »aber um so mehr muß ich ein Wort hinzufügen. Du sprichst so ruhig von Recht abtreten, Louis! Aber ein Recht kannst du doch nie und nimmer abtreten. Ich meine das Recht der moralischen Verantwortlichkeit. Das mag ja eine altmodische Ansicht sein. Aber ich möchte doch wissen, wie Herr Matthieux darüber denkt.«
Erik sah ihr ernst und ruhig in die kampflustig auf ihn gerichteten Augen. Zum ersten Male gefiel sie ihm. Eben die Kampflust gefiel ihm. Obwohl der Onkel Ruth lieb hatte, war sie doch ein besserer Wächter als er.
»Wenn ich Sie recht verstehe,« sagte er, »so fürchten Sie, daß ich mit meinem Recht an Ruth nicht zugleich auch alle Pflichten ihr gegenüber übernehmen würde. Wenn es etwas gibt, was Sie von dieser Furcht befreien kann, so nennen Sie es mir.«
Der Onkel sah fast verlegen aus, aber sie beachtete es nicht.
»Ich antworte Ihnen als gläubige Frau,« entgegnete sie, die stolz war auf baltische Überzeugungstreue, »mir bedeutet moralische Verantwortlichkeit: schuld sein wollen an einem Menschen, – schuld an dem, was an seinem innern Menschen geschieht. Nicht zulassen, daß er Schaden daran nimmt. Wie sollte man das ohne Gott, ohne religiösen Glauben auf sich nehmen können? Wenn Sie nun Ruth fortgeben, – können Sie eine solche Pflicht in diesem Sinne übernehmen?«
Über Eriks Züge ging ein Ausdruck, den sie nicht zu deuten wußte, der sie aber wider ihren Willen ergriff.
»Nun verstehn wir uns,« sagte er mit unterdrückter Bewegung, »denn eben das soll mein Recht sein: ich will schuld sein an diesem Kinde!«
Sie fand, es klang arroganter als je. Es war nichts, was ihre religiösen Bedenken beruhigen konnte. Aber ihr war dennoch, als habe er »Gott« gesagt.
Erik ging nach dem Bahnhof zu. Fast kein Mensch außer ihm in den leeren Straßen; auch die letzten, die den Sommer in der heißen, ungesunden Sumpfluft der Stadt zubringen mußten, entrannen ihr am Sonntag. Nur hier und da taumelte ein Betrunkener aus der offenstehenden Tür einer Kellerschenke, oder rasselte eine vereinzelte Droschke holpernd über das schadhafte Holzpflaster, das stellenweise noch weit aufgerissen dalag und darauf wartete, daß seine alljährlichen Löcher in schöner Mosaikarbeit zugestopft würden.
Verlorne Glockenklänge, die letzten von einer der zahllosen Kirchen, zitterten über die ausgestorbenen Straßen hin, wie Grabgeläute über einer Totenstadt.
Erik ging langsam, müden Schrittes heimwärts.
»Nicht zulassen, daß sie Schaden nimmt,« wiederholte er die eben gehörten Worte. Ja, genau das wollte er doch. Noch war die Umpflanzung in einen neuen Boden möglich, wenn er seinen kleinen Baum behutsam mit allen feinsten Würzelchen dort eingrub. Nur so konnte er jetzt seine Gärtnerdienste an ihm tun, damit das Bäumchen nicht Schaden nehme an seiner Entwicklung, die noch in hart und fest geschloßnen Knospen vor sich ging, – undurchsichtig von allen Seiten.
Denn manchmal, da wachte etwas Gewalttätiges in ihm auf, – im pflegenden Gärtner die verbrecherische Ungeduld des Knaben, der sich am Frühling vergreift und die Knospen zerstören möchte, um zu sehen, ob eine rote oder eine weiße Blüte in ihnen schläft.
Aber er fiel sich selbst in die gewalttätige Hand, er selbst riß sich Ruth aus der Hand.
Verdirbt denn ein Vater sein Kind, ein Mann kein Weib, ein Künstler sein Werk?
Und ihm schien, seine Liebe zu Ruth sei alles dieses.
Zu Hause hatten sie mit dem Essen auf ihn gewartet; als er kam, wurde es einsilbig eingenommen. Klare-Bels Hoffnung, Erik werde erzählen, bei wem er den Besuch gemacht hatte, erfüllte sich nicht.
Er wußte wohl, daß er nun davon sprechen mußte. Mit ihr und mit Ruth. Es war ihm das Schwerste.
Das dachte er, als er dann endlich am Fenster seines Arbeitszimmers stand und wartend in den Hintergarten hinausblickte, wo sich Ruth mit Jonas erging: »Nur nicht sprechen, – nur nicht grübeln, – handeln! Sie auf den Arm nehmen und forttragen. Handeln! Wer es wortlos dürfte!«
Und nun ging Jonas ins Haus.
Erik stieg zu Ruth in den Garten hinunter.
Sie saß auf ihrem Lieblingsplatz, dem Steinrand des Springbrunnens. Dort saß sie mit gebücktem Kopf und stocherte mit einem trocknen Ast im Grase.
Als sie ihn kommen sah, warf sie ihren Zweig fort und lief ihm entgegen. Er hatte sie kaum begrüßt bei Tisch, zum verspäteten Essen, und nun schlich sich ihre Hand in die seine.
Ohne recht zu bemerken, was er tat, steckte er sie mitsamt der seinen in die Seitentasche seiner Joppe.
Ruth lachte darüber und blickte zu ihm auf, aber als sie den ernsten, beinahe strengen Ausdruck seines Gesichtes sah, verstummte sie ebenso plötzlich.
Sie gingen einige Schritte auf das kleine Gehölz zu.
»Heute war ich bei deinen Verwandten, Ruth,« sagte Erik, »sie waren beide da. Ich wollte sie einmal etwas danach ausfragen, was wir in den letzten Monaten schon öfters miteinander besprochen haben. Weißt du nicht? Ich meine danach, ob du nicht einmal im Auslande tüchtig weiterlernen solltest.«
Sie sah ihn erwartungsvoll an. Dies da interessierte sie sehr, und ein wenig beunruhigte sie's auch. Denn es handelte sich doch eigentlich erst um ein ganz allgemein gehaltenes, unbestimmtes Zukunftsbild, – nicht um etwas, was schon erwogen und besprochen werden mußte.
»Nun? und was meinten sie dazu?« fragte Ruth gespannt, als er schwieg.
»– Sie haben nichts dagegen ein zuwenden, Ruth. Nichts Ernstliches. Da ist es denn Bernhard Römer gewesen, an den wir dafür gedacht haben. Dort wüßt' ich dich im richtigen Hause geborgen. Es wäre fast so, als wenn ich selbst bei dir bleiben könnte.«
Ihre Hand, die er noch umfaßt hielt, erkaltete in der seinen.
»Ja, – aber – das ist ja noch so lange hin!« meinte Ruth ganz langsam, und dann immer schneller, in wachsender Unruhe: »Es ist doch noch lange hin? Sehr lange? Ich soll doch nicht – bald fort gehn? Von hier – – fortgehn.«
Er umschloß ihre Hand fester und ging auf die Bänke zu, die unter den Birkenbäumen standen.
»Komm zu mir,« sagte er sanft, »setze dich zu mir her, mein Liebling, und laß uns ruhig darüber sprechen. Ganz ruhig, – hörst du?«
Sie folgte ihm schweigend, aber ihre Augen hingen unverwandt mit tausend aufgestörten bangen Fragen an seinem ernsten Gesicht.
»Sieh, Kind,« fuhr Erik fort, »wenn wir hier während unsrer gemeinsamen Arbeit an deine Zukunft dachten, dann schwebte sie dir wie ein erwünschtes, lockendes Bild vor. Ich wollte,