Ruth - Page 47

Bild von Lou Andreas-Salomé
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– in diesem Augenblick wurde alles – alles gut.

Sie vermochte nichts zu denken, als daß er da sei. Und daß sie bei ihm war.

Fest, – fest schlangen sich ihre Arme um seinen Nacken, fest barg sich an seiner Schulter ihr Gesicht.

So stehn bleiben, – für immer so stehn bleiben, festgewurzelt für immer an dieser Stelle, hineingeschmiegt in die weiten, weichen Falten des geöffneten Reisemantels, – nichts fühlen, nichts vernehmen, als den starken dumpfen Herzschlag, der ihr entgegenpochte, – für das ganze Leben nichts – nichts mehr.

Sie wechselten kein Wort.

Aus Eriks Hand war die Reisetasche auf den Boden geglitten; stumm hielt er Ruth an der Brust, schwer atmend und den Kopf niedergebeugt auf ihr Haar.

Und plötzlich gruben sich seine Hände hart in ihre Schultern, um ihre Hüften und umschlossen sie mit so gewalttätigem Griff, daß es wie Schmerz und Ersticken über sie kam, – als müsse er sie nun zerbrechen. Zerbrechen unter seinen Händen und an seiner Brust, – sterben, – nicht fortgehn, – dachte sie, und es überflutete sie mit einem jauchzenden Glücksgefühl, wie sie es nie gekannt hatte.

Erik sah sie lächeln.

Er verlor die Besinnung.

»Wahnsinn!« schoß es ihm wie Feuer durch den Kopf, »Wahnsinn! Wahnsinn, sich zu lassen, wenn man sich liebt.«

Eine Sekunde lang, – dann ließ er sie so jäh los, daß sie zurücktaumelte –

Und: »Erik!« rief Klare-Bels Stimme durch das Nebenzimmer, »Erik, bist du wieder da?«

Er hängte den Mantel an den Ständer, dann öffnete er die Tür zur Wohnstube, wo sie lag.

»Denk nur, Erik, Jonas ist inzwischen krank geworden, – so schwer erkältet, – hoffentlich ist es nicht so schlimm. Er hat – –, aber was ist dir?«

Er stand da wie ein Betäubter, das Blut in den Augen.

»Nichts. Ein Schwindel,« murmelte er, setzte sich an den Tisch und stützte den Kopf auf die Handflächen.

»Das ist diese übertriebene Eile!« klagte sie besorgt, »– daß es mit solcher Windeseile vor sich gehn soll. Wann ist es denn nun, daß sie reist, Erik?«

»Morgen, – um Mittag,« sagte er leise.

»Mein Gott, so schnell ist es aber doch rein unmöglich! Denk doch nur, was es für eine solche Abreise alles zu ordnen und zu überlegen gibt. Ruth braucht doch gewiß noch manches, was für sie beschafft werden muß.«

»Es kann alles in Heidelberg beschafft werden.«

»Nun ja, Erik. Aber wenn du wüßtest, wie tief es ihr geht. Wie blaß und elend sie ausgesehen hat, gestern und heute. Sie ist doch nur zart.«

»Hör auf!« sagte er zwischen den Zähnen.

»Ach, Erik, ich widerspreche dir ja nicht! Das tu ich ja niemals! Sie tut mir nur so leid. So allein ist sie, und so liebebedürftig. Und nun: von Haus zu Haus, von Hand zu Hand. Und wenn sie nun erkrankt –«

»Hör auf!« unterbrach er sie außer sich und sprang auf, und warf den Stuhl zurück, daß er zu Boden schmetterte, »hör auf, Bel! Es ist genug! Ich will es so!«

Damit verließ es das Zimmer.

Mit erschrockenen Augen sah sie ihm nach. Erik war fast immer sanft gegen sie, obschon – oder vielleicht weil – ihr Wille gegen den seinen nie recht in Betracht kam. In einem so heftigen Ausbruch hatte sie ihn lange nicht mehr gesehen, – wohl seit ihrem Krankenlager nicht mehr. Kranke sind gute Lehrmeister!

Nur in den ersten Jahren ihrer Ehe. Da war ihm der rasche Zorn noch nicht verraucht, da ward er leicht heftig, wenn seine Frau nicht ganz dem entsprach, was er erwartet, was er mit ihr gewollt hatte.

Seltsam: damals erschreckte sie's nicht, – nein, mehr noch, so wunderlich es auch sein mochte: sie liebte diesen Zorn. So deutlich fühlte sie, daß Eriks Liebe damit verknüpft war. Gegen einen ihm gleichgültigen Menschen konnte er nie heftig werden. Mit dem Interesse an einem Menschen wuchs in dieser herrischen Natur das Verlangen, ihn zu formen, zu gestalten, nach seinem Willen umzuprägen. Liebe und Härte fielen zusammen.

Klare-Bel hatte ein russisches Geschichtenbuch gesehen, da befanden sich auf dem dazu gehörigen Titelbilde zwei Bauersfrauen: die eine, im roten Sarafan, auf die ihr Eheliebster mit einem Weidenprügel dreinschlug, lachte über das ganze Gesicht; die zweite, im blauen Sarafan, saß daneben am Weg auf einem Stein, sah neidisch zu und weinte sich die Augen aus, indes ihr Liebster mit einer andern spazieren ging.

Das war gewiß eine dumme Geschichte. Aber diese beiden Bauersfrauen konnte Klare-Bel gut verstehn.

Niemals sollte sie sein Zorn schrecken: nur, daß er mit seinem Zorn seiner Liebe vergäße.

*

Der Tag schlich langsam zu Ende. Es war so still im Hause, als ob dort niemand anwesend sei. Erik hatte lange bei Jonas gesessen, ihn genau angesehen, alles Notwendige veranlaßt und den heftig Widerstrebenden gezwungen, sich ganz zu Bett zu legen. Es handelte sich um eine starke Halsentzündung mit beträchtlichem Fieber.

Ruth stand auf dem Flur, gegen das Treppengeländer gelehnt. Sie wußte selbst nicht, warum sie dort stand. Wahrscheinlich weil sich alle Türen in den Flur öffneten. Und aus einer der Türen mußte doch endlich Erik kommen. Und wenn er kam, mußt er doch zu ihr treten. Sich nach ihr umwenden. Er mußte doch einsehen, daß es unmöglich sei, so fremd aneinander vorüberzugehn, wie er es heute abend tat.

Sie wollte so wenig: nur seinen Blick auf sich gerichtet sehen wollte sie, – nur seine Hand fühlen einen Augenblick lang.

Seitdem Erik sie an sich gerissen und dann von sich gestoßen hatte, war über sie eine ratlose Verzweiflung gekommen. Die äußere Trennung, die nahm sie ja hin, wie etwas Furchtbares, aber Unabwendbares, weil er es so forderte. Aber daß er sie ganz plötzlich auch innerlich von sich losriß, das konnte sie nicht ertragen. Ihn den Blick absichtlich fortwenden zu sehen – ohne ein Wort der Liebe für sie, ihn wie einen Fremden dastehn zu sehen, – das konnte sie ganz gewiß nicht ertragen.

Zur Schlafenszeit trat Erik aus dem Wohnzimmer heraus. Als er Ruth an der Treppe bemerkte, sagte er ihr gute Nacht. Sie machte eine Bewegung auf ihn zu, ihre Augen schauten dunkel und vorwurfsvoll zu ihm auf. Aber er sah ihr nicht in die Augen. Er gab ihr nur flüchtig die Hand. Dann ging er an ihr vorüber zu Jonas hinein.

Bald darauf siegte die Übermüdung

Veröffentlicht / Quelle: 
Verlag der J. G. Cotta'schen Verlagsbuchhandlung Nachfolger, Stuttgart, 1895

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