Ruth - Page 49

Bild von Lou Andreas-Salomé
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Duld' es nicht, daß sie dich so ganz überflügelt und dich einst weit – weit hinter sich zurück läßt! Jetzt kannst du zeigen, was du wert bist, – und ob du's wert warst, Ruth gehabt zu haben.«

Jonas lag ganz still und lauschte.

»Ja!« sagte er begeistert, »das will ich! ach Papa, das will ich!«

Und er hob den Kopf und küßte den Vater. Erik hielt seinen Kopf einen Augenblick lang an sich.

»Wir wer den nie mehr hiervon miteinander sprechen,« sagte er leise, – »nie mehr. Aber vergiß es nicht. Zwinge deine Gedanken auf die Arbeit, auf das, was vor dir liegt. Suche dich mit mehr Festigkeit zu beherrschen. Ich werde darauf achten und dir nichts durchgehn lassen. Streng mit dir sein, meine Junge. Mach es mir nicht zu schwer.«

»Papa,« versetzte Jonas so zutraulich, wie er sonst nur mit Klare-Bel zu sprechen verstand, »ich will mich nie wieder vor dir fürchten. Sei so streng du willst gegen mich. Du hilfst mir ja damit, nicht wahr? Tüchtig zu werden. So fest und tüchtig wie kein andrer. Ausstechen muß ich jeden andern! Hilf mir schnell, ein ganzer Mann zu werden! – Ein Mann für – für – ich meine: ein Freund für Ruth.«

Am liebsten hätt' er sich im Bett aufgesetzt und geplaudert; Erik mußte ihm das Sprechen verbieten und das Zimmer verlassen. Nun schwieg er und lag zufrieden im Bett und dachte angestrengt an die Zukunft.

Erik war außerstande, sich wieder schlafen zu legen; er kleidete sich vollständig an. Er fühlte sich frei, wie erfrischt von einem langen, gesunden Schlaf, wie gekühlt und gestählt durch ein erquickendes Bad. Die ganze schwüle Beklommenheit vom Nachmittag und Abend, die noch auf seinen Träumen gelastet hatte, war verflogen. In der Einwirkung auf einen andern, dessen Unruhe er bezwang, dessen innerste, widerstrebende Gedanken er bestimmte, – in dem kurzen Kampf mit dem Knaben, der sich gegen ihn auflehnte und zugleich ihm vertraute, hatte er sich selbst zurückgefunden. Seine Kraft geweckt und gesammelt. Er wußte recht wohl, wie es damit stand: wenn er sich am schwächsten fühlte, dann erstarkte er an der Kunst, andre in überlegener Behandlung zur Stärke zu veranlassen; an der gehobenen und mutigen Stimmung, die er von ihnen forderte und in ihnen hervorrief, – an seinen eignen überzeugten, überredenden Worten, kletterte er selbst zu neuem Mute, zu neuer Zuversicht empor, wie auf einer langen Leiter, die sich mitten aus seiner eignen Verzagtheit erhob, aber bis ans Unbegrenzte zu reichen schien, – bis an ein unbegrenztes Selbstvertrauen.

Viele tausend solcher Leitern, festgehalten von den Händen einer Menschenmenge, die ihn umdrängte, an ihn glaubte, auf ihn angewiesen war, – und er hätte einen Himmel auf Erden erstiegen.

Nur kein Zusammenbrechen der festesten dieser Stützen! denn Stützen waren es, – wie sehr auch er selbst dabei als der Stützende erschien. Niemand ist absolut stark.

Erik wußte recht wohl, wo seine Gefahr lag, wo auch in ihm der Schwächling steckte: da, wo er sich allein über lassen blieb.

Draußen herrschte noch dunkle Nacht. Es schlug drei Uhr.

Ihn litt es nicht im engen, warmen Zimmer. Er öffnete leise die Haustür und trat hinaus.

Die Finsternis war so dicht, daß er nur langsam der Tiefe des Gartens zugehn konnte. Er empfand den aufsteigen den Nebel, ohne ihn zu sehen. Das knisternde Rauschen der Birkenwipfel belehrte ihn über die Nähe des kleinen Gehölzes. Darüber glänzte am verhängten Himmel hie und da ein verlorener Stern. Das letzte Mondviertel, der schmale blasse Vorläufer der Morgenröte, war noch nicht sichtbar.

Unweit der Bänke am Gehölz blieb Erik lauschend stehn. Er vernahm absolut nichts als das leise Rauschen der Blätter. Aber er fühlte, daß er nicht allein sei.

»Ruth!« murmelte er unwillkürlich.

»Ja! was soll ich?« fragte sie schüchtern.

Mit einem Schritt stand er neben der Bank, er tastete nach ihr.

»Was du sollst?! Im Bett sein!«

Er riß seine Joppe von den Schultern und warf sie ihr um.

»Was tust du hier mitten in der Nacht? Weißt du nicht, daß sich Jonas in dieser gefährlichen kalten Feuchtigkeit das Fieber geholt hat?«

»Ja, ich weiß es. Aber mir schadet das nichts,« versetzte sie zaghaft, »das Fieber tut so gut, ich kenn' es gut: da liegt man im Traum und hört auf zu denken. Und da dacht' ich, ich könnt es auch so gut haben.«

Jetzt fühlte sie seine Hand, die sich fest um ihr Handgelenk legte.

»Was sagst du da?« fragte er ganz langsam, »du suchtest das Fieber?«

»Nein, nein!« rief sie flehentlich, »ich wollt es ja nur ein wenig, – ein ganz klein wenig nur, – nicht so, daß es die Abreise hindern sollte! Ganz gewiß nicht!«

Ein Laut brach von seinen Lippen, wie wenn er verwundet würde. Sie konnte hören, daß seine Zähne leise übereinanderknirschten.

Er beugte sich über sie.

»Und das – das glaubtest du zu dürfen,« sagte er matt.

»Ja, ich durft' es, denn ich will ja tun, was ich versprochen habe. Bin nicht ungehorsam. Nur so ganz allein bin ich. Niemand, der mir ein bißchen hilft. Da sollte mir das Fieber helfen. Ich darf tun, was ich will, – wenn es nichts aufschiebt,« versetzte sie finster.

»So. Und wenn du nur rechtzeitig fortkommst, dann meinst du, – könntest du tun, was du willst? Auch dich viel leicht irgendwo hinsetzen und krank werden, wenn dir das ›hilft‹? Du irrst dich, mein Kind. Ich lasse dich nicht los, indem ich dich fort lasse. Und aus der Ferne sollst du mir doppelt gehorchen. Dein Versprechen geht auf dein ganzes Leben. Du bist mein. – Bist du's?«

»Ja!« rief sie inbrünstig.

»Steh auf und geh hinauf.«

»Ich kann's nicht so, – ich muß erst wissen, – wann reise ich?«

»Ich werde dir's morgen sagen. Heute nacht nicht. Du sollst dich hinlegen und zu schlafen versuchen An nichts denken als daran, daß du schlafen sollst. Wirst du das?«

Sie war schon aufgestanden.

»Ja!« murmelte sie, »morgen! Ich muß morgen fragen, was ich will.«

»Das sollst du.«

Er gab ihr die Hand.

»Geh voraus. Geh nur. Ich folge schon. Warte nicht im Hause auf mich.«

»Gute Nacht!« sagte sie gehorsam und ging. »Mein Liebling! gute Nacht!« rief er ihr nach. Und im Klang seiner Stimme lagen alle die Liebkosungen, wonach sie den ganzen Tag, die ganze Nacht gehungert hatte.

»Verzeih mir! Liebling,«

Veröffentlicht / Quelle: 
Verlag der J. G. Cotta'schen Verlagsbuchhandlung Nachfolger, Stuttgart, 1895

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