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vor und merkten bald, dass wir zueinander passten. Er hatte eine angenehme Art zu Lachen, und er lachte oft. Er war 58, ich 40 Jahre alt. Unser Gespräch drehte sich bald um das Segelfliegen. Er war schwedischer Segelflugmeister und der zweite Segelfluglehrer in Schweden überhaupt.
Als Kind sah ich einmal so ein lautloses Flugzeug. Dieses Erlebnis schwelte ständig in mir. Jetzt blühte es auf. Sven brachte mir das Segelfliegen bei. Wenn mir am Anfang der Schulung mulmig wurde, lachte er. Das beruhigte mich, auch die Tatsache, dass er ein wirklich versierter und erfahrener Pilot war, u.a. WM-Fünfter in Köln 1960 und Teilnehmer an der ersten Europameisterschaft im Segelkunstflug überhaupt, in Paderborn im Jahre 1984, die jedoch wetterbedingt ohne Ergebnis abgeschlossen wurde.
Wir wurden Freunde.
Während eines beruflichen Außeneinsatzes in Deutschland kaufte er sich einen Bausatz für den ultraleichten Segler ULF1 und baute ihn eigenhändig. Diesen kann man auf den Rücken schnallen und von einem Hügel laufend in die Lüfte bringen. (Die Füße zieht man dann nach oben und stellt sie da hin, wo sie hingehören: auf die Pedale des Seitenruders.) Oder eben mit den konventionellen Methoden. Sven probierte auch eine unkonventionelle: Ein Pferd zog ihn an einem langen Seil im Galopp auf ca. 200 Meter, wo er sich dann ausklinkte. Auf vielen Flugshows war dies eine der Hauptnummern.
Am 6. Juni 1988 lese ich in der Zeitung: "Der in Flugkreisen bekannte Sven Jonsson von Karlstad ist mit seinem ultraleichten Segelflugzeug tödlich verunglückt. Ein Teil der rechten Flügelbespannung zerriss."
Er war ein Freund, Kollege, Lehrer,
- der Segelflug war seine Welt -
beim Mittagsplausch ein Spaßvermehrer,
doch sonst wie wir, ein Mensch, kein Held.
Dem Himmel gab er oft die Ehre,
unter, über, in den Wolken,
flog durch die weite, blaue Leere,
in der Winde spielen wollten.
Er spielte mit, sie waren Freunde,
doch niemals taten sie sich weh.
Gewitterwolken waren Feinde,
wie Regenguss und Hagel, Schnee.
Er lehrte mich und andre fliegen,
- bei schönem Wetter, leichtem Wind -
wie man die Schwerkraft kann besiegen,
wofür wir immer dankbar sind.
Sein letzter Flug, rauf, himmelwärts,
ging nicht so hoch nach oben.
Er beendete sein Leben.
Ein Flügelriss,
er stürzte ab
in Richtung Startbahn, Boden...
Sein Flugplatz ward sein Grab.
Des Fliegers Seele blieb da droben,
sie wird in Ewigkeit dort schweben.
Du warst ein Freund, Jonsson "Fakiren",
ein Typ, der wohl im Grab noch lacht.
Wir werden allesamt verlieren,
- das ist des Lebens wahre Macht -
doch durch die offnen Himmelstüren
gleiten wir wie Sieger ein.
***
Der Schwiegervater
Gestorben 1989 in Åmål, Schweden
Im Jahr 1971 trafen wir uns zum ersten Mal. Er konnte kein Wort Deutsch, ich nur den auswendig gelernten Begrüßungssatz. Mit Einsatz aller passenden Körperteilen und der helfenden Übersetzung seiner Tochter (der Grund meiner ersten Reise nach Schweden) hatten wir eine entspannte Unterhaltung mit viel Gelächter. Die aufgebaute Spannung auf dem Weg hierher verflog.
Nach einigen Jahren sahen wir uns in Königstein bei Frankfurt wieder. Dort lebte ich jetzt mit meiner Verlobten, seiner Tochter. Wieder hatten wir einige schöne Tage zusammen.
1975 rückten wir näher. Ein mehrjähriges Kernkraftwerksprojekt in Schweden war die Ursache. Danach gab es viele Gründe für mich, in Schweden zu bleiben. Die Besuche bei den Schwiegereltern in Åmål stiegen von einem auf zwei bis drei im Jahr. Die Gespräche konnte ich jetzt auf Schwedisch führen. Der Schwiegervater war ein ruhiger Typ, wir passten zueinander.
In seinem Berufsleben war er "en duktig byggare", ein tüchtiger Baumeister. Er lieferte auch uns diesbezügliche Beweise.
Die letzten Jahre seines Lebens wohnten wir in Åmål und konnten uns im Haus und Garten nützlich machen.
Während seiner letzten Wochen war er bettlägerig und wir begleiteten ihn im kommunalen Altenheim bis (fast) zu seinem Tod. Sein Sohn war bei ihm. Wir kamen zu spät. Wie damals schon bei meinem Vater.
Du var en duktig byggare
i dina vuxna dar.
Mitt hjärta slog nog tryggare
när nära dig jag var.
Du kunde inte språket mitt
men visste vad jag sa.
Jag kunde inte språket ditt
men samtalen var bra.
Du var en sån som hjälpte till,
du var en trevlig karl.
Du var som jag, en smula still.
Du var min svenska far.
Jag var tyvärr ej med dig
när döden tog dig hem.
Men länken finns kvar i mig
med vilken jag kan nå dig -
min svärfar och min vän.
***
Die Mutter
Gestorben 1991 in Düsseldorf
An meinen Vater habe ich bis zum Umzug vom kleinen Bauerndorf nach Düsseldorf nur wenig Erinnerung. Er ging frühmorgens und kam spätabends. Für die Mutter gilt das Gegenteil. Sie war immer da, für mich und die anderen vier Geschwister. Ich kenne sie nur mit weißen Haaren. Eine fünfjährige Wanderung in den Wirren des Krieges hat eine junge Frau mit fünf Kindern altern lassen.
Wir hatten einen guten "Draht" zueinander, was aber weder ich noch sie uns mit Worten sagten. Die gemeinsamen "Spaziergänge" an fast jedem Freitagabend schweißten uns zusammen. Sie war Ehefrau, Putzfrau, Waschfrau. Der Waschtag war immer ein langer, harter Tag. Den großen Waschbottich im Keller heizte sie mit Kohle auf. Das Umrühren der mit Werkstadtschmutz behafteten "Blaumänner" des Vaters mit einem langen Holzstock, das Nachobentragen der Wäsche vom Keller in den Trockenraum im sechsten Stock war Schwerstarbeit.
Meine Eltern ermöglichten mir den Besuch einer Realschule. Des damals noch üblichen Schulgeldes zum Trotz.
Mit 20 Jahren verließ ich - arbeitsbedingt - die elterliche Wohnung.
In deinem Land, in deiner Stadt
hast du das Glück gespürt.
Man es von dir genommen hat,
man dich von dort vertrieb.
Du hast mich auf die Welt gebracht
in einer dunklen Zeit,
- im Krieg, in einer kalten Nacht -
man dann uns weitertrieb.
Wir kamen in ein Nachbarland,
man schob uns hin und her.
Ein Etwas hielt dich an der Hand:
der Überlebenstrieb.
Der Krieg war aus, du hast's geschafft
nach Bayern, in ein Dorf.
Du kriegtest neuen Mut und Kraft,
weil niemand dich hier trieb.
Ich wurde fast ein Bauernkind,
war still und gern allein.
Die Weide ich noch heute find',
zu der die Küh' ich trieb.
Von hier wir bald schon mussten fort,
in eine große Stadt.
Sie war, Mutter, dein letzter Ort,
dein letztes Heim es blieb.
Ich war noch jung, doch wollte weg,
wohin, das wusst ich nicht.
Das Schicksal zeigte mir den Weg,
Das Schicksal m i c h jetzt trieb.
Ich war ein Jahr in Rosenheim,
in mancher and'ren Stadt.
Ich brachte dir nie Blumen heim
und keinen Brief ich schrieb.
Dann wechselte das Land auch ich,
das Leben dies bestimmt.
Es war ein großes Glück für mich:
Die Liebe war's, die trieb.
Wir sahen uns einmal im Jahr,
du, Mutter, und dein Sohn.
Obwohl
© Willi Grigor, 2018 (Rev. 2020)