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Ralf und da, ehrlich, spähte der Geringelte pfeilgerade in Ralfs Gesicht, wie um Teilnahme bittend oder wie ein Komplize, der etwas Mut braucht. Man interessiert sich noch, mit Genugtuung stellte Ralf es fest. Jetzt cool bleiben und nachdenken, was man spricht, denn was von sich aus sagen würde der Jungspund doch nie. Er zog eine Marlboro heraus und reichte sich Feuer in weltmännischer Manier. Die Packung ging stracks der Neige zu. Viel zu viel geraucht hatte er. Kopfschmerz meldete sich an.
Ringelröckchen erhob sich und ging, ohne ihn noch einmal zu bemerken, wieder hinein in die Cruising-Zone. Kleine Anstandsfrist musste sein, mahnte sich Ralf. Doch als er im Dämmer dem Geringelten dann nachdackelte wie ein Depp, führte der sich auf, als würden Ralf und er sich gar nicht kennen und als wollte er daran, um Himmelswillen, auf keinen Fall etwas ändern. Er blickte sich um, es war ja schon alles richtig leer geworden. In den Winkeln gab es den Rudelbums nicht mehr, nur noch Zweiergruppen, die sich Zungen in den Hals steckten wie Pelikane, die mit dem eigenen warmen Blut darbenden Nachwuchs vorm Verdursten bewahren. Ringel-Shirt war mal hier, war mal dort. Dann kam er so fast gezielt auf Ralf zu, dass es schwer war, nicht an Vorsatz zu glauben. Ralf starrte böse, der Kleine sollte spüren, dass er nicht mochte, wenn Halbwüchsige ihn zum Objekt von labiler Spielerei degradierten.
Zehn Minuten nieselten hinweg, dann noch einmal zehn. Hoffentlich hat der sein eigenes Auto, dachte Ralf, und seine sturmfreie Bude, die noch vor dem Hardtgebirge liegen sollte. Und hoffentlich ist er auf mehr aus als fünf Minuten Wichserei gleich in der Halle. Wofür das Geschiss denn sonst?
Weiter changierte der Reizende, blond, ach ja, eigentlich Ralfs Geschmack doch nicht so, zwischen sehr tief angesiedeltem Interesse und neoliberalem Alles-passieren-Lassen. Diese Faxen hatte Ralf jetzt restlos dicke. Sollte dieser Kleine einfach mal leer ausgehen! Nächstes Wochenende würde der hier wieder sein und bestimmt noch mal denken an Ralf. Für zwei Minuten im Morgengrauen. Aber Ralf würde im Blue Bossa nie wieder sein. Das war entschieden.
Draußen bei den Tischen saß noch mal ein Einzelner und, es war wohl gerade Mode, auch dieser hatte ein farbig schmal geringeltes Hemdchen an, war blond und ungefähr 24 Jahre alt. Ralf zog ihn ganz unverblümt mit Blicken aus. Dem Burschen war er in der letzten halben Stunde drin auf dem Sportgelände mehrfach über den Weg gelaufen. Aber er hatte nicht begriffen gehabt, wie schön der war, obwohl schon wieder blond, ganz hell blond. Der sah fast aus wie der Erzengel Michael oder wie diese Burschen heißen, deren unbestechliche Gutheit von innen leuchtet. Panisch riss der Blonde den Kopf zur Seite weg. Ralf schlappte Richtung Ausgang.
Hinter einem kleinen Tischchen mit einer äußerst provisorisch wirkenden Geldschatulle darauf saß auf einem Stühlchen ein anderer als der von der Kasse gestern Abend, als Knut und er hereingekommen waren. Von hinten hatte sich ein junger Türke über seine Schultern gestützt, der auch zum Personal gehören mochte, jedenfalls beim Geldzählen scharf aufpasste. Ralf legte seinen Streifen mit den Strichen, die es für die Getränke gegeben hatte, auf das Tischchen und trat in den Morgen hinaus. „Hey du! Halt!“, wurde geschrien. Ralf sah sich um. „Und wo ist die Karte?“ Wieso? Wo schon sollte die Karte sein? Er hatte sie dem Typen gleich neben die Finger gelegt. Oder hatte er etwas falsch gemacht?
Vielleicht war diese Behelfskasse nur für die Nachzahler, die für mehr als zwanzig Mark konsumiert hatten. Vielleicht war dort hinten, wo sie vor Stunden den Eintritt bezahlt hatten, an der richtigen Kasse, einer, der die Streifen einsammelte, beziehungsweise nachrechnete oder gegenzeichnete und schrieb, was man noch schuldig wäre. Und hier dann unter der offenen Tür würde das eingesammelt. „Von dir kriege ich noch siebzehn Mark.“ „Siebzehn Mark, wieso?“, sagte Ralf so schuldlos wie möglich, hatte innerlich aber blitzschnell verstanden. Zwei Weizen und dann noch eine kleine Cola, das rechnete sich exakt auf siebzehn Mark hinauf. Er hatte jedes Mal genau nachgesehen, bevor er was bestellt hatte, damit er nicht über zwanzig käme. Knut, der schließlich jeden Samstag hierher kam, seit vielen Jahren, also es wirklich wissen musste, hatte es erklärt, bis zwanzig Mark verrechneten sie es mit dem Eintritt, darüber raus musste man noch was blechen.
Für Ralfs bedächtige Art hatte der Kassierer keinen Nerv. Ralf, der auch schon in anderen Schwulenläden gewagt hatte, aus der Reihe zu tanzen, erkannte den barschen Ton gleich wieder. „Des is nich wie immer heit“, sagte der auf dem Stuhl und der Türke sah ihn mörderisch mitleidig an wie einen Pflegeheiminsassen. Die Farbe der Karte weise nach, dass Ralf später als zweiundzwanzig Uhr eingetroffen sei, folglich hätte der andernfalls freie Eintritt zwanzig Mark ausgemacht, die Ralf wohl auch bezahlt habe. Aber das sei eben der Eintritt gewesen, nur der reine Eintritt, inklusive Freigetränk allerdings, hier unten sei dann dafür der Strich. „Abba heit is doch de zwett!“ Von vier Samstagen im Monat sei der zweite, am zweiten Samstag heiße es hier „boys only“, sonst dürften nämlich auch die Lesben und Schwulenmammis rein. Meist gehe es am zweiten Samstag dann am geilsten hier ab. Und deshalb seien die sonst üblichen Verrechnungsgeschäfte dann nicht drin, sondern müsse jede einzelne Leistung abgerechnet werden, wie sie auf dem Streifen schließlich auch stehe. Ein einziges Freigetränk habe Ralf zugestanden. Das Weitere sei er ihnen schuldig.
Knut, dachte Ralf, der nicht allein falsche Informationen mit dem Brustton der Überzeugung verkündet, sondern ihn zu allem hin, bevor er gefahren war, auch noch zum Bestellen seines dritten Weizen verleitet hatte, das es gar nicht gebraucht hatte! Knut hatte ihn wieder in die Scheiße geritten und das war nicht das erste Mal, wo so etwas vorkam.
„Da haben wir jetzt aber ein kleines Problem.“ Der Kur-Hesse, -Franke, -Pfälzer oder was das war, blickte frostig unbewegt, so auch nebendran der Türkentürsteher. „In meinem Geldbeutel sind nämlich jetzt nur noch, Moment, Moment, sind nur noch sechzehn Mark und sechsundachtzig.“ Was siebzehn fast waren. Vierzehn Pfennig hätte der Kassierer ruhig mal nachlassen können. Allerdings bliebe anschließend die Frage, womit er eigentlich die Rückfahrkarte zahlen