Es war einmal ...

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von Olaf Lüken

1967 gab es im Fach „Deutsch“ eine Untergruppe, die „Schönschrift“ hieß. Lange ist es her. Dass jeder Mensch eine schöne Handschrift braucht, galt einmal als selbstverständlich. Meine Lehrerin schrieb an die Kreidetafel mit eleganten Schwingungen, und ich malte sie ab. Einzeln. Bei mir führten die Buchstaben ein unstetes Eigenleben. Die Lehrerin warnte mich, mit dem Hinweis, dass ich später mal einen Beruf haben wolle und der Bewerbung einen Lebenslauf in tadelloser Schrift beifügen müsse. Bis zum Ende meiner Schulzeit stellte ich mich auf eine drohende Arbeitslosigkeit ein. Ich schrieb gern und viel. Leider waren die Ergebnisse meines Schaffens unleserlich. Wie viele Liebesbriefe werde ich wohl verfasst haben, die deshalb nicht beantwortet wurden, weil das angehimmelte Mädchen meine Zeilen nicht entziffern konnte. Je älter ich wurde, desto undeutlicher wurden meine Zeichen, die ich aufs Papier fingerte. Heute lache ich über meine Kritzeleien. Dass Freunde meine Handschrift lesen können, halte ich für ausgeschlossen.

Als ich die Schule beendete, verlangte niemand mehr einen handschriftlichen Lebenslauf. In manchen Schulen werden heute Laptops vorausgesetzt. Statt kratzender Kreidetafeln verschönern Whiteboards die Klassenzimmer. Mittlerweile findet man im Alltag kaum noch Handgeschriebenes. Schade. Ich halte alle persönlichen Briefe, die ich bekommen habe, in einem alten Lederkoffer aufbewahrt. Manchmal packe ich ein paar Schriften aus und tauche völlig in die Zeit von damals ein. Denn das ist, was ein handgeschriebener Brief einer E-Mail immer voraushaben wird. Jemand hat ihn berührt, beschrieben und gefaltet. Der Brief ist Zeuge eines Augenblicks, der nicht wiederholt werden kann.

Ich habe die Handschrift für mich neu entdeckt. Wenn ich lieben Freunden etwas Nettes schreiben will, nehme ich eine Karte, beschrifte sie und stecke sie in einen Umschlag. Viele Leute freuen sich, wenn sie etwas anderes finden als Rechnungen und Werbezettel. Auch wenn auf der Karte nur ein paar Worte stehen. Jeder Buchstabe ist handgemalt. Genau wie damals, als ich im Schönschriftunterricht mit meiner Sauklaue glänzen wollte und es nicht konnte.

(c) Olaf Lüken (13.04.2021)

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