Traurigkeit erfüllt mein Herz. Über den Geist, der die Welt im Moment zu ergreifen scheint. Wie eine Tsunami-Welle baut er sich auf, wird übermächtig, schwappt über alles hinweg, das fest gegründet schien und schwemmt Vieles von dem Guten, Tragenden einfach fort, hinterlässt nur Trümmer und Chaos.
Chaos auch in den Gedanken der Leute, die danach orientierungslos und verwirrt durch diese für sie fremd gewordene Welt irren. Das Gute ist fortgeschwemmt von der Gewalt der bösen Gedanken, die sich, stark geworden, jetzt immer mehr trauen, Gestalt anzunehmen. Es liegt zertrümmert, zu einem wilden Haufen aufgetürmt an Mauerresten, deren ehemalige Bestimmung man nur erahnen kann.
Denn das Böse hat gute Vorarbeit geleistet, es hat beizeiten in Mikroschritten untergraben und ausgehöhlt, was sattzufrieden fest schien, unterminiert durch Geltungssucht, marode gemacht durch Protzgehabe, Pöstchengerangel, schlecht verschleierte Gier, Doppelmoral, was den Menschen, den Seelen, Halt bieten sollte.
Wenn diese furiose Welle der Zerstörung ihr Werk vorantreibt, hat sie es auf so gut vorbereitetem Terrain leicht, ein Ende zu setzen dem, was Bollwerk hätte sein können. Und sollen. Bollwerk gegen das Böse.
Aber das Böse hat es immer schon leichter gehabt als das Gute, denn das Gute ist arglos. Es geht davon aus, dass alles so ist, arglos und direkt in seinen Wünschen, ohne Verkleidung, ohne todbringende Schattenspiele. Das Böse beherrscht diesen Mummenschanz in Perfektion. Es bietet ein Lächeln, während es die Säure einfüllt, die die Opfer innerlich zerfrisst, bis nur scheinbar noch etwas vorhanden ist, das Widerstand bieten könnte.
Das Böse, die Missgunst, der Neid, der Hass und das Selbstsüchtige an ihm und an den von ihm befallenen Opfern - gekleidet in "gerechte" Empörung - schreckt auch nicht vor der Nutzung anders gedachter Symbolik zurück, wenn es seinen (noch) versteckten Zielen dient. Es infiltriert geschickt und gekonnt das wehrlose Gute, das diesem Gedankengut gegenüber kein Bollwerk aufzubauen in der Lage war in seiner harmlosen Zugewandtheit und Offenheit.
Hier muss das Gute lernen, wachsam zu sein. Es muss lernen, den Warnhinweisen seines eigenen Inneren zu trauen. Nicht jedes offen dargebotene Lächeln ist aufrichtig, manches demaskiert sich selbst zu der Fratze, die es eigentlich ist, wenn man es mutig entlarvt.
Wer nicht aufpasst und rechtzeitig eigene Überlegungen, den eigenen Verstand einschaltet, selber denkt und klaren Blickes betrachtet, was einem das Böse so gerne gefärbt präsentiert, wer sich nicht den benutzerfreundlich servierten Stammtisch-Parolen unterwirft, den Schlag-Wörtern, hinter denen der Un-Verstand sich mit breiter Brust gerne eingliedern lässt in die ebenso lautstark krakeelende, gesichtslose Masse, der wird mitgeschwemmt, der läuft Gefahr, vereinnahmt zu werden und Teil des Rammbocks, den das Böse in die Herzen der Menschen treibt.
Das Böse ist nicht imaginär, abstrakt, es ist absolut greifbar, real und existent. Es macht sich Kritiklosigkeit und Mitläufertum zunutze. Es baut sein Reich geifernd aus, Opfer sind an der Tagesordnung, einkalkuliert und schulterzuckend akzeptiert. "Und willst du nicht mein Bruder sein, schlag' ich dir den Schädel ein ..."
Inzwischen kommt es auf jeden Einzelnen an, auf seine Bereitschaft, Front zu machen dem Bösen, die liebgewordenen Kuschelecken zu verlassen und offen zu dem zu stehen, was als ungutes Gefühl im Innersten brodelt und so gerne verschämt verdeckt wird, weil doch nicht sein kann, was nicht sein darf. Die eigene Nachbarin? Der eigene Mann? Ach, wird schon nicht so schlimm werden ...
Nein? Wer erinnert sich? Der zum Flüchtling wurde im eigenen Land nach der selbstinszenierten geschichtsträchtigen letzten Katastrophe? Ist das schon wieder zu lange her? Wie weit will man in der Geschichte zurückgehen, um auf den Menschen zu treffen, der nicht irgendwann von irgendwoher irgendwohin eingewandert ist - oder irgendwohin ausgewandert? Gezwungen oder gewollt? Daran konnte auch die dunkle Zeit mit dem Ahnenpass nichts ändern. Wie weit ist "Fern" entfernt? Hinter der Dorfgrenze? Hinter der Wohnungstür? Jeder von uns hat "Migrationshintergrund".
Für "Wehret den Anfängen" ist es lange schon zu spät. Das Böse hat gute Vorarbeit geleistet. Wir Menschen sollten nicht vergessen, dass wir es (hoffentlich noch) sind: Menschen!
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