Der Geist der alten Marte - Page 5

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von Magnus Gosdek

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über das offene Land und abends, wenn die Sonne am fernen Horizont in die See eintauchte und die sanften Wellen rot färbte, stellten wir unsere Stühle vor die Tür und genossen den Anblick.
Manchmal erhielten wir Besuch von dem Dorfpastor. Ich bin Zeit meines Lebens nie besonders gläubig gewesen, trotzdem empfand ich seine Anwesenheit immer als sehr angenehm. Pastor Reiners war ein gebildeter Mann, der sich hervorragend in Philosophie und Geschichte auskannte. Die Gespräche mit ihm verliefen sehr anregend und so geschah es nicht selten, dass sein Besuch erst weit nach Mitternacht endete und er gelegentlich unser Angebot, bei uns zu übernachten, annahm.
Der Sommer ging dahin und ich fühlte, wie diese Lebensweise meinem kranken Herzen wohl tat. Der örtliche Arzt, unter dessen regelmäßige Beobachtung ich mich begeben hatte, bestätigte mir diese Kräftigung meines Organs, aber er wies mich auch eindringlich darauf hin, dass ich noch einige Zeit dieser Schonung bedürfe und ich mich außerdem mit dem Gedanken abfinden müsse, dass ich Zeit meines Lebens dem Herzen besondere Aufmerksamkeit zu schenken hätte.
Im September wurde es kälter. Die ersten, leichten Stürme zogen über die See heran. Ursula hatte sich im Haus ein Zimmer hergerichtet, in dem sie wieder zu arbeiten begann. Zwar waren es keine Aufträge, für die sie hätte in die Stadt fahren müssen, aber sie fertigte Entwürfe für die Neugestaltung der Wohnzimmer des Pastors und Frau Mintrop, die mit ihrem Mann den kleinen Lebensmittelladen des Dorfes betrieb. Sie müsse in Übung bleiben, so erklärte Ursula, und außerdem mache es ihr Spaß.
Somit wurden meine Spaziergänge mit ihr seltener, was mich allerdings nicht daran hinderte, allein über die Marsch zu wandern.
Die Tage hatten sich bereits sichtlich verkürzt und es kam die Zeit, dass ich ausgesprochenes Vergnügen daran fand, mich in den Lehnstuhl an den Kamin zu setzen und Bücher über die Kreuzzüge zu lesen.
Eines Abends, es hatte zu regnen begonnen und die Tropfen klopften, wenn auch sanft, so doch unablässig an das kleine Fenster, welches zur Seeseite blicken ließ, saß ich wieder einmal in meinem Sessel und beschäftigte mich dem der wechselhaften Geschichte der Tempelritter. Meine Frau hatte sich in ihr Zimmer zurückgezogen und erprobte am Computer die Wirkung unterschiedlicher Farben im Stoffbezug von Frau Mintrops Wohnzimmergarnitur.
Ich hatte ein kleines Feuer im Kamin entzündet und die angenehme Wärme ließ mich ein Stück näher rücken. Entgegen meiner sonstigen Gewohnheit hatte ich dezente Hintergrundmusik angestellt und mich in mein Buch vertieft.
Da hörte ich plötzlich ein leises Klopfen an der Tür. Ich sah auf und lauschte. Wahrscheinlich war es der Wind gewesen, der heute bereits recht kräftig vom Westen blies. Und da, vernahm ich dieses Klopfen nicht wieder? Ich lauschte zur Tür. Ein drittes Mal, ganz sacht kam das Geräusch herüber, fast mehr ein Scharren und Kratzen, und als ich mich aus meinem Sessel erhob, huschte da nicht eine dunkle Gestalt am Fenster vorüber? Nein, kein Huschen, eher ein Gleiten, langsam, doch unaufhörlich. Ich ging hinüber zum Fenster und öffnete es, doch niemand war zu sehen; ich ging zur Tür, der Eingang aber war leer.
Ratlos schüttelte ich den Kopf. Es stand nicht zu erwarten, dass der Pastor uns heute besuchen käme. Dafür war es schon zu spät. Ich konnte mir nicht vorstellen, wer es sonst gewesen sein mochte und vielleicht, wenn ich es recht bedachte, hatte ich mich auch geirrt. Nur der Wind und der Regen waren es, die mir einen Streich gespielt hatten.
Als ich mich setzte und das Buch erneut zur Hand nahm, da hörte ich es abermals, und erneut glaubte ich einen Schatten am Fenster zu sehen. Doch auch dieses Mal blieb mein Nachsehen erfolglos. So setzte ich mich hin und lauschte. Aber so lang ich auch wartete, und das war fast eine Stunde, ich konnte die Geräusche nicht mehr hören. Schließlich nahm ich mein Buch wieder auf und las ungestört weiter.
Meiner Frau erzählte ich nichts von der Begebenheit, die, nachdem ich darüber nachgedacht hatte, sicherlich auf eine Sinnestäuschung zurückzuführen war und am nächsten Tag schien die Sonne in ihrem herbstlichen Glanz so verlockend, dass ich die Geschichte schließlich vergaß.
Doch ein zweites, seltsames Ereignis brachte die Erinnerung zurück. Es war ein paar Tage später. Wieder saß ich am Kamin, dieses Mal jedoch leistete meine Frau mir Gesellschaft und wir unterhielten uns über unsere weitere Zukunft hier auf dem Kotten, als wir unvermittelt aus der Küche ein Scheppern und Klirren vernahmen. Dieses Geräusch war so laut und eindringlich, dass ich es nicht durch den Westwind erklären konnte. Wir sahen uns beide erschrocken an und eilten hinüber, durch die Tür in die Küche. Da bemerkten wir Töpfe, die verstreut auf dem Boden herum lagen. Dazwischen zerborstenes Geschirr, unsere Teller und Tassen in kleine Teile zersprungen. Die hintere Ausgangstür stand offen und Regen fiel schräg auf das Holz des Bodens. Ich lief zur Tür und spähte hinaus, konnte aber niemanden entdecken. Meine Frau kauerte auf dem Boden und fegte die Scherben zusammen.
„Sicher ein paar Randalierer aus der Gegend“, sagte ich.
Sie sah mich ungläubig an, sagte aber nichts zu meiner Erklärung.
„Das ist doch unglaublich“, erboste sie sich stattdessen. „Wie ist hier denn jemand hereingekommen?“
An diese Frage hatte ich gar nicht gedacht. Für mich war es selbstverständlich, dass sie die Tür benutzt hatten, die wir immer verriegelt hielten. Als ich aber das Schloss untersuchte, war es unversehrt und, zu meinem Erstaunen, der Schließzylinder abgeschlossen.
„Morgen bringe ich den Einbruch zur Anzeige“, beschloss ich und Ursula stimmte mir zu.

*

Am nächsten Tag ging ich ins Dorf zur Polizeistation. Der Beamte war ein älterer, hagerer Mann und hieß Hein Olson. Er hörte sich meine Geschichte an und schüttelte den Kopf.
„So etwas ist bei uns in der Gegend noch nie vorgekommen“, sagte er und rieb sich das Kinn ausgiebig. „Jugendliche Randalierer gibt es hier einfach nicht.“
„Und wie erklären sie sich dann das Chaos in unserer Küche?“, fragte ich ihn aufgebracht, da er mir nicht so recht zu glauben schien.
„Vielleicht war es eine Katze, die sich verirrt hatte. Sie erschrak sich und warf das Geschirr herunter“, versuchte Olson zu erklären.
„Wobei sie vorher die verschlossene Tür öffnete“, fügte ich hinzu.
„Das ist allerdings

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Eine Geschichte um den Privatdetektiv Markus Braun.

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