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folgte mir. Wir traten auf den Flur hinaus und bemerkten, dass Felix und Pastor Reiners ebenfalls von dem Geräusch geweckt worden waren.
„Hört ihr das?“ fragte Felix und wir nickten.
Da brach das Seufzen unvermittelt ab. Wir vier gingen die Treppe hinunter und horchten weiterhin in die Stille hinein. Im Flur und Wohnzimmer war nichts zu entdecken. Wir öffneten die Tür zur Küche. Sogleich bemerkten wir den Schein der Kerze und, als Ursula das Licht einschaltete, das geöffnete Fenster, vor dem diese Kerze auf dem Sims stand. Eine leichte Brise wehte herein und die Flamme flackerte.
„Was, um Himmels Willen, hat das zu bedeuten?“ fragte der Pastor erstaunt.
Doch niemand von uns reagierte auf seine Frage. Nach wie vor standen wir unbewegt in der Tür und auch wenn ich natürlich nicht sagen kann, was die anderen in diesem Augenblick wirklich dachten, so war ich doch überzeugt davon, dass sie die gleiche Verunsicherung wie ich empfanden und nicht fähig dazu waren, in irgendeiner Weise vernünftig zu denken.
Felix gewann als Erster die Fassung wieder. Er eilte zu dem Sims, blies die Kerze aus und schloss das Fenster. Ursula neben mir hatte sich an den Türrahmen gelehnt und ich kannte meine Frau zu lange, um ihr Zittern nicht zu bemerkten. Ich legte ihr meinen Arm um die Hüfte und sie stützte sich auf meine Schulter.
„Dies ist aber nun langsam kein Spaß mehr“, knurrte ich erbost.
„In der Tat“, nickte Pastor Reiners, „das waren keine Randalierer. Es scheint mir viel eher ein Zeichen zu sein.“
„Das einsame Licht“, murmelte Felix.
„Wie bitte?“
„Das einsame Licht“, wiederholte mein Neffe. „steht im Fenster und weist dem Wanderer, der nicht nach Hause finden kann, den Weg.“
„Sehr pathetisch“, sagte ich, doch niemand hörte darauf.
In diesem Augenblick, so glaube ich nun im Nachhinein, dachten wir alle vier nur an eine Person, die wir mit diesem Verhalten in Verbindung brachten: Marte.
Doch niemand von uns sprach es aus. Zu unglaublich erschien es, dass an dieser alten Legende tatsächlich etwas dran sein könnte. Ein ruheloser Geist war schwer zu akzeptieren. Mein Kopf sträubte sich dagegen. Es musste, es konnte allein eine einfache, logische Erklärung für all diese Vorfälle geben.
Doch an diesem Abend, nachdem wir sämtliche Türen und Fenster überprüft und das Haus auf Eindringliche durchsucht hatten, wollte mir dazu nichts einfallen. Niemand von uns schien die Lust zu verspüren, ausgiebig darüber zu reden. Wir gingen wieder zu Bett und ich träumte von Geistern, die sich in unserem Pavillon einnisteten und sich vom Pastor Aristoteles erklären ließen.
*
Am nächsten Morgen war vom Regen der vergangen Nacht nichts mehr zu spüren. Die Sonne schien und zusammen mit ihr hob sich unsere Stimmung, dass keiner von uns den Vorfall der vergangenen Nacht erwähnte. Ursula widmete sich mit unverminderter Kraft der weiteren Planung des Pavillons und Felix stand ihr dabei zur Seite. Pastor Reiners verabschiedete sich bereits früh; er hatte im Dorf noch einiges zu tun.
Niemand von uns brachte die Sprache auf das Ereignis, und selbst wenn es höchst ungewöhnlich erschien, so war es wie eine stumme Übereinkunft, an die wir uns strikt hielten.
Trotzdem, aus irgendeinem Grunde, machte die Geschichte die Runde im Dorf. Ich hörte sie von Jan Helmes, als ich ein paar Tage später den Gasthof besuchte und meiner Meinung nach konnte es nur der Pastor gewesen sein, der das Stillschweigen nicht eingehalten hatte.
Selbstverständlich sah der alte Geschichtenerzähler ein Omen darin und wenigstens hatte er mit Herrn Leifert und Herrn Braun zwei neue Anhänger für seine Orakel gewonnen, dass er sich nicht mehr hauptsächlich auf mich konzentrierte, was mir in dieser Situation auch durchaus angenehm war.
Sie saßen gemeinsam mit Jan Helmes am Tisch und insgeheim amüsierte ich mich darüber. Diesen Hang zum Mystischen hätte ich den beiden nicht zugetraut. Ich hatte von ihnen den Eindruck gewonnen, sie wären als Handelsvertreter unterwegs.
Wie versprochen ging ich am Freitag zur Beerdigung von Herrn Leiferts Tante. Soviel ich wusste, hatte sie ihr ganzes Leben in diesem Dorf zugebracht und es verwunderte mich nicht, dass zu ihrem Begräbnis sehr viele Bewohner erschienen waren. Pastor Reiners hielt eine gefühlvolle Ansprache über die Erlösung und den Verlust eines Menschen. Er hatte Tante Lissie, so nannte er sie liebevoll in seiner Ansprache, ebenfalls gekannt und die Wertschätzung ihr gegenüber mochte sehr hoch gewesen sein, denn obwohl sein Ton sehr geschäftsmäßig klang, so schwankte die Stimmlage, woraus ich schloss, dass diese Arbeit ihm beträchtlich zu Herzen ging.
Christoph Leifert hatte einen schwarzen Anzug angezogen und stand zuvorderst am Grab. Markus Braun hatte ich in die hinteren Reihen zurückgezogen. Herr Leifert wirkte wuchtig, so wie er mit verschränkten Händen und gesenktem Kopf vor der zwei Meter tiefen Kuhle stand, wie ein griechischer Pankratiast, der die Götter vor dem Kampf um Beistand anflehte.
Markus Braun hingegen ließ den Blick durch die Reihen wandern und ich spürte, wie er mich ein paar Augenblicke ansah. Ich ließ mir nichts anmerken, verharrte starr in meiner demutsvollen Haltung und lauschte Pastor Reiners Stimme.
In einer halben Stunde war alles vorüber und die Gesellschaft löste sich auf. In kleinen Gruppen verließen sie den Friedhof. Viele von ihnen gingen nach Hause, einige jedoch auch in Piet Krügers Gasthaus.
Ich war einer der Letzten, der Christoph Leifert sein Beileid aussprach. Wortlos nickte er mir zu und ich wandte mich zum Gehen. Da trat sein Freund auf mich zu.
„Kann ich sie einen Augenblick sprechen, Herr Pohl?“ fragte er.
Ich war ein wenig überrascht, gestattete es jedoch.
Er warf Herrn Leifert einen kurzen Blick zu, schlenderte dann aber mit mir in einen der Seitenwege des kleinen Friedhofs. Ein Hain von Fichten beschattete hier die verwitterten Grabsteine, die zum Teil noch auf dem neunzehnten Jahrhundert stammten und sobald die Sonne uns nicht mehr direkt erreichte, wurde es empfindlich kälter, so dass ich froh war, meine warme Felljacke über den Anzug gezogen zu haben.
„Was kann ich für sie tun?“ fragte ich, als wir einen Teil des Weges zwischen den Grabsteinen durchgeschlendert waren.
„Ich habe gehört, was bei ihnen vor ein paar Nächten geschehen ist“, begann er und sah mich dabei mit schräg geneigtem Kopf an.
„So? Wird die Geschichte schon im Dorf erzählt?“ entgegnete
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Eine Geschichte um den Privatdetektiv Markus Braun.