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In der Finsternis hatte ihm der Mörder aufgelauert und den Schädel eingeschlagen. Als er aufgefunden wurde, war dieses Geld verschwunden.
Die Polizei suchte überall nach dem Täter, aber nirgends war eine Spur von ihm zu entdecken. Jetzt war allgemein bekannt, dass Hendrik Jörgens wegen eines Geschäftes, in dem der Händler ihn übervorteilt hatte, mit dem Toten auf keinem guten Fuße stand und so kamen die Beamten zu dem Kotten, Hendrik zu befragen.
In der Küche, hinter den Kacheln des Ofens, fanden sie die Börse des Händlers mit dem gesamten Geld.
Hendrik beteuerte seine Unschuld, aber die Polizisten glaubten ihm nicht. Sie verhafteten ihn gerade in dem Augenblick, als Uwe in die Stube trat. Er erkannte das Unglück, das seinen Bruder nun überkam und stürzte sich auf die Polizisten, die ihn schon am Arme hielten. In diesem Handgemenge kam Hendrik plötzlich frei und der Bruder stieß ihn zu der Tür.
„Flieh, flieh!“ rief Uwe ihm zu und Hendrik, noch überwältigt von Schmerz und Not, lief aus der Tür. Er kannte das Marschland so gut wie kein anderer und so fiel es ihm nicht schwer, ein Versteck für die Nacht zu finden.
Als er in der tiefsten Stunde zurückschlich, gewahrte er, dass die Polizeibeamten eine Wache auf dem Kotten zurückgelassen hatten und er nicht mit seiner Marte und seinem Bruder sprechen konnte.
Er war nun ein Verbrecher und keiner würde ihm mehr glauben, dass er unschuldig an dem Mord sei. Was sollte er bloß tun? Wenn sie ihn fassten, so würde er ein Leben lang im Gefängnis sitzen und nichts, nichts konnte ihn davor bewahren.
Doch hatte er ja Frau und Kind und er sehnte sich so sehr nach ihnen. Vier Tage blieb er im Versteck und in jeder Nacht versuchte er, zu dem Kotten zurückzukehren. Die Wache aber passte auf. So wusste Hendrik, dass er inzwischen alles verloren hatte und er floh nach Bremerhaven, wo er auf einem Schoner anheuerte und die gute alte Welt verließ.
Einige Jahre blieb er verschollen und Uwe war der neue Herr des Kottens geworden. Marte lebte weiterhin mit Hendriks Kind dort. Sie wartete auf ihren Mann. Die Leute auf der Marsch begannen, darüber zu reden, dass es nicht recht sei, wenn sie mit ihrem Schwager an jenem Ort so alleine wohnte und sie mieden das Haus.
Uwe war kein guter Bauer. Er hatte nicht den Fleiß und das Wissen, um dieses Land zu bewirtschaften und auch seiner alten Gewohnheit, die Gasthäuser der Umgebung zu besuchen, schwor er nicht ab. So ging es mit dem Besitz bergab. Das Haus verkam, die Felder lagen brach und Marte, in ihrem Kummer, klammerte sich an ihren Sohn, mittlerweile bereits ein hübscher Knabe von zwölf Jahren, der im Gesichte so aussah wie sein verschollener Vater.
Hendrik fuhr über alle Meere und brachte es mit seiner Geschicklichkeit bis zum Steuermann. Nie aber vergaß er Frau und Kind auf der Marsch, so weit entfernt. Dann, eines Tages, fuhr ein Segler zurück nach Bremerhaven und Hendrik entschloss sich, zu seiner Familie zurückzukehren. Lange Jahre hatte er sich auf dem Meer versteckt, dass er glaubte, es wagen zu dürfen. Sie überquerten den Atlantik und schnell segelten sie an der Küste der lang ersehnten Heimat vorbei, dass Hendrik schon in der Ferne sein Haus zu sehen glaubte. Und stand davor nicht eine Frau mit einem Knaben? War das nicht seine Marte? Noch ein paar Stunden, dann würde er zu ihr eilen.
Doch ist die See auch ruhig, das Ungeheuer schläft niemals. Ein Sturm zog auf, dass die Wogen fünf Meter hoch wuchsen. Der blanke Hans zeigte sein wahres Gesicht. Das Schiff, ein Zweimastschoner, schlingerte auf der geifernden See und noch lange hatte das Ungeheuer nicht seine wahre Macht gezeigt.
Da rollte eine Welle an, so hoch, dass die weiße Krone nicht zu erblicken war und Hendrik wusste, dass nun seine letzte Stunde gekommen war. Die Woge trug das Schiff empor, fast bis auf die Spitze der geifernden See, und fiel plötzlich ab, dass es für einen Moment erschien, als fliege der Schoner. Längst waren schon die Masten gebrochen und die Matrosen schrien ihr Weh! heraus. Der Kapitän betete zum Allmächtigen, doch in der tosenden See war kein Laut davon zu vernehmen. Und Hendrik klammerte sich an der Reling fest, den Blick zur Marsch gerichtet, die er nun nicht mehr zu sehen vermochte. „Marte! Meine Marte!“ rief er gegen den Sturm, jedoch vermischten sich die Worte mit dem Salz der tobenden See.
Als das Schiff aufschlug, zerbarst es in tausend Stücke und der blanke Hans verschlang alles, was sich darauf befunden hatte.
Am anderen Morgen lag die See wieder friedlich im Sonnenschein, als habe es ein Gestern nie gegeben. Marte ging hinunter zum Deich, um auf das Meer zu blicken, so wie sie es jeden Morgen tat, seitdem ihr Mann geflohen war. Dort stand sie dann fast eine Stunde und stierte auf den gleißenden Spiegel hinaus, wartend, hoffend auf ein Zeichen des Geliebten. Als sie an diesem Morgen aber auf dem Deich stand, gewahrte sie einen reglosen Körper am Uferstrand und sie lief hinab, um zu sehen, ob sie helfen könnte. Reglos lag der Körper da und aufgedunsen wirkte er vom Wasser, das in ihn eingedrungen war. Und trotzdem, als sie in die gebrochenen Augen blickte – und auch der Mund, so zart in seinen Zügen –, da wusste sie, dass es ihr Hendrik war.
Schnell lief sie zum Kotten und holte Uwe. Dieser lief hinunter zum Deich und sah in des Bruders Antlitz. Marte hatte er ins Dorf geschickt, um Hilfe zu holen.
„So bist du doch zurückgekehrt“, sprach er in die leeren Augen des Toten. „Warum nur hast du das getan? Deinen Tod wollte ich nicht.“
Dann, als er sich nach einigen Augenblicken, in denen er den wässrigen Leib seines Bruders betrachtete, umwandte, bemerkte er, dass Marte hinter ihm stand. Sie hatte Sören ins Dorf geschickt und war dem Schwager nachgeeilt.
Und nun, als er die Worte gesprochen, da erkannte sie, dass Uwe es gewesen war, der den Händler umgebracht und den Bruder zur Flucht verleitet hatte. Ein Grauen erfasste sie und als
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Eine Geschichte um den Privatdetektiv Markus Braun.