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auf den bogenförmig geschwungenen Balkon, der sich um das halbe Haus erstreckte, genossen den Blick und waren rundum zufrieden mit unserer neuen Bleibe.
Jetzt kam aber die immer wieder spannende Inaugenscheinnahme der Betten und die folgende Diskussion, wie, wo wir schlafen sollen. In dieser und der oberen Etage war ein Schlafzimmer mit diesen von uns so ungeliebten Queen-size-Doppelbetten mit nur einer Matratze. Auch die Zudecke war gemeinsam für beide Schläfer. Im oberen Schlafzimmer handelte es sich aber um ein Queen-size-Doppelbett mit extra Überbreite. Dies wählten wir. Getrennt schlafen in verschiedenen Stockwerken ist ja auch nicht das Richtige. Vielleicht kommen wir (ich) ja hier störungsfrei zurecht. Gullan bekam eine normale Decke, die wir in einem Schrank fanden und ich die zusammengefaltete, dünnere Zudecke.
Vor dem Schlafengehen lasen wir im Computer die E-Mails, die wir bekommen hatten.
Die Nacht verlief gut und störungsfrei. Wir waren zufrieden mit unserem geräumigen Schlafzimmer mit eigenem Balkon. Durch einen angrenzenden Kleiderraum kam man in das, man kann sagen luxuriöse Badezimmer mit Badewanne, Dusche, zwei Waschbecken, Toilette und großem Fenster mit Blick auf das Meer.
Mein erster Entdeckungsspaziergang vor dem Frühstück zog sich in die Länge. Ich nahm die schmale Straße nach unten Richtung Meer. Dann müsste ich schneller an einem der Supermärkte sein als wenn ich den Weg gehe, den Ray gestern gefahren ist, dachte ich. Wir hätten Julies kleines Auto während unseren Aufenthalts hier haben können. Wir verzichteten darauf, wir benutzen lieber öffentliche Verkehrsmittel als auf der linken Straßenseite zu fahren. Julie freute sich, sie konnte das Auto gut gebrauchen. (Ein paar Mal beim doch ziemlich langen und schweißtreibenden Aufwärtsrückmarsch vom Zentrum hätten wir gern ein Auto gehabt.) Die kleine Anliegerstraße endete bald, aber ein seeehr steiler Pfad führte nach unten auf den seeehr stark befahrenen State Highway 6, der zwischen Berg und Bucht eingeklemmt und hier nur zweispurig ist. Gehweg war nur auf der Meerseite. Die Straße machte hier einen Bogen und es war fast lebensgefährlich, die Straßenseite zu wechseln. (Als ich mit Gullan später diesen Weg ging, wartete ich wohl 10 Minuten auf der anderen Seite bis Gullan auch endlich rüber kam.)
Endlich drüben marschierte ich nach rechts in Richtung Innenstadt. Ich merkte bald, dass dies ein längerer Spaziergang auf einer verkehrsreichen Straße entlang von Hafenanlagen wird. Aber umkehren ohne frisches Brot und Kuchen wollte ich auch nicht. Ich ging in einen Laden an einer Tankstelle wo man aber gar keine frische Lebensmittel hatte. Noch ein Stück weiter, dann links und bald darauf siehst du Woolworth, sagte man mir. Als ich ein Stück weiter gegangen war sah ich an einer Kreuzung zwei Frauen, die Schüler über die Straße lotsten. Erwachsene Schülerlotsen sind üblich in sowohl Australien als auch Neuseeland. Sie erklärten mir den Weg nach Woolworth, den ich auch schnell fand. Ich fand auch das, was ich suchte: Gutes Brot, Brötchen und Kuchen. Ich befand mich in der Innenstadt und wäre am liebsten den Weg nach Hause gegangen, den Ray gestern gefahren ist. Ich hatte aber keinen Stadtplan mit und war unsicher ob ich diesen Weg finden würde. Gullan wartete wahrscheinlich schon. Handy hatte ich nicht. Wir sind bisher bei unseren Australienreisen ganz ohne Handy ausgekommen. Also ging ich den besch... aber bekannten Weg wieder zurück. Als ich vor einer knappen Stunde los ging war es richtig frisch, ungefähr so wie an einem schönen Sommermorgen in Schweden. Jetzt aber war es ziemlich warm in der Sonne. Der steile Aufstieg zum Haus brachte mich außer Puste und zum Schwitzen. Gullan hatte sich schon Sorgen gemacht. Unser erstes Frühstück auf dem langen aber schmalen Balkon bei herrlicher Aussicht schmeckte gut. Die Sonne kam gegen 11 Uhr über das Dach des Nachbarhauses und verscheuchte den Schatten vom Balkon. Dies wurde unsere Frühstückszeit, da es morgens im Schatten zu kühl war. Ein merkbarer Unterschied zu Auckland. Nelson liegt aber auch ein ganzes Stück weiter südlich.
Gegen 13 Uhr packte Gullan meinen Rucksack mit Wasserflasche, Obst, Brieftasche und Kamera und wir machten uns auf, die Innenstadt zu erkunden. Wir gingen den gleichen Weg, den Ray mit uns gefahren ist. Die langgezogene, abschüssige Straße nach unten, dann links eine uninteressante Straße entlang und bald waren wir in der Innenstadt. Ein Spaziergang von vielleicht 20 Minuten.
Der klar abgegrenzte Kern der Innenstadt besteht aus den Vierteln rechts und links der Trafalgar Street und ist ein außerordentlich gemütliches, beschauliches und schönes Einkaufs- und Bummelzentrum. Die Häuser sind durchweg zweistöckig und die baumgesäumten Straßen blumengeschmückt. Am Ende der Trafalgar Street steht auf einem Hügel die Christ Church Cathedral.
Wir gingen den Kirchenhügel hinauf und bestaunten einige riesige Eukalyptusbäume. Ein Schild gab Auskunft, dass sie 1862 gepflanzt wurden. Gullan stellte sich vor den dicksten und ich verglich ihren Hüftumfang mit dem des Baums, der mit einem Umfang von 6,2 m eindeutig gewann. Aber er war ja auch älter.
Unser eigentliches Ziel war das Visitors Centre, wo wir einen Stadtplan und Ausflugsbroschüren holen wollten. Ein Flug mit dem Hubschrauber ein Stück in das bergige aber weglose Landesinnere wäre die einzige Möglichkeit, die genuine Natur zu erleben. Das war aber viel zu teuer. Eine Tagestour zum Abel Tasman Nationalpark war aber ein muss. Er ist gar nicht so weit weg von Nelson, seinen Bergrücken sehen wir von unserem Balkon am Horizont.
Danach gingen wir wieder zurück zur Trafalgar Street. Ich hatte an einer Straßenecke eine Wurstbude gesehen ("Wurstwagen" stand auf einem Schild) und hatte nun Appetit auf eine echt deutsche Bratwurst. Ich sprach mit dem jungen Mann im Wagen. Es stellte sich heraus, dass er Deutscher war. Er hieß Philip und kam aus Leverkusen. Er reiste seit einem halben Jahr durch Neuseeland und verdient sich das Reisegeld mit solchen Gelegenheitsarbeiten. Die Wurst und der Wagen ist von einem deutschen Metzger, dessen Geschäft gleich um die Ecke lag. (Ich musste an den jungen deutschen Mann Ulrich Heck denken, der mit seiner Familie nach Neuseeland ausgewandert ist und heute einen deutschen Metzgerladen in Christchurch, knapp 300 km von hier, betreibt. Gullan und ich haben ihn in dem Vox-Fernsehprogramm "Good bye Deutschland" begleitet.) Die Wurst und der Senf schmeckten wirklich gut und ich übergab sie Gullan, die
© Willi Grigor, 2010 (Rev. 2017)