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wohnen.
Zum, vermeintlichen, Abschluss unseres Zusammentreffens machte ich noch ein Foto von den beiden. Da wollten sie uns unbedingt noch zu einem Tee in ihrer Hütte einladen. Ich war etwas neugierig wie sie wohnten, sah zu Gullan und willigte ein. Auch der Kaffee lockte. Mittlerweile waren schon eine Reihe von Hochzeitsgästen eingetroffen. Ein großes, offenes Zelt stand nicht weit neben uns und die Tische hinter dem Haus waren festlich geschmückt.
Wir wendeten uns um, um den Pfad hinaufzugehen. Da sagte Bernd, dass wir uns das kleine Häuschen, vor dem wir standen, noch schnell ansehen müssen ("..wenn ihr noch 2 Minuten Zeit habt" sagte er mehrfach). Darin hat der Dalai Lama 2002 meditiert, als er Nelson und dieses historische Haus besucht hat. Wir gingen in das alte, originalgetreu renovierte Häuschen, kletterten eine alte Holzleiter hinauf und standen in einem kathedralenähnlichen Dachboden, in dem der Dalai Lama sicherlich gut meditieren konnte.
Dann gingen wir weiter den Pfad nach oben und standen auch schon in einem Garten mit verschiedenem Gemüse: Tomaten, Erbsen, Zucchini, Paprika und weitere unbekannten Pflanzen. Ich pflückte und aß natürlich gleich von den kleinen Cocktailtomaten. "Hier versorgen wir uns mit allem was wir so brauchen", sagten Petra und Bernd. Sie seien aber keine Vegetarier. Ein Blick zu ihrer Hütte verriet uns, dass sie sehr einfach wohnen. Eine kleine aber nette Hütte mit Wellblechdach, die großen Flügeltüren auf der Sonnenseite standen weit offen. Zwei bequeme, himmelblaue Plüschsessel und ein Tisch standen vor der Hütte, auch ein Grillofen mit hohem Schornstein. Dahinter der Berg mit Wildbewuchs. Es sah alles superromantisch aus.
Betreffend ihrer gewählten Lebensform erfuhren wir später in einer E-Mail: “Wir sehen uns nicht als Aussteiger sondern Umsteiger. Wir gestalten unser Leben nach dem Prinzip: weniger ist mehr. Für uns zählen Freiräume mehr als Luxusgebundenheit, unsere Karriere heißt weniger Konsum und dafür mehr Freiräume. Die Freiräume nutzen wir, um Dinge zu tun, die uns erfüllen, glücklich und zufrieden machen, denn Konsum bindet.”
Ein kluges Paar, das den Willen und die Kraft besaß, in ein einfaches Leben mit Freiräumen umzusteigen.
Petra und Bernd erzählten, dass sie kein Wasser hatten als sie hier einzogen. Die Wasserzu- und -ableitung im Haus hat Bernd gelegt, nur kaltes Wasser, dafür aber einen Wasserkocher zum Erhitzen, eine Küchenecke, die mit allem Erforderlichen ausgerüstet ist: Ofen, Kühlschrank, Gefrierfach, ausreichend Arbeitsfläche. Toilette und Dusche benutzen sie im Haupthaus. Strom haben sie natürlich, auch einen Fernseher. "Braucht man hier aber nicht bei dem dürftigen Programmangebot." Wir stimmten zu, weil das auch unsere Erfahrung ist. Das gilt übrigens auch für Australien. Im Raum gab es u. a. ein Bett und ein Sofa. Bei Sonnenschein (gibt es hier fast ständig) lässt es sich hier sicher gut aushalten. Die kalten Winternächte (bis minus 2 Grad) sind ein Problem. Sie hatten sich zwei elektrische Heizkörper angeschafft.
Ich fragte mich, ob diese einfache Unterkunft (die aber zu ihrer gewählten Lebensform passt) eine angemessene Bezahlung ist für die Arbeit in dieser ziemlich großen Gartenanlage rund um das Haus. Sie hatten hier allerdings keinen 8-Stunden-Tag sondern bekamen immer wieder gewisse Aufträge von der Verwalterin. Dazwischen hatten sie Zeit für andere Jobs, die sie sich suchten, um Geld fürs Leben und Reisen zu verdienen.
Bernd ging in die Küche, spülte vier Tassen ordentlich mit Heißwasser ab und betonte, dass die Tassen wirklich sauber sind. Wir tranken Tee und probierten zwei Sorten Manuka-Honig. Man erklärte uns, dass dieser auch als Medizin benutzt wird, vor allem durch Aufstreichen auf Entzündungen. Ich holte meinen dunklen Honig vom Markt aus dem Rucksack und ließ unsere Gastgeber kosten.
Wir erfuhren, dass Bernd Maschinenbau-Ingenieur ist und Petra doktoriert hat (Doktor der Agrarwissenschaften). Beide gaben eine erfolgreiche berufliche Laufbahn auf. Ihre Chefin hier ist die Verwalterin dieses Anwesens. Der Kontakt zu ihr ist nicht so gut. Manchmal kriegen sie nur einen Zettel, auf dem steht, was sie machen sollen.
Kontakt zu Deutschland halten sie via Internet, sie dürfen dazu einen Computer der Verwalterin benutzen. Besuch aus Deutschland hatten sie ein paar mal. Bernd war seit der Ausreise nicht wieder in Deutschland, Petra vor zwei Jahren als ihr Vater starb. Da sie hier an einem Ort wohnen, an dem Spaziergänger vorbeikommen (so wie wir) und Petra und Bernd kontaktfreudig sind, ergeben sich immer wieder neue Bekanntschaften.
Dann erzählen sie uns noch, dass sie bald von hier weg müssen, die Verwalterin hat andere Ideen für diese Hütte. Beide (vor allem Bernd) waren aber voller Optimismus, dass sie in Nelson bleiben können, genug Arbeit bekommen und auch ein kleines aber richtiges Haus am Rande von Nelson werden mieten können. Wir wünschten ihnen viel Erfolg und wollten aufbrechen. Da sagte Bernd: "Wenn ihr noch zwei Minuten Zeit habt, gehen wir ein Stück den Berg hinauf und ihr könnt schöne Fotos von der Stadt machen." OK. Nach wenigen Schritten eine kleine Pause. Sie zeigten uns ihr eigenes Projekt, um den zum Teil verwilderten Großgarten wieder parkähnlich zu machen. Sie hatten hohes Gras und Büsche gerodet und an die 20 neue Bäume gepflanzt. Bäume pflanzen ist wichtig.
Dann hörten wir deutlich ein mehrere Minuten langes Glockenspiel von der Kirche. Wir wurden richtig andächtig in diesem Buschwald am Berghang.
Dann sagte Bernd: "Wenn ihr noch zwei Minuten Zeit habt, zeige ich euch den Platz, wo eine Maori ab und zu einem alten Brauch nachgeht: Sie schwingt ein besonders geformtes Holzstück an einer Schnur im Kreis und erzeugt damit unterschiedliche Töne.“ OK, schauen wir uns an. Es war natürlich nicht mehr als ein abgetrampeltes Stück Erde, umgrenzt von einigen Bäumen aber sicher ein Erlebnis, wenn man diese urtümliche Art Musik hier im Wald live hört.
Beim weiteren Weg nach oben zeigte man uns noch mehrere Bäume (California Redwood), die hier vor 130 Jahren gepflanzt wurden. Jetzt sind wir bald oben, sagte Bernd. Wir kamen zu einer Lichtung, die einen sehr schönen Blick auf die Stadt und das Meer freigab. Wir haben zwar nicht ganz den Gipfel aber doch den Zweck der Wanderung erreicht.
Auf dem Weg nach unten erzählte Bernd immer wieder neue interessante Dinge. Man merkte, er hatte Bedarf zu sprechen. Ich fragte, ob sie nicht Kontakt mit anderen Deutschen hier hätten. Deutsche wollen sich im Ausland ja gerne zusammenschließen. Er sagte, dass sie sporadischen Kontakt haben, das dies aber schwierig ist. "Wenn ich für einen Deutschen arbeite, werde ich bezahlt, das ist aber auch alles." Ich glaube, dass sie gar nicht so viel Kontakt suchen, sondern mehr die Anerkennung ihrer Art zu leben. Ich habe ja selbst auch nie in Schweden den Kontakt mit einer "Deutschen Vereinigung im Ausland" gesucht.
Gullan und Petra gingen langsamer und waren weit hinter uns. An ihrer Hütte angekommen sahen wir, dass die Hochzeitsfeier begonnen hatte. Gäste standen am großen Zelt und tranken und waren fröhlich. Eine Gruppe festlich gekleideter Mädchen wanderte lachend ein Stück den Pfad hinauf, den wir vorhin gingen. Es war ein hübscher Kontrast zu der kargen Umgebung und unserer Kleidung.
Petra und Gullan waren jetzt auch angekommen und wir wollten jetzt ernsthaft Abschied nehmen von diesem sympathischen Paar (er 47 Jahre, „fühlt sich aber wie 29“, sie sicherlich etwas jünger). Petra und Bernd wollten uns aber unbedingt noch einen Beutel mit Tomaten und Erbsen mitgeben. Wir bestanden darauf, zu bezahlen, was sie aber nicht wollten. OK, sagte ich, ihr schenkt uns Tomaten und wir schenken euch 10 Dollar. Das war in Ordnung. Wir bekamen noch ihre E-Mail-Adresse und dann wanderten wir wieder Richtung Innenstadt. Wir fühlten, dass diese Begegnung ein echter Glücksfall war.
Jetzt waren wir den ganzen Tag auf den Beinen und haben nur ein kärgliches Frühstück, einige Tomaten und eine Scheibe Brot mit Honig gegessen, dazu Tee. Die Wasserflasche im Rucksack war leer. Wir nahmen den kürzesten Weg zum Supermarkt, kauften nur soviel ein, dass der Rucksack nicht zu schwer war. Wir hatten ja zum Abschluss noch den knappen Kilometer langen und sehr steilen Anstieg zu unserem Haus zu bewältigen. Wir schafften ihn auch diesmal, aber es war knapp.
Wir duschten, aßen und legten uns früh zu Bett. Der 6. März 2010 war ein guter Tag für uns.
© Willi Grigor, 2010 (Rev. 2017)
Zugehöriges Gedicht:
literatpro.de/gedicht/230116/du-schoenes-stilles-musterland