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den Fünfzigern als ganz ungeschlachte Verbrecher durch Raubüberfälle, Brandstiftungen, Entführungen notorisch wurden, von Ray Davies, Morrissey und Blur in ihren Songs erwähnt. Sie sind tatsächlich Legende, unzählige Bücher zum Thema geschrieben, einem folgt der Film „Legend“. Man begreift nicht mehr ganz, was sie mal dermaßen herausragend machte. Es war wohl ihre Zugehörigkeit zum Medien-Hype „Swinging London“. Die Krays, einer ein gut angezogener Romeo, der andere ein psychopathischer, bebrillter, schwuler Lispler, hatten zu Anfang der sechziger Jahre als Schutzgelderpresser lukrative Nachtlokale im West End in die Finger gekriegt. Spielcasinos, Musik-Clubs; jeder wusste, sie waren schon mal schlimme Buben gewesen, aber nun waren die Krays eben respektable Clubbesitzer geworden. Frank Sinatra, Randolph Scott, Joan Collins, Timi Yuro, Judy Garland, Diana Dors ließen sich mit ihnen ablichten. Das Fernsehen berichtete. Es sind weniger spektakuläre Raubzüge oder Morde als ihr Promi-Darling-Status, der sie unvergessen machte. Was in England auch gut zieht: Unter Wilson wurden Ermittlungen eingestellt, als ein Oberhaus-Lord in Ronnies Wohnung an Partys mit Strichern teilgenommen hatte, die Boulevardpresse Wind bekam, das Ansehen der politischen Klasse angeblich auf dem Spiel stand. Am Ende kommt der Film zu einem keineswegs glanzvollen Ergebnis: Kriminelle, das sind egomanische Soziopathen, zur Empathie unfähig. Beide Krays, auch der höfliche Reggie, rasten aus, nachdem ihre Vertrauten sie als Loser erlebt haben. Mit stümperhaften Morden vor den Augen mehrerer Zeugen massakrieren sie, wer sie in Frage gestellt hatte. Das sieht schlimm aus, vor allem jedoch reichlich dämlich. Von wahren Legenden hätte man sich da mehr Klasse erhofft. Der Amerikaner Brian Helgeland konnte Ruhm als Drehbuchautor erringen, als er die Vorlagen zu „L.A. Confidential“, „Mystic River“ und „Die Entführung der U-Bahn Pelham 123“ adaptierte, hat mit seinen eigenen Projekten („Ritter aus Leidenschaft“, „42 - Die wahre Geschichte einer Sportlegende“ (über einen schwarzen Baseballspieler)) bisher aber noch nicht reüssiert. „Legend“ fesselt schon immer mal, hat aber auch Längen. (Der Film lief im Herbst in den USA mittelprächtig, startet in Deutschland am 7. Januar 2016.) Helgeland kann sich nicht entscheiden, ob er die Krays als Komödianten einer kaltschnäuzigen Brutalität (Tarantino-Schule), als Angeber-Playboys, Zeiterscheinung aus einer sich mausernden Weltstadt oder als Sozialkritiker verstehen möchte. Dann entscheidet er sich, den Stoff auf die eine, verunglückte Liebes- und Ehegeschichte Reggies mit einer kleinen Sekretärin hin zu trimmen. Tom Hardy spielt die Zwillinge hervorragend. Man glaubt, verschiedene Menschen zu erleben. Jedoch sind Zweifel auch da erlaubt. Mit der Entscheidung für diese Doppelrollen-Performance wird der Film zu einer Art Renommee-Stückchen für diesen einen Akteur. Ihm traue ich auf längere Sicht den anhaltenden Weltruhm gar nicht zu. Er kann sicher viel, aber er hat von Natur aus jene eingängige, strahlende Schönheit von Männern wie George Clooney, Brad Pitt oder Cary Grant eben nicht mitbekommen.
Teil O
Langweilige Meisterwerke
Carol
Ach, „Carol“ soll sehr gut sein ... Ich war aber eher froh, als es irgendwann dann mal wieder aus war. Aber was sollst du als gutbürgerlicher Kritiker in einem Intelligenzblatt schreiben, wenn eine glorreiche Autorin wie Patricia Highsmith, die doch lesbisch war, auch wenn das nicht so bekannt wurde, einen Non-Krimi in ihrer Jugendzeit geschrieben hat, in dem es um die Liebe zwischen zwei Frauen in der Weihnachtszeit auf einer Autofahrt von der Ostküste bis Chicago geht. Die Zeit ist Anfang fünfziger Jahre. Seinerzeit musste das Buch dann eher versteckt bleiben, weil die Autorin doch zu gut war, um für den Rest ihres Lebens als Lesbenautorin abgestempelt zu sein. Und dann hat eine (viel jüngere) Vertraute von der Highsmith schon Anfang der Neunziger ein Drehbuch für ein Filmvorhaben geschrieben und das konnte dann bis jetzt nie verwirklicht werden. Nämlich jetzt von dem amerikanischen Vorzeige-Queer-Cinema-Regisseur Todd Haynes. Er macht genau wieder diesen ergreifenden Film mit den wunderschönen Details, wie er das bei „Dem Himmel so fern“ getan hat. Als schrieben wir immer weiter das Jahr 1959, das also wären Tabus, die wir ganz unerschrocken angreifen und wir heißen Douglas Sirk, haben Melodrama im Sinn. Rooney Mara spielt die Kleine, kennt man noch nicht, aber sie ist hinreißend, Audrey Hepburn, falls es das noch geben könnte. Cate Blanchett spielt die Ältere, Carol, die ängstliche Verführerin von der Kleinen - mit Ehemann und Kind im Hinterhalt. Welch grandiose Altersrolle für eine große Darstellerin. Aber: Im Buch ist Carol doch erst 32 und die Kleine ist gerade mal 19.
Todd Haynes ist gewiss nicht dumm und weiß, was der Film - heute - erzählen sollte. Nämlich, dass es von einem bestimmten Punkt an völlig egal ist, ob du schwul, hetero oder lesbisch, ob du Mann oder Frau bist, natürlich sind es jedes Mal die 32-Jährigen, die Geld und schöne Häuser und tolle Autos haben, die die 19-jährigen Aushilfsverkäuferinnen aufscheuchen, verführen und zu sich hinan bilden. Wenn aber die 19-Jährigen gemerkt haben, dass sie, im Gegensatz zur Älteren, das Zeug zur Künstlerin besitzen und die Ältere sich von ihrer Familie nicht trennen will, dann kann man sich noch so lieben, irgendwann wird der kleine Vogel den großen verlassen und weiter fliegen; er hat noch vieles vor sich. Patricia Highsmith hatte das Drama jenseits aller sexuellen Orientierung allerdings nicht thematisiert, sondern das eher althergebrachte Motiv einer wegen Flatterhaftigkeit verspielten Liebe. Erst verrät das Mädchen Carol, dann rennt sie zu ihr wieder zurück. Im Film von Todd Haynes, der an dieser Stelle abbricht, weiß man nicht so genau, will sie mit ihr zusammen sein oder wird sie sie erschießen, weil Carol sie nicht über den bürgerlichen Background stellen wollte. Aber, mein Gott, bis wir da erst ankommen! Bei uns heute hat jeder nach höchstens zehn Minuten raus, dass es Lesben sind, die sich aneinander rantasten. Dann drehen wir Däumchen und sehen der schönen Ausstattung zu, bis Herr Haynes am Ende eines Werks aus dem Jahr 1960 anlangt, wo ein Publikum fassungslos war, dass die beiden Damen, obwohl so herzergreifend, wirklich Lesben sind. Und sich mit dem Gedanken vertraut zu machen hatte, dass das wohl doch Liebe war.
A Most Violent Year
Der Titel des Films von J. C. Chandor (der vorher mit Kevin Spacey den Wall-Street-Crash-Film „Margin Call“ gemacht hatte), dieses „A Most Violent Year“, kommt einem nachgerade wie ein Taschenspielertrick vor, wenn man