Kino 2015: Viele Filme in nur einem Jahr - Page 11

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wundern: Dieser Zirkel aus verklemmten Jurastudenten-Idioten soll dann auch wirklich die Führung einer Partei sein, die unbedingt verboten gehört, aber bisher von allen Mächtigen nicht verboten werden konnte? (Auflösung: Der peinliche Besuch beim ehemaligen NPD-Vorsitzenden Holger Apfel (im Film heißt er Birne wie der Kanzler) stand im Roman und wurde mit Darstellern nachgedreht.) Zeitweilige politische Dummschwätzer wie Markus Söder und Claudia Roth, die im Buch vorkamen, fanden sich, anders als Frank-Walter Steinmeier in Christoph Maria Herbst „Stromberg“-Film, nicht zu einem kleinen Promispot in Führernähe bereit. Dafür - und hiermit beginnt die große Schmach dieser Satire - gaben sich allerlei Fernsehunterhaltungshansel die Klinke in die Hand. Frank Plasberg, Jürg Thadeusz, Klaus Heufer-Umlauf, Micaela Schäfer, Joko Winterscheidt und so weiter. Der kritische Umkipppunkt befand sich wieder mal exakt bei der Figur des Christoph Maria Herbst, einem entlassenen, um seine Rückkehr kämpfenden Privatsender-Redakteur. Herbst spielt ständig dieselben Typen, diese größenwahnsinnigen Spießer ohne Hirn und Moral, deren Kompetenz sich mit dem Satz „Nach oben schleimen, nach unten treten“ voll beschreiben lässt. Aber er will dann auch noch irgendwie nett, irgendwie cool sein. Miese kleine Hass-Charaktere sind doch auch gar nicht so, glauben nämlich nur, so sein zu müssen, damit die Umgebung sie achtet. In seiner Nähe scheint Adolf Hitler mit einem Mal auch so einer, letztlich gar nicht so ohne, wenn man ihn besser kennt. Und nun betritt er diese Selbstfeierwelt der Fensehshows: Wenn es nirgendwo sonst mehr geheuchelte Familie geben wird, hier gibt es sie! Das hat, seien wir ehrlich, mit dem historischen Hitler nicht die Bohne mehr zu tun. Also ist es Verharmlosung, so kratzbürstig der Film an anderen Stellen auch gewesen sein mag.

Der Staat gegen Fritz Bauer
Fritz Bauer ist der hessische Generalstaatsanwalt. Mit ewiger Zigarre, Mantel, Hut, einem schwer zuzuordnendem knattrigen Dialekteinschlag verkörpert er die Art Großväterautorität, die mit Typen wie Theodor Heuss oder Herbert Wehner ausstarb und auf deutschen Elitepositionen, in welchem Bereich immer, heute unmöglich wäre. Ein tapsiger, kantiger Polterpascha, zu dem man nach kurzer Irritation grenzenloses Vertrauern gewinnt. Im Verlauf des Films wird man noch erfahren müssen, dass er Jude ist, Sozialdemokrat aus der Weimarer Republik, dass er homosexuell ist (offenbar seit Menschengedenken nicht praktizierend), Duz-Freund des hessischen Ministerpräsidenten Georg August Zinn, angefeindeter Nazijäger, dem abgetauchten Adolf Eichmann auf der Spur. (Später, aber erst nach dem Zeitausschnitt dieses Films, wird er der Ankläger im Frankfurter Auschwitzprozess.) Der historische Bauer war Deutschlands jüngster Amtsrichter gewesen, als Sozi wurde er gleich zu Beginn der NS-Jahre ins KZ gesteckt und wieder entlassen, nachdem er eine Huldigungsadresse an die neue Führung unterschrieben hatte. Er ging ins Exil nach Dänemark, floh weiter nach Schweden, wo er zu den Getreuen um Willy Brandt gehörte. Seinen Vortragstext für Jugendliche wollten Pädagogen in Rheinland-Pfalz an Gymnasiasten und Berufsschüler verteilen. Der junge Abgeordnete Helmut Kohl opponierte: Die Zeit für abschließende Urteile über das Dritte Reich sei nicht gekommen. Burghart Klaußner stellt ihn dar in „Der Staat gegen Fritz Bauer“. Einer der besten Schauspieler, den wir haben. In dem Film geht es darum, dass Bauer den Aufenthaltsort Eichmanns in Argentinien kennt, aber kein Verfahren in Deutschland in Gang bekommt. Überall sitzen die ehemaligen Nazis und decken einander. Also reist er nach Jerusalem und steckt den Israelis diese Information. Das ist Landesverrat. Von daher der Titel, wenn es auch zu einer Anklageerhebung gar nicht kommt. Man ist dem Film ja durchaus innerlich zugeneigt. Doch leider wird das Vergnügen von käsigster Fernsehspiel-Dramaturgie allzu geschmälert. Zu Scheingesprächen umgedichtete Zeitungsartikel, ein Büro-Herrengespräch jagt das nächste. Der Film freut sich dann immer, wenn er seinen Helden zum nächsten Dienstsitz fahren lassen kann. Stolz zeigt er durchs Heckfenster die zehn Fünfziger-Jahre-Autos, -Busse und -Motorräder vor, über die er verfügen durfte. Fährt dann jemand anderes woanders hin, sind exakt die gleichen Fahrzeuge im gleichen Wald, nur in die andere Richtung und in anderer Reihenfolge im Bild. In Israel knallt das Licht durchs Bürofenster - und der alte Basler Berliner Jude vom Dienst, Dani Levy, spielt den Seppel, nein, nicht, den gefährlichen Mossad-Oberst, den spielt er dieses Mal. Ach, wie sehnt sich alles nach einer Beklemmung wie in den Hollywood-Wahrheits-Dramen, wenn der unerschrockene Einzelgänger sich keinem Druck beugt! Wahrscheinlich deswegen fällt am Ende der Film auf eine groteske Sittenklamotte herein. Mangels Zeugen kann man Fritz Bauers Homosexualität nicht gegen ihn in Stellung bringen. Da freuen sich nun die Nazis unter den Staatsanwälten umso mehr, als der eine junge, loyale Mitarbeiter, über den Bauer noch verfügt, sich als hohler Zahn entpuppt. Er ist einem schmalen, jungen Vögelein der Nacht verfallen, das eine Frau zwar vorzustellen sucht, amtlich aber noch nicht ist. Auch für dies ambitionierte Projekt waren wiederum keine veritablen Transsexuellen oder halbwegs überzeugende Transvestiten greifbar. Man lässt es darum von einer Frau spielen, der in der entscheidenden Bettszene das Zipfelchen unten hin retuschiert wird. Peinlich vor allem, weil sich damit, was den unerschrockenen Kampf gegen die Vergangenheitsverkleisterung bejubeln wollte, fest darauf wirft, dass verheiratete Schwule unter noch so viel Druck ihren ehrlichen Chef nicht verraten. Junge Deutsche, mutig seid ihr stets gewesen.

Wir sind jung. Wir sind stark.
„Wir sind jung. Wir sind stark.“ ist wahrscheinlich der einzige absolut bemerkenswerte Film im Deutschland des Jahres 2015 gewesen. Die amtliche Kritik und die Preisverleiher fanden ihr Jahreswunder bei „Victoria“, da habe ich erhebliche Zweifel. Geradezu tollkühn war ein unpopuläres Thema, nach dem niemand je gerufen hatte: der sengende, ausländerfeindliche Mob von Rostock-Lichtenhagen in den neunziger Jahren; dazu noch die formale Besonderheit eines Schwarzweiß-Films. Kaum ein zweites Land auf der weiten Welt stellt seine Marktgängigkeit durch eine vergleichbare Abwesenheit gesellschaftlich umstrittener Fragen im Kino so dezidiert unter Beweis wie Merkel-Deutschland. Wann war denn deine letzte schwarze Hartz-IV-Komödie mit Georg Thomalla? Wo kommen sie vor, die Flaschensammler, die Braunkohledreckschleudern, die liegen gebliebenen Züge, die angesteckten Asylbewerber, die feiernde Pegida, die talkenden Parteivorsitzenden, die auf- und abtauchenden Parteineugründungen, die Windparks, die Stromtrassen, die Zeugen Jehovahs im deutschen Spielfilm? Was wir kennen, sind nuschelnde Kükenhäkler, füllige Jakobspilger, Starfriseure, Flugkapitäne, die ihr Schwulsein herausfinden, Fernsehpromis, die solidarisch überall kurz vorbeischauen, türkische Weihnachtsmarktverkäufer mit der roten Zipfelmütze, peinliche Schlagersänger, Makatsch, Berben, Riemann, Uhl, Paul, Tschirner,

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