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und William Hurt. Von diesen beiden Vorgaben stammte Jahre später ein anderer angelsächsischer Serienmörderthriller mit einem positiv gezeichneten Sowjet-Ermittler ab, „Kind 44“ vom englischen Autor Tom Rob Smith (als Buch 2008). Inzwischen existierte das System, dessen Intransparenz und ideologische Scheuklappen man fürs langjährige Durchkommen Tschikatilos verantwortlich gemacht hat, mehrere Jahre nicht mehr. Rob Smith griff weiter zurück in eine noch schlimmere Phase der russischen Geschichte, in die letzten Jahre von Stalins Herrschaft mit ihren Schauprozessen und GuLags. Sein Jungenmörder ist durch Missbrauch am Ende des Zweiten Weltkriegs, als er noch Kind gewesen ist, zur Kinder folternden Bestie geworden, deren Weg der KGB-Ermittler, ohne es allerdings noch zu wissen, selbst schon gekreuzt hat. Der Geheimdienst-Offizier Demidow ist inzwischen von einem auf seine Macht und seine Frau neidischen Kollegen denunziert und nach Südostrussland verbannt worden. Als Streifenpolizist wird ihm die 44 Opfer zählende Mordserie bekannt. Seitens der Behörden soll das vertuscht oder irgendwelchen Sündenböcken, harmlosen Schwulen, angehängt werden, was das Desaster naturgemäß nicht beendet.
Hochintelligent dürfte der Roman ja schon nicht gewesen sein, aber so voller uralter Klischees wie die Verfilmung kann er nicht gewesen sein. Ein guter und präsenter Hauptdarsteller, Tom Hardy, muss sich durch einen unstimmig wirkenden Fernsehmehrteiler lavieren, so jedenfalls sieht das hier aus, so ersetzt man Action mit Deklamieren und aufdringlicher Musik. Falsche Landschaften, sehr mitteleuropäische Natur, eine Wirrsal schauerlich schlechter Akzente, wenig fesselndes zeitgenössisches Inventar. Der Schnellzug nach Sibirien ein Zuckelbähnle auf einem schön gepflegten Normalspur-Museumsgleis. Dazu ein dem Unternehmen aufgesattelter Weltstar, Gary Oldman mit einem belanglosen Auftritt als Demidows einzigem helfenden Vorgesetzten.
Wenn Demidow sich für heimliche Ermittlungen in die ihm nicht länger erlaubte Metropole Moskau eingeschlichen hat, schickt sein alter Rivale einen Trupp Mörder in den Zug. Demidow schaltet die alle aus, geht dann eben zu Fuß durch die Wälder nach Hause. Auch wieder, als er die Zusammenhänge noch nicht einmal restlos entschlüsselt hat, den Mörder aus seiner Tarnung als Fabrikarbeiter aber aufgescheucht, dieser auch wieder in der Taiga untertauchen möchte, sind zum Showdown nicht nur diese beiden, Polizist und Täter, zur Stelle, sondern, mitten im Wald, dazu gleich noch der besagte Moskauer Verräter wie sogar noch der immer schon widerliche Moskauer Behördenchef (Vincent Cassel), sodass Demidow, nachdem mehrere Männer auf der Strecke geblieben sind, eine große vaterländische Lügenlegende stricken kann, wonach sein Feind ein sowjetischer Held gewesen ist, der leider seinen größten kriminalistischen Triumph nicht überlebt hat.
Mad Max - Fury Road
Man stelle sich Gladiatoren vor, die mit langen Ketten, an denen scharfe Sicheln hängen, nach einander angeln. Diese Gladiatoren aber nicht auf stabiler Unterlage, sondern auf Gefährten, die über einen steinigen Wüstenboden rasen, manchmal gleichziehen, dann zurückfallen, auch sich überschlagen und kaputt gehen können. Und jetzt aber stehen die Gladiatoren nicht direkt auf den Trucks drauf, sondern sie sind an schräg aufwärts ragende Langhölzer gekettet, die fürchterlich auf und ab und rings wippen, wenn es scheppert oder in eine Kurve geht. Und immer weiter jene Ketten mit den gefährlichen Haken sich noch denken! Und jetzt eine superlaut dröhnende Rockmusik, damit sie motiviert werden! Und außerdem sind sie alle fast nackt bis auf den Lendenschurz und in diesem weißen Staub gepudert, den wir von Leni Riefenstahl schon kennen. Zuerst brechen sie aus, aus diesem riesigen Felsblock in der Wüste, der als Gefängnis und Palast des Warlords dient. Sie werden verfolgt. Dann stellt sich die Oase, zu der sie sich retten wollten, als vergällt vor, unbrauchbar, sie rasen wieder rückwärts, um jetzt doch noch diesen Gefängnisfelsen zu erobern, wo es nämlich Wasser gibt. (So viel im Reservoir, dass man ein Volk darin baden kann, wobei unklar ist, wo danach die Nachfüllung des Reservoirs herkommen wird.) So also ist „Mad Max - Fury Road“, das alle begrüßt haben, weil die Trilogie aus den Achtzigern doch noch eine Fortsetzung bekommen hat und das, obwohl sich diese Verfilmung mit dem Irakkrieg von Bush schon einmal zerschlagen gehabt hatte. Die Neuausgabe ist keine peinliche Nachstellerei alter Schauwerte, sondern kann sich schon sehen lassen als was Eigenes. Man vermisst Mel Gibson nicht, zumal wenn man ihn aus aktuellen Filmen in Erinnerung hat. Tom Hardy gibt also den postapokalyptischen Freibeuter und Einzelgänger Max, der immer in so, aus Schrott gebastelten Cabrios (ob sie das eigentlich schweißen oder binden) reist und sich aus allem raushalten will, aber dann der ist, der alle Leute rettet. Tom Hardy, weil er vorher öfter Boxer oder Verbrecher gespielt hat und als der glaubwürdige Mann-Mann, kein Schönling, kein Schwätzer, kein Model - gilt. „Mad Max - Fury Road“ ist sozusagen das Gegenteil von allem unter „Theaterstücke“ Beschriebenen: mehr oder weniger vollständig unter freiem Himmel, meistens ziemlich viele Leute zu sehen, die sich aber eher nicht unterhalten, sondern eher begrunzen, alles fortwährend in tödlicher Raserei, immer wieder die Attraktion des Objekts (statt des Gesichts oder des Dialogs). Man stelle sich vor, diese Sicheln, die x-mal aneinander geklimpert hatten, verhaken sich und dann wird der eine immer dichter ans Rad gezerrt, das sich unten unwuchtig schlingernd dreht! George Miller muss Monate verbraucht haben, sich dergleichen Kalamitäten plastisch vorzustellen, die passieren könnten, wenn verschiedenen Dinge sich kontrovers durch den Raum bewegen. Dankenswerterweise zeigt er es uns in Realfilm, also nicht als computergenerierte Sequenzen. Man darf von Raffinesse des Kinetischen, von „reinem Kino“ sprechen. Dafür wurde „Mad Max - Fury Road“ über die Maßen gelobt. Mir war’s zu hirnrissig. Erst hinaus ins Leere, dann zurück in den Stein, von dem man unbedingt fort musste. Verfolgungsjagd und Gladiatorenstunts galore! Fahriger Crossover durch alles, was einem an Wunscharchaik grad so durch die Birne rauscht: Bodypiercing, Ketten, Leder, Hard Rock, SM, catchende Fotomodels, Blutkult, Gothic und so weiter. Psychologie der Figuren: null. Architektur der Story: null. Soziale Standards: null. „Ork, ork, heuer is des prachiale Endzeit-Surweifal of de Fiddest.“
Legend
Über die Londoner Gangster-Zwillinge Reggie und Ronnie Kray, 1933 geboren, 1968 (unter anderem wegen Mordes) verhaftet und bis zu ihren Toden am Ende der neunziger Jahre nicht wieder freigelassen, ist schon einmal ein Spielfilm gedreht worden: „The Krays“ (1991) mit den Spandau-Ballet-Brüdern Kemp. Außerdem werden diese Eastender, die vor und während des Krieges, als Kinder schon, Boxturniere bestritten, in