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selbst sind übrigens auch nicht besser … und ich schon gar nicht! Denn dieses Verhalten hat tiefere Gründe.
Der erste Grund ist, dass die meisten Mitarbeiter den Gesamtzusammenhang, den sie sehen müssten, um die Lage ihres Unternehmens realistisch einzuschätzen, gar nicht erkennen können. Auch wenn alle Informationen frei zugänglich sind, betrachtet jeder nur den ihn ganz unmittelbar und emotional betreffenden Ausschnitt und filtert die tägliche Informationsflut entsprechend.
Der zweite Grund hängt mit dem ersten eng zusammen. Ihre Mitarbeiter denken nicht nur anders als Sie, sondern stehen auch in einer anderen Erlebniswelt. Familie und Freunde, Hobbys und Interessen, die kleinen alltäglichen Reibereien in der Arbeitsgruppe oder Abteilung, der fünfzigste Geburtstag des Kollegen – alles das bewegt Ihre Mitarbeiter. Hingegen ist Ihr Verantwortungsbereich als Führungskraft in den Augen Ihrer Mitarbeiter bestenfalls eine abstrakte Größe.
Die Sorge um das große Ganze oder die Steuerung einer komplexen Einheit ist etwas, was im Alltag Ihrer Mitarbeiter nicht vorkommt und für diese deshalb auch nicht erlebbar wird. Viele Topmanager haben das umgekehrte Problem, dass ihnen das Menschliche im Alltag aus dem Blick gerät. So merken sie zum Beispiel oft nicht, wenn sie dringend in ihrer Familie etwas verändern müssten, weil ihre Erlebniswelt zu stark auf das Unternehmen eingeschränkt ist.
Die Schlussfolgerung ist ganz einfach: Wenn Sie Veränderung wollen, dann muss der Veränderungsprozess Teil der Erlebniswelt Ihrer Mitarbeiter werden. Dazu brauchen Sie eine Story. Ich meine damit etwas, was die Menschen emotional wirklich berührt, was sie seit längerem stört, ängstigt oder umtreibt. Wenn Sie Veränderung inszenieren wollen, müssen Sie dort ansetzen, wo der Schuh drückt, und dann die Situation aufdecken, verstärken und zuspitzen, damit der nötige Veränderungsdruck entsteht. Wie solche Geschichten aussehen und mit welchen Methoden Sie die Geschichte für Ihren Veränderungsprozess finden, davon handelt dieses Kapitel.
Sie könnten jetzt einwenden: Wozu die ganze Mühe? In meinem Unternehmen sage ich, wo es langgeht – und meine Mitarbeiter setzen das dann um. Natürlich können Sie auch „von oben“ etwas verändern, allerdings nur vordergründig. Komplexe Wandlungsprozesse erfordern immer verändertes Denken, Verhalten und Handeln aller Mitarbeiter. Und das geht nur auf freiwilliger Basis. Erst recht, wenn generell die Flexibilität von Menschen, Teams oder ganzen Unternehmen das Ziel ist, um in einem immer schärferen Wettbewerb unter sich immer rascher verändernden Bedingungen zu bestehen.
Veränderungsbereitschaft lässt sich schlicht und einfach nicht diktieren. Fragen Sie sich nur einmal: Warum brechen alle politischen Diktaturen irgendwann zusammen? Weil die Menschen eben nur äußerlich Folge leisten und sich innerlich mit ihren Ansichten, Wünschen und Hoffnungen immer mehr vom äußeren Geschehen entfernen. Bis die Schere irgendwann so groß wird, dass der Mangel an innerer Beteiligung alles zum Einsturz bringt. Gerade wir Deutschen wissen, wie das geht.
Selbst mit der allseits beliebten „Überzeugungsarbeit“ kommen Sie nicht wirklich weiter. Denn Ihre Mitarbeiter werden auch Ihren eindrucksvollen Power-Point-Vortrag als Machtausübung empfinden, solange sie das Anliegen des Managements nicht auch als das eigene begreifen können und davon emotional berührt sind.
Klappe eins, die Zweite: Der Antrieb für Veränderung
So ging es nicht weiter. Die Bemerkung des Journalisten über die lange Schaffenspause machte Regisseur Gatsby Fitzgerald schlagartig klar, dass er seinen nächsten Film jetzt endlich angehen musste. Die Einsicht, dass eine Veränderung notwendig ist, entsteht auch im Business durchaus rational. Aus dem Berichtswesen, aus Prognosen, den berühmten Zahlen, Daten und Fakten, aber auch eigener aufmerksamer Beobachtung entsteht ein Bild der Lage. Diese Erkenntnis ist ein erster Schritt. Bloß ist sie noch längst nicht ausreichend, damit auch tatsächlich etwas geschieht.
Die Löcher im deutschen Bundeshaushalt, die verdrehte Alterspyramide in den meisten Industriestaaten, die globale Klimakatastrophe oder auch das dürftige Preis-Leistungs-Verhältnis bei den Modellen von Volkswagen – all das ist seit Jahren bekannt. Wenn aber ein Veränderungsprozess wirklich in Gang kommen soll, muss erst auf der Erlebnisebene etwas hinzukommen – ein Gefühl der Unausweichlichkeit, das in Unruhe versetzt und zum Handeln drängt. Diese emotionale Betroffenheit stellt sich bei Unternehmern, Füh-rungskräften und Mitarbeitern unterschiedlich stark und zu verschiede-nen Zeitpunkten ein.
Die größte Sensibilität besitzen Unternehmer. Es ist schließlich ihr eigenes Geld, das in der Firma steckt. Mehr noch, sie sehen das Unternehmen nicht selten als ihr Lebenswerk. Deshalb reagiert ein Unternehmer auf Signale wie eine Verschlechterung der Umsatz- und Ertragssituation, einen zurückgehenden Auftragsbestand oder eine unerwartet schlechte Liquiditätsvorschau unmittelbar und emotional. Er denkt sofort über Gegenmaßnahmen nach, und die Sache wird ihn auch abends und an den Wochenenden beschäftigen. So lange, bis er einen Ausweg gefunden hat.
Angestellte Führungskräfte brauchen schon einige Zeit länger, bis schlechte Nachrichten sie in Unruhe versetzen, und sie reagieren auch zunächst verhaltener. Marktanalysen, die vor einer Verschlechterung der Wettbewerbsposition warnen, oder Umsatzeinbrüche treffen sie nicht gleich auf der Gefühlsebene. Das liegt einerseits an der weniger engen Bindung an das Unternehmen – wenn alles schief geht, findet man auch anderswo einen Job –, andererseits an der zunehmenden Überforderung der Führungskräfte durch ein ausuferndes Tagesgeschäft.
Deutsche Unternehmen haben im vergangenen Jahrzehnt rund 10.000 Führungskräfte entlassen. Die Arbeit ist dadurch nicht weniger ge-worden, sie muss nur von weniger Managern geleistet werden. Diese rackern dann ununterbrochen wie der Hamster im Rad und haben kei-nen Blick mehr für die größeren Zusammenhänge. Selbst Top-Leute verlieren den Blick für das Wesentliche, wenn sie auf allen Ebenen überlastet und in Reporting, Verwaltung und Statistik verstrickt sind. Natürlich sind ihnen die Probleme in ihren Unternehmen bekannt. Und wer nachfragt, bekommt zu hören: Ja, wir kümmern uns darum. Tatsächlich geschieht oft aber lange nichts, weil alle dem Tagesgeschäft ausgeliefert sind und die Gedanken und Gefühle davon eingenommen werden.
Am längsten dauert es, bis ein Gefühl der Unausweichlichkeit von Veränderungen sämtliche Mitarbeiter in einem Unternehmen erfasst hat. Oft geschieht das erst, wenn schon Entlassungen beschlossen und Sozialpläne aufgestellt sind oder wenn die Schließung ganzer Produktionsstätten diskutiert wird.
Als General Motors im Jahr 2005 laut darüber nachdachte, die Produk-tion von Fahrzeugen in Deutschland komplett einzustellen, ging bei Opel ein Ruck durch die Belegschaft. Neben Protestaktionen gab es bald konkrete Angebote von Arbeitnehmerseite, um den Standort zu retten. Dabei waren die Probleme schon vorher bekannt gewesen. Aber ohne Druck hatte sich niemand bewegen wollen.
Ähnliches geschah beim Wettbewerber Volkswagen in Wolfsburg. Noch im Jahr 2001,
Leseprobe aus dem Sachbuch Drei Oscars für den Chef, 2006.