Drei Oscars für den Chef - Die Story - Page 3

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von Stefan Fourier

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als es um die Produktion des „Touran“ in Deutschland ging, kam es mit Zustimmung des Betriebsrats zur Ausgründung der Auto 5000 GmbH, in der ausschließlich vormalige Arbeitslose für „nur“ 5000 D-Mark Monatsgehalt, deutlich weniger als der VW-Haustarif, den Minivan zusammenschrauben sollten. Eine halbherzige Lösung, die den anderen Arbeitern bei VW ihre hohen Löhne sicherte. Im Jahr 2005 verkündete der damals neue VW-Markenchef Wolfgang Bernhard dann, die geplante Produktion eines Geländewagens auf Basis des „Golf“ komme am Standort Deutschland wegen der zu hohen Arbeitskosten grundsätzlich nicht in Frage. Erst dadurch war die Belegschaft aufgeschreckt. Der Golf-Geländewagen wird nach langen Verhandlungen nun doch in Wolfsburg gebaut – ob zu wettbewerbsfähi-gen Bedingungen, wird sich zeigen.

Wolfgang Bernhard spitzte ein seit langem bekanntes Problem zu. Er fand einen Ansatzpunkt, nämlich die Angst der Arbeitnehmer vor einer schrittweisen Verlagerung ihrer Arbeitsplätze ins Ausland, aus dem er eine Story für einen Veränderungsprozess entwickeln konnte. Nach Jahren der Unbeweglichkeit wird es bei VW nun langsam möglich, über leistungsgerechte und marktkonforme Arbeitszeit- und Entlohnungsmodelle zu diskutieren.

Bernhard hat es genauso gemacht wie Regisseur Fitzgerald, der die Massen wieder in die Kinos locken will. Dessen Aufhänger ist die Angst der Menschen vor Terroranschlägen und gewaltigen Naturkatastrophen. Aus diesen stark emotional besetzen Themen entwickelt er eine Story mit Erfolg versprechenden Zutaten: Gewalt und Gier, Drohung und Verrat, Kampf des Guten gegen das Böse – und mittendrin eine klassische Liebesgeschichte.

Ein aufschlussreiches Beispiel dafür, wie eine Führungskraft eine Veränderungsstory als erstes emotional erlebt und dann sukzessive bei anderen im Unternehmen dieselbe Betroffenheit erzeugt, habe ich einmal in der chemischen Industrie erlebt. Mitte der Neunzigerjahre fusionierten ein schwedisches und ein französisches Chemieunternehmen, die beide jeweils ein Werk in Deutschland besaßen. Ein Deutscher mit viel Branchenerfahrung, lassen Sie mich ihn hier Michael Norden nennen, wurde kurz nach dem Zusammenschluss von der Unternehmenszentrale in Stockholm zum neuen Landeschef ernannt. Da die beiden Werke mit ähnlichen Technologien vergleichbare Produkte herstellten, war Nordens Auftrag schnell klar: Er sollte die auf zwei Standorte verteilte Produktion in Deutschland zu einem effizienten und profitablen Ganzen machen. Dabei stand er spürbar unter Druck, denn er musste rasch Ergebnisse vorweisen können. Norden machte sich also sofort an die Arbeit und entwickelte erste Ideen.

Bald stellte der neue Deutschlandchef jedoch entsetzt fest, dass alle seine Vorschläge zur Verbesserung der Zusammenarbeit der zwei Werke vom örtlichen Management abgeschmettert wurden. Beim näheren Hinsehen zeigte sich, dass es nirgendwo die geringste Veränderungsbereitschaft gab. Jede Führungsmannschaft vor Ort wollte ihr Werk genau so erhalten, wie es war. Und während man auf den eigenen Standort nichts kommen ließ, erhob man schwere Vorwürfe gegen den jeweils anderen: Deren Technologie sei veraltet, die hätten ineffiziente Prozesse, dort zahle man zu hohe Löhne und so weiter.

Michael Norden schaute sich die Sache genauer an und merkte bald, dass es eine unterschwellige Angst war, die die Mitarbeiter so handeln ließ. Angst vor Stellenabbau oder gar Schließung im Zuge der Fusion. Es wurde gemauert und mit dem Finger auf die anderen gezeigt, weil das Übel die anderen treffen sollte. Da waren Emotionen im Spiel, die gegen Nordens Ziele gerichtet waren. Es ging also darum, diese abzuschwächen und statt ihrer eine einigende Grundemotion zu erzeugen. In diesem Fall taugte die vorhandene Story „1 plus 1 ist mehr als 2“ nicht, denn sie war von Misstrauen geprägt. Es musste ein stärker wirkender Auslöser her, der den Veränderungsprozess in Gang brachte. Irgendwie mussten die Leute aus beiden Werken in ein Boot gebracht werden.

In dieser Situation gab ich Michael Norden damals den Rat, eine Art Stunde der Wahrheit zu inszenieren. Er führte daraufhin zunächst ausführliche, aber gesonderte Gespräche mit den Managern und Fachexperten beider Standorte und trug die Resultate zusammen. Diese Ergebnisse präsentierte er dann in einem gemeinsamen Meeting dem Management beider Werke. Und da kam es dann zu einer ziemlich unangenehmen Situation. Als Norden nämlich die Aussagen beider Standorte gegenüberstellte, zeigte sich, dass jeder beim anderen exakt und wörtlich die gleichen Fehler anprangerte. So wurde schlagartig deut-lich, dass es sich nur um Ablenkungsmanöver handelte und jedes Werk dem jeweils anderen den Schwarzen Peter zuschieben wollte. Das tiefe Misstrauen und die Angst voreinander wurden öffentlich sichtbar. Die Peinlichkeit war greifbar.

Nun waren alle gemeinsam emotional betroffen. In diesem Moment saß das gesamte Management mit seinen Gefühlen im selben Boot. Und interessanterweise richteten sich jetzt plötzlich die Hoffnungen darauf, dass Norden sie aus der unangenehmen Lage führen könnte. Er bot ihnen deshalb sein Konzept gemeinsamen Handelns an, und sie folgten ihm. Nach einem halben Jahr gab es zwischen den Werken optimierte Prozesse. Produkte wurden ausgetauscht und dort hergestellt, wo es für das Ganze effektiver war. Und es war sogar ein gemeinsames Managementteam entstanden.

Klappe eins, die Dritte: Nur was real ist, kann begeistern

Im Filmgeschäft gibt es Stoffe, die gelten als unverfilmbar. Und es gibt Storys, die so weit hergeholt sind, dass das Publikum nur noch gähnt. An beidem kann ein Film scheitern. Ein unverfilmbarer Stoff ist etwa ein Roman, der auf 800 Seiten nur von den Gedanken und Gefühlen eines Erzählers handelt, ohne dass es eine nennenswerte äußere Handlung gibt. Oder: Haben Sie schon einmal von dem Film „Heaven’s Gate“ gehört? Nein? Kein Wunder. Der Western von 1980 kostete eine damals astronomische Dollarsumme und gilt als größter Flop der Filmgeschichte. Regisseur Michael Cimono wollte mit einer verwirrenden Story um die Johnson-County-Viehkriege von 1881 die Besiedlung des amerikanischen Westens kritisch aufarbeiten – zu viel für einen Film. Der vierstündige Streifen interessierte trotz Starbesetzung niemanden und riss das Filmstudio United Artists in die Pleite.

Die unverfilmbaren Stoffe in Unternehmen sind Veränderungsprozesse, die zwar von vielen gewünscht werden, sich aber beim besten Willen nicht inszenieren lassen, weil sie illusorisch sind. Dazu zählt etwa die Vorstellung, durch den Abbau von Überstunden zu Neueinstellungen zu kommen. Das ist einfach weltfremd. Arbeit wird überall immer spezialisierter, und die fachlichen Anforderungen an Arbeitnehmer steigen ständig. Da ist es kaum noch möglich, einzelne Aufgaben oder Arbeitspakete kurzfristig zu übertragen. Es ist ja auch kein Zufall, dass dort die meisten Überstunden geleistet werden, wo die Tätigkeiten am höchsten spezialisiert sind.

Ebenso illusorisch ist die Idee, Entlassungen vermeiden

Leseprobe aus dem Sachbuch Drei Oscars für den Chef, 2006.

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