Seiten
zu wollen, indem man die Arbeit breiter verteilt. Auch das funktioniert nicht, weil Effektivitätssteigerung für Unternehmen überlebenswichtig ist. Arbeit auf mehr Leute verteilen heißt immer, Produktivität verlieren. Entlassungen können Sie nur vermeiden, indem Sie freigesetzte Kapazitäten zur Steigerung Ihrer Performance oder zur Ausweitung Ihres Marktes umleiten.
Wie viel Wunschdenken hier im Spiel sein kann, zeigte vor einigen Jahren in Deutschland die so genannte Green-Card-Debatte. Da wurden die Unternehmen von Gewerkschaften und einigen politischen Kreisen gedrängt, statt ausländischer Programmierer deutsche Arbeitslose zu beschäftigen. Man könne diese ja qualifizieren. Dabei hatte man völlig übersehen, dass längst alle Deutschen, die Talent für IT-Berufe hatten, auch in solchen beschäftigt waren.
Ein letztes Beispiel: Aus einem Industriebetrieb, der technisch veraltet ist, können Sie niemals allein durch Aktivierung der Mitarbeiter eine überlebensfähige Einheit machen. Hier ist Kapitaleinsatz nötig, nicht Arbeitseinsatz, und daran führt kein Weg vorbei. Notwendige Investitionen können nicht durch schöne Worte ersetzt werden, Motivationstraining ist keine Alternative zum Einsatz der neuesten Technologie.
Der unverfilmbare Stoff ist die eine Falle, in die der Regisseur ganz am Anfang nicht geraten darf. Die andere Gefahr besteht darin, dass eine an sich gute Idee einfach nicht zündet, weil die Story zu wenig zugespitzt und dramatisch ist und das Publikum sich deshalb langweilt. Eine Story, die sich langatmig und öde dahinschleppt, zieht die Leute nicht ins Kino.
In Unternehmen gibt es sie zuhauf, die gut gemeinten Veränderungsvorhaben, die nichts bewirkt haben, wo am Ende alles so war wie vorher, und die man sich deshalb auch hätte sparen können. Dabei wird oft durchaus erkannt, wo der Schuh drückt und was sich ändern müsste. Aber es wird eben keine Geschichte daraus, die die Leute emotional bewegt. Es entsteht kein starkes Echo, und so bleibt es bei viel Lärm um nichts.
Ein Beispiel, das ich einmal bei einem internationalen Reifenhersteller erlebt habe, kennen sicher viele in ähnlicher Form. Im Konzernvorstand war die Erkenntnis angekommen, dass eine positive Unternehmenskultur die Produktivität steigert. Deshalb sollte eine spezielle Arbeitsgruppe unter Leitung des Personalvorstands Unternehmensleitlinien und einen Verhaltenskodex ausarbeiten. Am Anfang stand eine Mitarbeiterbefragung via Intranet. Die Ergebnisse wurden von der Arbeitsgruppe ausgewertet und die Schlussfolgerungen in die Leitlinien einbezogen. Es entstand ein anspruchsvoller Text in gediegener Aufmachung, der nun kaskadenartig allen Mitarbeitern des Konzerns nahe gebracht wurde.
Die Leitsätze stießen auf breite Zustimmung – wer sollte auch etwas dagegen haben, wenn das Prinzip gegenseitiger Wertschätzung aufgeschrieben wird? Aber sie waren auch flach, allgemein und unverbindlich. Sie bewirkten nicht die geringste Verhaltensänderung bei den Mitarbeitern. Zumal sich im Verhalten des Managements ja auch nichts änderte. Nach einem Jahr wurde wieder eine Mitarbeiterbefragung gemacht, deren Ergebnisse im Unternehmen publiziert wurden. Auch das blieb folgenlos. Danach kehrte Schweigen ein.
Vom Vorstand formulierte Leitlinien können ein Unternehmen nicht voranbringen. Im besten Fall geschieht gar nichts, im schlechtesten entsteht eine Doppelmoral, bei der schöne Worte im auffälligen Kontrast zum tatsächlichen Verhalten stehen. Und mit Fragebögen hat noch niemand herausgefunden, wie Mitarbeiter wirklich denken und fühlen. Hier zeigt sich wieder, dass Veränderungen nicht von oben diktiert werden können. Mitarbeiter empfinden Leitsätze deshalb als belanglose Gemeinplätze, weil Sie die Machtausübung dahinter erkennen und sich dagegen wehren, indem sie auf stur schalten. Ich kenne kein größeres Unternehmen, das sich getraut hätte, Leitlinien einmal konsequent „von unten“ zu entwickeln, die Mitarbeiter offen zu fragen, welche Unternehmenskultur sie sich wünschen. Aber nur so könnte eine Veränderungsgeschichte daraus werden.
Ein anderes Beispiel: In einem Team gab es immer wieder Streit zwischen einzelnen Personen. Als die Situation zu eskalieren drohte, buchte der verantwortliche Manager einen Workshop zur Teambildung bei einer bekannten Konfliktmediatorin. Diese veranstaltete mit der Gruppe eine ausgiebige Wanderung mit gelegentlichen kleinen Herausforderungen. Abends saß man in geselliger Runde beisammen und bekundete gegenseitige Wertschätzung nach dem Motto „Jetzt kann ich Sie viel besser verstehen“.
Darüber hinaus gab es sogar einige konkrete Vereinbarungen über zukünftig besseres Kommunikationsverhalten, etwa mittels regelmäßiger Feedbackrunden. Trotzdem änderte sich anschließend im Prinzip nichts. Nach wenigen Wochen herrschte wieder Streit, nicht minder heftig, nur diesmal verdeckter und damit psychisch noch belastender.
Auch hier waren bei den Beteiligten überhaupt keine Resonanz, keine emotionale Betroffenheit und kein Veränderungsdruck entstanden. Die Mediation setzte vor allem nicht bei den Bedingungen an, unter denen sich die Teammitglieder stritten. Die Wanderung war ein netter Kurzurlaub, hatte mit ihrer täglichen Lebensrealität jedoch überhaupt nichts zu tun.
Jede Veränderung braucht nicht nur eine Geschichte, sondern die Ge-schichte muss auch Realität sein. Sie müssen die bereits existierenden Geschichten finden und dürfen sich nicht einfach eine ausdenken. Sie brauchen Geschichten, die das Leben schreibt oder schreiben könnte. So wie jeder erfolgreiche Film fest in der Realität verwurzelt ist. Bei einem Fantasy-Abenteuer oder einem Science-Fiction-Film mag die Handlung zwar nicht realistisch sein, aber die Ängste, Wünsche und Sehnsüchte des Publikums, die hier angesprochen werden, sind absolut real. Sonst würde der Film niemanden interessieren.
Mindestens der Anfang Ihrer Geschichte muss stimmen – und der Rest sollte wahrscheinlich sein. Niemand glaubt wirklich an den guten Investor, der eine miese Fabrik kauft, viel Geld hineinsteckt und sich weiterhin mit mittelmäßiger Performance zufrieden gibt. Wenn ein Unternehmensverkauf oder eine Übernahme in Betracht kommt, so ist das ein guter Geschichtenanfang, den Sie weiterführen können. Was würden Sie erwarten, wenn Sie Ihr eigenes Geld in eine Firma stecken sollten? Wie könnten Sie Ihre Firma so wertvoll machen, dass sich die Investoren darum reißen und Sie sich den besten Investor aussuchen können? Für solche Geschichten gibt es Beispiele, so dass die Menschen an die Geschichte glauben und diese sie aktiviert.
Die häufigsten „Geschichtenanfänge“, also realistische Anlässe für erfolgreiche Veränderungen, sind diese:
Wettbewerbssituationen zwischen Standorten innerhalb eines Konzerns
Bedrohliche Vergleiche mit Wettbewerbern im Markt
Schlechte Performance
Zu hohe Kosten
Eine zu geringe Innovationsrate
Firmenübernahmen und -verkäufe
Unternehmenszusammenschlüsse und Fusionen
Neue Chefs
Vergleiche mit Wettbewerbern im Markt wirken vor allem dann aktivierend, wenn deren Produkt- oder Kostenvorteile den gemeinsamen Kunden nützen. Ich erinnere mich noch gut an meine Tätigkeit als Angestellter im Produktionsbereich eines Autozulieferers, bei dem die Verantwortlichen der Entwicklungsabteilung und der Produktion permanent mit Wettbewerbsmustern konfrontiert wurden. Das war fast schon eine Manie des Vorstands und hat uns damals alle fürchterlich genervt, gleichzeitig aber aufs Äußerste angespornt, die Konkurrenz zu
Leseprobe aus dem Sachbuch Drei Oscars für den Chef, 2006.