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in deiner Nähe sein, Ruth. – Bei dir. Ja, – du! – ich liebe ja nur dich. Nur dich lieb' ich, – – nimm mir's nicht übel, – aber ich lieb' dich wirklich. Kann ja nichts, hab' nichts, bin nichts, – muß mich eben erst durchbeißen, – aber bei dir sein will ich wenigstens, – jedem die Faust zeigen, der's auch will, – der dir nahe kommen will! Jedem! Hüten soll er sich! Niederschlagen jeden – –«
»Jonas! Du rasest!«
Sie war auf gesprungen, blaß vor Schreck.
Er kam zu sich, versuchte zu lächeln, einzulenken, – und plötzlich stürzte er vor ihr in die Knie, das Gesicht in den Falten ihres Kleides.
»Ach Ruth! sei nicht böse! Du weißt nicht, – es war ja so schrecklich für mich – all die Zeit, – so stumm in mich hineingewürgt alles. Sieh mich an, sei nicht böse! Nie wieder, – es kommt nie wieder, bis –. Ich weiß, – ich darf noch nicht. Aber einmal, – einmal mußt' ich, – ich wär' erstickt sonst. Ach, liebe Ruth! Ich bin ja so grenzenlos unglücklich, bis – bis du mein – mein – geworden bist!«
»Jonas!« flüsterte sie, »– Jonas, ich bitte dich, – steh auf, – laß mich los, – du bist wahnsinnig, Jonas! Das kann ja nicht –«
Er klammerte sich an ihrem Tuchrock fest, den sie aus seinen Fingern lösen wollte, – er umklammerte ihre Hand, ihre Hüfte.
»Es kann nicht?!« schrie er fast drohend, und als sie sich mit einer unerwarteten Bewegung freiwand, vergrub er wie besinnungslos seine Zähne in ihren Handrücken.
Dunkel drang das Blut her vor.
Sie hatte den Kopf zurückgeworfen und schwieg.
Er stand langsam auf, zur Besinnung gekommen. Er küßte ihre Hand.
»Verzeih mir!« sagte er leise und brach hilflos in Tränen aus. »Ruth! – hast du mich denn gar nicht lieb? Nicht ein kleines bißchen? Was – was sind wir uns denn? was – in Zukunft?«
Sie faßte ihn an bei den Schultern – angst voll und liebevoll sah sie ihm ins verstörte Gesicht.
»Jonas ! Jetzt – und in Zukunft – und immer – Geschwister!«
Er nahm ihre Hände von seinen Schultern, ging langsam die wenigen Schritte bis zur Tür, öffnete sie – und stürzte hinaus, über die Terrasse, die Stufen hinab, und verschwand im Garten.
Totenstill wurd' es plötzlich im Hause. Nur die Funken knisterten und lohten hell auf im Kamin.
Ruth lehnte am Tisch und blickte nieder auf die Blutstropfen auf ihrer Hand. Langsam errötete sie, immer tiefer, bis ihr das ganze Gesicht in Flammen stand.
Was tat sie hier – allein – im Hause, – ein Eindringling, – der Jonas hinausgetrieben hatte?
Die Tür war weit offen geblieben. Als sagte sie: »Geh wieder!«
Ruth sah sich um. Nein, niemand sagte es. Auch Klare-Bel nicht. Nur ihr großer Stuhl stand da, mit einem hohen Schemel davor, – leer.– – –
*
Als kurze Zeit darauf Erik die Gartenpforte öffnete, saß in der Tiefe des Gartens, den die kahlen Bäume weithin überschauen ließen, Ruth auf der Bank unter den überhängenden Birken.
Erik blieb stehn, blickte schärfer hin und kam langsam näher. Sie bewegte sich nicht. Wie hingezaubert von seiner Sehnsucht in den grauen Frühling hinein, so saß sie da, – in unsichern Umrissen, – dann immer lebenswärmer, – immer beseelter vor seinen Augen, kein blasses Gedankenbild mehr. Wirklichkeit. Weich hob sich der blonde Kopf ab von den weißlichen Birkenstämmen und dem Gehölz dahinter, das die Sonne matt durchdrang in einem Schattenspiel von rosigvioletten Farben.
Ruth überfiel es lähmend wie eine Schwäche, je näher ihr Erik kam, je näher die Wirklichkeit sie umfing, die unsäglich ersehnte. »Zu Hause! jetzt erst: zu Hause!« dachte sie wie im Traum, und ihre Hände hoben sich ihm entgegen.
Dies seltsam Stille, dies Unfähige zu jedem Ausbruch, jeder lauten Bewegung, hielt auch Erik davon zurück, – als fürchte er zu verscheuchen, was er endlich wieder so beredt, so wortlos beredt und überzeugend vor sich sah: Blick, Ausdruck, Gebärde.
Über Ruths Kopf saß in der Birke ein Rotkehlchen, schaukelte sich auf schwankendem Zweig und sang hell.
Als Erik vor der Bank stand, flatterte es erschrocken auf und flog davon.
Er hatte Ruths Hände ergriffen, er hielt sie fest in den seinen, er zog ihre Hände fest an sich.
»Lieb – Liebling!« murmelte er, den Blick auf ihrem Gesicht.
»Ich – – der Brief, – er machte mir angst,« sagte sie matt, »etwas Fremdes, – Zweifel war darin. Ich mußte fort.«
Er hörte nur ihre Stimme, er mußte sie wieder hören.
»Mit dem Rotkehlchen – hergeflogen?« fragte er.
Sie sah ihn an – etwas zaghaft, etwas übermütig. »Durchgebrannt,« sagte sie.
Er setzte sich neben sie, ohne ihre Hände aus den seinen zu lassen.
»Von Römers?!«
»Ich mußte. Sie ließen mich nicht. Römer half mir. Aber sie – sie blieb unerbittlich. Wie entsetzt war sie. ›Nur jetzt nicht!‹ sagte sie immer. Da brannte ich durch. Noch bei Nacht, – heimlich. Telegraphierte unterwegs. Ich mußte kommen. – Durft' ich?«
Sie fragte er schüchtern, um seine nachträgliche Erlaubnis bange, wie ein Kind. Vor Frau Römer hatte sie bittend auf den Knien gelegen, – aber das sagte sie nicht.
Er nahm ihr das mützenartige Barett ab und strich ihr das Haar aus dem Gesicht zurück. Ganz wiedersehen mußte er sie.
»Ob du durftest? – Heimkommen, – ja! Bei Tag und bei Nacht, heimlich und offen. Es war Zeit. Zwei Wochen später wär' ich gekommen – zu dir. Vergiß den Brief, – alle Briefe, – das Fremde, den Zweifel, – vergiß alles – alles. Sei nur bei mir.«
Ja, da war es: das Gefühl der Geborgenheit, süß, zwingend, Heimatsgefühl, – nein, mehr als nur das, noch etwas andres, – dies Unbedingte und Ausschließliche, was ihr keine Macht im Himmel und auf Erden gab: nur er ganz allein.
»Was hast du an der Hand? verletzt? laß es mich sehen,« bemerkte er und wollte das Taschentuch lösen. Sie zuckte zurück. »Tut es so weh?«
»Nein. Nichts. Bitte nicht,« sagte sie hastig, und ein Schatten glitt über ihr Glück.
Erik stand auf.
»Komm hinein. Komm, Liebling. Zu Hause bist du erst in meinem Zimmer, – im alten Ledersessel, – nicht wahr? Und hier ist es noch zu kalt für dich, zu windig.«
Während sie auf das Haus zugingen, sagte Ruth: »Unterwegs erfuhr ich