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den Brief, der für ihn bereit lag. Sein Blick streifte Jonas, – flüchtig nur, – aber Jonas stand sofort auf, um hinauszugehn. Der Vater wußte doch ganz gut, wie schwer ihm das fiel, – aber er sollte ihm nicht noch einmal, wie in jener Nacht vor Ruths Abreise, Mangel an Selbstbeherrschung vorwerfen. Jonas gehorchte ihm jetzt immer blind, – auf den Wink; denn schickte er ihn auch aus dem Zimmer: er führte ihn ja doch den Weg zu Ruth.
Klare-Bels Augen hingen mit unausprechlicher Spannung an Erik, während er den Brief erbrach. Eine einzige Sekunde, – die Seite umgerissen, – eine zweite, blitzschnell, – und er ballte das Papier in der Hand.
Er war grau im Gesicht.
»Erik! was ist es? – etwas Schlimmes, – für dich Schlimmes, – Erik!«
Sie entsetzte sich vor dem veränderten Ausdruck in seinen Zügen.
Er entfaltete das Papier wieder, nur die Hand ballte er. Vor seinen Gedanken schwirrten vier Worte: »Ich habe ihn lieb,« und am Schluß etwas wie »den Kuß gab ich ihm,« – mehr hatte er nicht gelesen. Er biß die Zähne aufeinander.
Das zu lesen, jetzt, vor den Augen seiner Frau –
Er las es, aufrecht stehend, hell beleuchtet, vor der Lampe.
»Am Schloßberg. Dienstag.
Ich soll Ihnen von Jurii schreiben, sagt Frau Römer. Ob ich ihn lieb habe. Ich habe ihn lieb. Und ich soll alles so erzählen, wie es gewesen ist. Es ist so gewesen: Um den Schloßberg stürmte und regnete es. Ich durfte nicht in die Stadt hinuntergehn, weil ich mit Husten zu Bett gelegen hatte. Ich ging aber doch hin, um mir ein Buch für meine Arbeit zu holen. Unten fand ich Jurii, und er brachte mich nach Hause. Wir gingen unter einem Schirm und mußten uns gut zusammendrücken. Es war aber sehr glatt, und Jurii mußte immer nur achtgeben, daß ich nicht mit den Galoschen ins Rutschen kam. Da sagte Jurii zu mir: ›Ich liebe Sie. Ich liebe Sie so sehr. Werden Sie, bitte, meine Frau.‹ Das sagte er aber russisch, und darüber fing ich an zu lachen, denn wir sprechen ja immer deutsch. Da sagte er noch: ›Ich weiß jetzt, daß Sie mich nicht wiederlieben. Dann gibt es kein Glück mehr auf der Welt. Sterben möcht' ich.‹ Darüber daß er sterben wollte, wurde ich ganz traurig, und er wurde es auch. Wir achteten nicht mehr auf den Schirm und auf die Galoschen, ich verlor einen, und der Regen lief uns in den Rücken. Frau Römer schalt sehr, als wir pudelnaß ankamen, steckte mich ins Bett und kochte heißen Tee. Ich lag und weinte, denn ich wußte nicht, wie ich es anfangen sollte, damit wir wieder vergnügt sein könnten. An derselben Wand stand aber im Nebenzimmer ein Diwan, und da lag jemand und tat dasselbe. Frau Römer kam herein und horchte, ob nebenan auch jemand weinte, und lächelte etwas und sagte, wir wären rechte Kinder. Darauf setzte sie sich an mein Bett und streichelte mein Haar zurück (das tut sie grade so wie Sie) und fragte: ob ich Jurii denn nicht ein wenig lieb hätte. Ich sagte: ›Ja‹. Da sagte sie: ›Ich meine es anders. Denke einmal nach, was dir das Schönste auf der ganzen Welt ist? Gehört Jurii dazu?‹ Ich dachte nach und sagte, das Schönste auf der ganzen Welt sei ja, daß ich Ihr Kind sei. Darauf sagte sie: ›Vielleicht jetzt noch. Aber kannst du dir denn nicht denken, daß es später noch viel, viel schöner wäre, einem andern zuliebe Braut zu sein?‹ Das konnt ich mir nicht denken. Da fragte sie nichts mehr. Sie küßte mich und ging fort.
Heute ist Jurii fortgereist. Er will nicht mehr hier studieren. Ich stand grade bei meinen vielen Schneeglöckchentöpfchen, die ich im Februar unten in der Gärtnerei gepflanzt habe. Ich schnitt die aufgeblühten ab für Frau Römers Glas, damit sie wieder gut sein sollte. Da kam Jurii in mein Zimmer. Er wollte die Blumen haben und einen Kuß. Er sah so blaß und verweint aus. Ich gab ihm die Blumen. Und den Kuß gab ich ihm auch.
So ist es gewesen.
Ruth.«
Klare-Bel hatte ihre Augen vom Lesenden abgewandt. Sein Gesicht verriet alles, was im Brief stand. Allzu deutlich verriet es, daß sein Schreck grundlos gewesen war.
Erik in dieser Abhängigkeit zu sehen von dem, was Ruth tat oder unterließ, – das war gräßlich. Das wollte sie nicht sehen.
Sie hatte gemeint, das Schwerste sei gestern über sie gekommen. Aber nicht, es zu wissen, war das Schwerste, – nein, es mit wissenden Augen zu beobachten, täglich, stündlich, es bestätigt zu finden in solchen kleinen Vorgängen. Dieses Lieben und Schwanken mit anzusehen, – das war schwerer. Nicht nur schwerer, – unmöglich war es.
Und dann, – wenn Ruth einen andern abwies, – dann liebte wohl auch sie Erik. Und wenn sie ihn liebte, – dann erst war er für Bel verloren. Auf sein Glück konnte er vielleicht verzichten – für Bel, auf Ruths Glück nie. Nicht, wenn er sie wirklich liebte. Wo die stärkere Liebe blüht, da wächst auch das stärkere Pflichtgefühl: da sorgt man nur noch um das Glück des andern.
So empfand Klare-Bel.
*
Am nächsten Tage fehlte sie beim Morgenfrühstück. Gonne hatte es ihr auf ihr Zimmer bringen müssen.
Erik suchte sie sofort auf. Er war schon in aller Frühe aufgestanden und hatte, nach mehreren vergeblichen Versuchen, Ruth geschrieben.
Aber diesmal gelang es ihm schlecht, – ein gequälter Ton klang durch.
Klare-Bel lag im Morgenrock auf ihrem früheren Ruhestuhl, eine Felldecke über den Knien. Sie sah nicht krank aus. Viel mehr klar und gesammelt.
»Du bist doch nicht leidend?« fragte er dennoch, mit ehrlicher Sorge.
»Ich bin nicht leidend, Erik. Aber ich mußte dich bei mir haben. Allein, – ganz allein, – ohne Jonas.«
Und sie umfaßte seine Hand mit ihren bei den Händen.
»Um dich zu bitten: laß mich jetzt abreisen! Jetzt schon. Es sollte ja doch bald sein. Laß es jetzt sein!«
Er schwieg einen Augen blick. Diese Bitte war beredt. »Wenn du es durchaus willst, Bel. Dann soll es beeilt werden. Ich will jede Sorge dafür tragen. Ich bin jetzt gebunden. Aber Jonas soll dich hinbringen.«
»Ach nein, Erik! Laß mich allein hin. Nicht mit Jonas. Gonne