Ruth - Page 61

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mit Bel, das waren keine zwei selbständigen Blüten, die zusammenstanden: das war eine Blüte, die einen Tautropfen aufgesogen hatte, der unvorsichtig in ihren Kelch gefallen war.

So würd' es wohl Frau Römer ausdrücken.

Römers standen eben von vornherein anders zueinander. Sie bewunderten sich gegenseitig, – eigentlich war es rührend. Man konnte nicht recht darüber lächeln: man mußte diese beiden Menschen achten.

Bel konnte aber nicht mit Frau Römer verglichen werden. Als er sie fand, ein Jahr älter als er selbst, sinnbetörend schön, bereits fertig mit ihrer kurzen Entwicklung, – ein in gewisser Weise viel fertigerer Mensch als er, – was hätt' er da wohl anders tun können, als dürstend in sich aufzusaugen, was sich, nach Selbstuntergang sehnsüchtig, ihm darbot?

Aber wenn man einen schwächern Menschen so absolut in Besitz nimmt, so fühlt man die furchtbare Verpflichtung, ihn nicht wieder von sich zu lösen. Man stellt sich für das ganze Leben in einen Kampf hinein zwischen Scham und Mitleid bei jedem leisesten Versuch, sich dieser Verpflichtung zu entziehen.

Wahrscheinlich würde das Frau Römers Meinung sein. – Auch – Ruths Meinung? Ruth grübelte nicht über solche Fragen. Aber was täglich, stündlich auf sie wirkte, sie mächtiger beeinflussen mußte als alle Worte, alle Grübeleien, – das war Frau Römers Ehe. Eine heilig gehaltene, glückliche Ehe.

*

Sobald ihn sein Unterricht frei ließ, ging Erik zu Warwara. Mehr als er sich's selbst gestehn wollte, war es ihm recht, jetzt noch nicht nach Hause zu fahren.

Als Erik gemeldet wurde, entfernte sich eine lange hagere Engländerin, Warwaras Gesellschafterin, aus dem Zimmer.

»Sie sehen ganz besonders ernst aus,« bemerkte er bei der Begrüßung zu Warwara, »es ist Ihnen inzwischen doch nichts Unangenehmes passiert?‹

Sie mußte hell auf lachen.

»Etwas passiert, – ja. Aber man zählt es nicht zum Unangenehmen.«

»– Verlobt?! – war das die Mitteilung?! – Mit wem?«

Sie setzte sich in ihre Plauderecke. »Gleich viel mit wem. Ein Ihnen ganz Fremder. Im Auslande. Sie werden es auf einer schön gestochenen Verlobungskarte lesen.«

»Und darf ich Ihnen Glück dazu wünschen, Warwara?«

»Wie meinen Sie das?«

»Ich meine natürlich, ob Sie das Geringste für den Mann fühlen, den sie heiraten wollen.«

»Daran zweifeln Sie.«

Er schweig.

»Ich will's Ihnen sagen. Dazu rief ich Sie ja her. Ich hab' ihn gern. Sehr gern. Aber mir wird nicht heiß und kalt, wenn ich an ihn denke.«

»Und das scheint Ihnen zu genügen. Es genügt nicht, Warwara.«

»So will ich Ihnen noch mehr eingestehn. Was ich in der Ehe suche, – das Glück, das ich suche, – ist nicht der Mann.«

»Sondern?«

Sie stand auf und trat an ihren Blumentisch, mit dessen Pflanzen sie sich zu schaffen machte. »Das Kind.«

Erik schwieg überrascht.

Nach einer kurzen Pause sagte sie: »Es ist ein sehr vertrautes Geständnis. Aber ich bin mit Ihnen sehr vertraut, – mehr, als Sie wissen. Hab' Sie oft so im stillen bei mir selbst um allerlei Rat gefragt. Sie zum Beichtvater und Seelsorger gehabt. Wir hätten öfter, als wir getan haben, ernst Dinge miteinander teilen sollen.«

»Das hätte mich sehr froh gemacht, Warwara. Schon das, was Sie da sagen, macht mich froh. Ich bedurfte grade dessen.«

»Nun, sehen Sie, das ist gut. So will ich's auch ruhig bekennen. Daß ich wirklich nur ein ganz armes Weltkind bin, voll von allerlei Tand und Plunder. Und daß ich gern mehr sein möchte. Vielleicht dank Ihnen, – dank den stillen Unterhaltungen, die ich da mitunter mit Ihnen geführt habe. Und so will ich mir denn nun den einzigen Erzieher und Meister ersehnen und erwünschen, der aus mir noch das Beste machen kann, – das Beste, was in mir ist.«

»Das alles erwarten Sie von einem Kinde?«

»Von der Mutterschaft, – ja. Von der Mutterliebe. Dem Mutterglück. Der Mutterpflicht. – Und dann,« sie wandte sich lebhaft zu ihm, »irgendwann einmal, wenn ich wirklich so glücklich sein soll, dann geb' ich mein Kind in Ihre Hand, damit Sie es zu einem tüchtigen Menschen heranziehen helfen, sie Menschenlehrer.«

»Hätten Sie das Vertrauen zu mir? Ein so festes? Einen ganz festen Glauben an mich? Ich danke Ihnen, Warwara.«

»Ja. Ich traue Ihnen und Ihrer Kraft unendlich viel zu. Unter der einen Bedingung: daß Sie Ihre Aufgabe sehr lieben.«

»Mit andern Worten: keine Kraft zur Pflichttreue.«

»Das weiß ich nicht. Ich glaube nur trotz allem, daß Sie im Grunde Gemütsmensch sind. Und das heißt doch nur: sehr lieben können – Menschen oder Ideen, – und da wo man sehr liebt, sich rückhaltlos verschenken können. Hingegen all das andre, was Sie bisweilen mit solchem Selbstvertrauen zu behaupten pflegen, – all die Sicherheit und Unfehlbarkeit außerhalb dieser leitenden und entscheidenden Gefühle, – nein, – daran glaub' ich auch für Sie nicht.«

»Sie sind eine große Philosophin geworden,« bemerkte er halblaut.

»Wie? Sie geben mir's zu?« fragte sie überrascht. »Welch ein fremder guter Geist der Nachgiebigkeit ist denn nur über Sie gekommen? Aber es ist wahr, warum sollten auch Sie es nicht einmal fühlen, wie abhängig wir alle vom Glück sind, – wir armen Weltkinder alle? Von dem fruchtbaren Erdfleckchen, wo auf auch für uns noch ein ganzes Glück, eine ganze Liebe und – dadurch allein! – auch eine ganze Pflicht und Heiligkeit wachsen kann.«

»Und wenn wir dies Erdfleckchen, grade dies, nicht bebauen dürfen?«

»Dann verdorren wir, – oder wir verschleudern uns. Wenigstens ich. Und Sie auch.«

Ein Diener erschien in der Portierentür und bat zur Tafel.

Warwara stand auf.

»Geben Sie mir den Arm. So ernst? Ich habe Sie doch nicht verletzt?«

»Nein. Sie haben ganz recht. Hatten recht, als Sie ein mal vor langer – sehr langer Zeit zu mir sagten: ›Wir haben eine gemeinsame Versuchung.‹ Es erkennen, heißt hart werden – gegen alles, was uns hindert, uns fruchtbar auszuleben.« –

*

Auf dem Lande saßen Klare-Bel und Jonas nebeneinander bei Tisch. Jonas fand: einander gegenüber, das sei zu feierlich. Es machte ihm Spaß, dabei die Mutter zu bedienen und ihr vorzulegen, von allem das Beste. Er war bemüht, sie zu unterhalten.

Klare-Bel hörte nicht recht hin, ihre Blicke hingen an einem Brief, den Jonas mitgebracht hatte. Er war erst nach Eriks Anwesenheit in der Stadtwohnung dort eingelaufen.

Von Ruth. Ganz außer der Zeit. Klare-Bel konnte eine schwache, törichte Hoffnung nicht unterdrücken, die mitten in Jonas' harmloses Geplauder hineinredete.

Als Erik bald nach dem Abendtee zu Hause eintraf, bemerkte er sofort

Veröffentlicht / Quelle: 
Verlag der J. G. Cotta'schen Verlagsbuchhandlung Nachfolger, Stuttgart, 1895

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