Vollalarm

Bild von maruschka
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Irre helle summende kurze, lange, zahme, wüste, kleine, hohle, alte, liebe, spitze, stumpfe Silbenformationen in allen Längen, Farbabstufungen und Hitzegraden überfallen ihn manchmal wie Stechmückenschwärme. Sie lassen sich unvermutet auf ihm nieder, ergreifen Besitz von ihm. Seine Haare stellen sich senkrecht, die Zehen krümmen sich, er kneift beide Augen zu, denn sie nehmen ihm die Sicht. Vollalarm, denkt er dann in Erinnerung an die hagelnden Bombensplitter vor sehr langer Zeit. Panisch wehrt er sich gegen die aggressiven Wortgeschwader, schlägt um sich, schreit, sie quälen mich, mir schwindelt, sie bringen mich aus dem Gleichgewicht. Viel zu viele auf einmal sind es meistens, sie greifen ihn von allen Seiten an, umkreisen seinen Kopf, kreischen ihm die Ohren taub. Verlasst mich wieder, fleht er aufgelöst. Doch will er die Silbenmonster auch einfangen, möchte jedes einzelne von ihnen zur Rede stellen, wer bist du denn, wo kommst du her, wohin willst du, was machst du mit mir, was kann ich mit dir anfangen. Noch bevor er zur Besinnung gekommen ist, haben die rasenden Silben stets von ihm abgelassen, sind auseinander gestoben und dunkel brummend in dicken Trauben davongezogen. Leer bleibt er zurück. Die werden zurück kommen, weiß er, doch auch dann werde ich sie nicht festhalten können.
Hör auf zu jammern, flüstert er sich selbst beruhigend zu, schau nach, was auf deinem eigenen Mist gewachsen ist. Mach das Beste daraus, auf Mangelverwaltung verstehst du dich. Und greif die paar Worte auf, die sich auch bei diesem Angriff in deinen Haaren verfangen haben. Höre, was sie dir zuraunen. Vielleicht genügen sie dir ja für die Zeit, die noch bleibt. Füge sie aneinander zum Gedicht deines Lebens.

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