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Ulla verfügte, wenn auch auf einem anderen Gebiet. So lange er Karin kannte, hatte sie bei verschiedenen Gelegenheiten Männer erwähnt, die in ihrem Leben eine Rolle spielen mochten. Jedem dieser Namen war ungefähr ein Quartal gewidmet, um danach nie wieder genannt zu werden. Sie besaßen die Haltbarkeitsdauer eines Studiumsfaches, welches mit der abschließenden Klausur einer Prüfung unterzogen und danach vergessen wurde.
Keinen dieser Namen schaffte es, dass Karin ihn als ihren Freund bezeichnete. Ganz zweifelsohne war sie jedoch auf der Suche und ließ sich nicht auf Kompromisse ein. Nach der dreimonatigen Prüfungszeit gab es für die Männer nicht die Möglichkeit, einen Antrag auf Verlängerung zustellen.
Winton war der erste Name, der es über diese Testphase hinaus geschafft hatte und ihn aus den Tiefen unbestimmter Erwähnungen heraushob. Karin nannte ihn nun ihren Freund und manchmal holte er sie von den Vorlesungen an der Fachhochschule ab.
Bei diesen Gelegenheiten sprach Winton kaum mit den anderen. Seine ganze Aufmerksamkeit lag auf Karin. Christian konnte es ihm nicht verübeln. Die Studenten waren für ihn Fremde. Winton war freundlich, doch während seiner Ankunft bereits schon im Begriff, zu gehen.
Wie Karin zwischendurch einmal erwähnte, war er Trainer in einem Fitnesscenter, was sein muskulöser Körperbau eindrucksvoll dokumentierte. Christian hatte sogleich das Bild eines Sportanimators in Kopf und die Charaktereigenschaften, die er damit verband. In seinen Vorstellungen skizzierte er Winton als jemanden, der das Leben nicht ernst nahm und sich ungern festlegte. Natürlich waren es Vorurteile und Christian wusste das. Wie sollte solch ein Charakter erfolgreich Karins gnadenlose Prüfung überstehen? Ulla hingegen sah es viel einfacher. Ihre Entscheidungsfreudigkeit machte sich auch bei Winton bemerkbar.
„Ich glaube, er ist nett“, sagte sie zu Christian.
„Woher willst du das wissen?“ fragte er.
„So etwas spüre ich“, entgegnete Ulla und überzeugte Christian wieder einmal davon, über Weisheiten zu verfügen, in deren Tiefe er niemals einzudringen vermochte.
Christians Taktik, bei Ulla mehr Zeit zur Entscheidung zu schinden, fruchtete nicht.
„Schade, dass du nicht mitkommen willst“, hatte Ulla gesagt und Christian das Gefühl beschert, irgendetwas falsch zu machen.
„Vielleicht hast du Recht“, erklärte er daraufhin. „Es kommt wahrscheinlich davon, dass ich Lars nicht mag.“
„Es ist ein Sommerfest. Du wirst ihn kaum sehen und wenn es uns nicht gefällt, können wir ja fahren.“
Da war er! Dieser Satz, der Christian die Möglichkeit nahm, abzulehnen. Ullas Art, sich mit seinen Bedenken zu beschäftigen, hätten jede Äußerung in diese Richtung stur wirken lassen. Manchmal war er es tatsächlich; Ulla gegenüber aber konnte er es nicht.
„Dann sehen wir uns das einmal an“, sagte er daraufhin und Ulla nickte zufrieden.
Winton hatte sich bereit erklärt, zu fahren. Normalerweise fuhr Ulla lieber selber. In diesem Fall aber glaubte sie, dass Karin Wert darauf legte, dass ihr neuer Freund eine Aufgabe in der Gruppe übernahm und so trafen sie sich in Christians Wohnung.
Wie gewöhnlich kam Karin zu spät. Nicht wesentlich über der Zeit. Es war früh genug, dass sie noch kein schlechtes Gewissen bekommen konnte und Winton schien es gar nichts auszumachen.
„Hallo“, sagte er zu Christian, so als handelte es sich um ein Treffen von einer Reihe anderer, die sie bereits hinter sich gebracht hatten.
Ulla stand im Wohnzimmer und wartete. Sie gab Winton die Hand.
„Ich finde es großartig, dass du uns fährst“, sagte sie und sah Karins Freund an.
„Der Wagen ist groß genug“, erklärte Karin, die mit Christian ins Wohnzimmer folgte und Winton lächelte auf ihre Erklärung hin.
„Ist kein Problem für mich. Mein Passat schafft das schon“, ergänzte er.
Aus irgendeinem Grund glaubte Winton wohl, das Geständnis, einen Passat zu fahren, würde seiner Person nicht gerecht werden und er wandte sich an Christian, so als müsse zumindest er es verstehen:
„Den mit 270 PS. Da ist richtig Power unter der Haube.“
Er zwinkerte Christian zu, doch dieser sah ihn irritiert an. Winton konnte nicht wissen, dass Christian sich nicht für Autos interessierte. Er hatte bislang nur Wagen gefahren, die er zufällig aufstöberte und ihm nicht viel kosteten. Christian machte keine Unterschiede in Ausstattung und Motorenstärke. Autos waren dafür da, dass sie ihn irgendwohin brachten.
Bei Winton schien das anders zu sein.
„Ach so“, entgegnete Christian deshalb und handelte sich von Ulla einen ungnädigen Blick ein.
„Der Wagen ist wirklich super“, redete Karin weiter. „Am nächsten Wochenende fahren wir für ein paar Tage nach Amsterdam.“
„Das Wetter soll schön werden“, sagte Ulla und Karin sah sie dankbar an.
„Mit dem Wagen sind wir in drei Stunden da“, erklärte Winton und spielte somit in Christians Ohren wieder auf die Motorstärke an.
„Das ist schnell“, bestätigte Christian, der nicht wusste, was er sagen sollte.
„Es ist der einzig freie Termin. Im Herbst beginnt Winton eine Fortbildung. Dann haben wir keine Zeit mehr“, erklärte Karin voller Enthusiasmus. „Und danach wollen wir uns nach einer gemeinsamen Wohnung umsehen.“
Sie sah zu Winton hinüber. Er lächelte sie an, sagte aber nichts dazu.
„Das ist toll“, sagte Ulla.
Scheinbar mochte sie Winton wirklich. Vielleicht freute sie sich auch nur darüber, dass Karin endlich jemanden gefunden hatte, der die Prüfungsphase überstanden hatte. Christian war in dieser Hinsicht zwiespältig. Wahrscheinlich tat er Winton damit unrecht. Möglicherweise war es seiner eigenen Unentschlossenheit geschuldet. Als er mit dem Studium begann, war es lediglich das Gefühl, etwas tun zu müssen, welches ihn dazu bewog. Er hatte keine Ahnung, was er später damit beginnen sollte. Selbst eine vage Vorstellung dazu fehlte ihm. Alles war ein vielleicht. Der erfolgreiche Fitnesscoach mit seinem durchtrainierten Körper hingegen schien einen genauen Plan zu haben. Er kannte solche Zweifel nicht und dies machte ihn in Christians Augen verdächtig.
„Wenn ihr wollt, können wir losfahren“, sagte Karin und hakte sich unter Wintons Arm.
Lars hatte zu seiner Party am See außerhalb der Stadt eingeladen. Seine Eltern besaßen dort ein Sommerhaus. Es stand auf einer Anhöhe, ein Stück vom Ufer entfernt, und wurde von ihnen gelegentlich an den Wochenenden genutzt. Für ihren Sohn war dieser Ort eine willkommene Gelegenheit, um Partys zu feiern.
Lars studierte im gleichen Semester wie Ulla, Karin und Christian. Für gewöhnlich saß er in den Vorlesungen fünf Reihen vor ihnen. Er diskutierte gerne mit den Dozenten und manche von ihnen ließen sich darauf ein. Meist ging Lars als Gewinner aus diesen Debatten hervor. Dies schien ihm zu genügen.
Kommentare
Der Autor schuf ein Werk mit Feuer -
Und wie es wirkt. Ganz ungeheuer!
LG Axel
Danke für die schöne Partyyyyyyy!!!!!!
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