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hinüber gegangen und stand nun neben ihm an dem Holzpfeiler. Sie sah dem Bärtigen zu. Manchmal ließ Lars eine Bemerkung fallen und Ulla lachte.
Für Christian war es ein seltsames Gefühl und er sah schnell weg, hinein in das Feuer, welches um die eigene Kraft wusste und sich nicht an der eigenwilligen Aufführung zu stören schien. Das Bier, welches Christian in kürzester Zeit hinunter gestürzt hatte, machten ihn ein wenig benommen und die Wärme des Feuers ließen ihn, selbst über die zwanzig Meter Entfernung hinweg, einen ersten Anflug von Übelkeit spüren. Es mochte an dem Alkohol liegen oder an der gewöhnungsbedürftigen Darbietung des bärtigen Witzeerzählers. Wenn er wählen konnte, so wäre es ihm lieber gewesen, es hätte am Bier gelegen.
So ähnlich musste sich Karin nun wohl auch fühlen. Wenn auch aus anderen Gründen. Natürlich lag es an Winton, irgendwie. Das er mit Krissy verschwunden war, trug sicherlich nicht zu Karins Wohlbefinden bei. Doch nichts trug dazu bei, was nicht ihren Vorstellungen entsprach. Karin mochte das Studium an der Universität mit einer chronische Unaufmerksamkeit durchgestanden haben, die Vorbereitungen zu den verschiedenen Klausuren hatten ihr jedenfalls eines gelehrt: war man nicht ausreichend vorbereitet, so brachte man unabdingbar einen Ersatzplan. Und darin war sie extrem gut.
Als erstes hörte Christian das Geräusch des Motors. Er heulte einmal auf, als habe sich ein sibirischer Wolf in die Gegend verirrt und tuckerte dann in jener Unbestimmtheit dahin, die ihm mühevoll von seinem Besitzer antrainiert worden sein musste.
Christian sah hinüber zu dem Fußweg, der sich vom See aus leicht anhob und sich geradewegs in der Dunkelheit verlor, wo sich das Dickicht links und rechts wie Torpfeiler erhob. Das Gestrüpp mochte kompakt wirken, aber es besaß nicht die Widerstandskraft. Es konnte sich keinem tonnenschweren Ungetüm entgegen stemmen, das es mit fünfzig Stundenkilometern und genügend Anlauf durchbrach.
Der Passat zerbarst die Zweige wie Streichhölzer und einen Augenblick, als das Chassis über die Hügelkuppel schoss, hingen die beiden Scheinwerferlichter in der Luft, als starteten sie zu einer Raumfahrtmission. Dann krachte der Wagen auf den Boden und die Stoßdämpfer federten ihn über den Weg, dass Christian für Sekunden glaubte, die Räder würden zur Seite wegbrechen.
Aber sie taten es nicht. Sie hielten direkt auf das Lagerfeuer zu, als würden sie die Funken über das gesamte Land verstreuen. Christian musste zugeben, dass es sich bei der Aktion eindeutig um einen von Karins Ersatzplänen handelte. Dieser aber war nicht nur gut, er war geradezu spektakulär. Schon als der Passat durch die Büsche brach, wandten die Gäste ihre Köpfe. Der Bärtige vergaß, Michael Jackson weiter zu imitieren. Er hielt einen Arm empor und blickte nun ungläubig darunter hindurch, als habe er Angst, dass dieses fremde Wesen ihm die Show stehlen würde. Die beiden Frauen neben ihm kreischten, aber das hatten sie den ganzen Abend aus unerfindlichen Gründen bereits getan, dass es nun nicht unbedingt an dem wilden Auftritt des Passats liegen musste.
Lars, der seine Hand auf Ullas Oberarm gelegt hatte, drückte vor Erschrecken zu, dass die Frau augenblicklich zurück sprang.
„Aua! Spinnst du?“
Aber Lars kümmerte sich nicht darum. Er wies mit dem Finger in Richtung des Wagens, der nun den Hügel hinab auf sie zuschoss.
„Was, verdammt…?“ rief Lars. Weiter kam er nicht.
Wenn Karins Plan auch eindeutig darauf abgezielt hatte, den Pulk der lodernden Holzscheite zu durchbrechen, so schien der Wagen doch anderes im Sinn zu haben. Möglicherweise lag es am Alkohol, dass Karin falsch lenkte, gerade als sie die Kupplung trat und einen Gang höher schaltete, um ihrer Aktion „mehr Authenzität zu verleihen“, wie Lars es wohl ausgedrückt haben mochte. Der Wagen jedenfalls nutzte die Gelegenheit, den Flammen zu entgehen, rutschte den Weg seitlich hinunter und schoss nun an dem Pavillon vorbei, hinunter zum See.
Das Wasser spritzte über die Kühlerhaube und verursachte ein klatschendes Geräusch, als würde man ein kaltes Glas Wasser in eine heiße Bratpfanne gießen. Karin mochte über die Entwicklung genauso erschrocken sein wie alle anderen und gebremst haben. Sie hatte es wohl akzeptiert, als Feuerteufel in die Geschichte einzugehen, doch wollte sie keinesfalls als Wassernixe enden.
Die Haube des Passats lag vinetagleich zur Hälfte unter Wasser. Es stand am unteren Rand der Tür, als der Wagen zum Stehen kam.
Karin öffnete die Tür und schwang die Beine heraus. Aber sie blieb hängen und als sie sich aus dem Wagen zog, strauchelte sie und fiel ins Wasser. In diesem Augenblick kam Winton mit Krissy von irgendwoher. Die junge Frau schien nun noch besser drauf zu sein, als sie es vor ein Stunden bereits war. Wahrscheinlich hatte Lars eine Flasche für ihre Exkursion mitgenommen, denn auch bei ihm zeigte sich die Wirkung.
Krissy tanzte wie eine Elfe bei Mitsommerwende. Lars aber gab sich sichtliche Mühe, seine Schritte gerade auszurichten.
„Hallooo!“ kreischte Krissy und warf die Arme wie eine Cheerleaderin in die Luft. Die Gäste wussten nun nicht mehr, wen sie anstarren sollten. Die Frau, welche sich nun als Schiffbrüchige aus dem Wasser erhob und wie ein alter Maat fluchte, oder den tanzenden Tiger, der sich nun wieder an Wintons Arm klammerte und verschmitzt den Kopf duckte. Das war irritierend. Zumindest für Christian. Er wusste nicht, was er tun sollte.
Karin war nichts passiert, aber sie war in einer Laune, in der es Christian nicht unbedingt ratsam schien, mit ihr zu reden.
„Scheiß Kerle!“ schrie sie und nun hatte Winton mit Krissy den Pavillon erreicht, dass er hinunter zum See blicken konnte. Er sah den Passat mit der Schnauze im Wasser stehen, als habe sich ein Jagdhund beim Apportieren zu weit aus dem Wasser gewagt und versuchte nun krampfhaft, das Stöckchen zu erwischen. Die Frau mit ihrer nassen Bluse wirkte daneben, als wäre sie direkt aus einem Stephen King Buch entsprungen.
„Was hast du mit meinem Wagen gemacht?“ schrie Winton und Krissy klammerte sich fester an seinen Arm, als wolle sie die vergangen Momente zurück in die Gegenwart zerren.
„Scheiß Kerle!“ schrie Karin zurück, trat einen Schritt und fiel erneut ins Wasser. Ulla wartete diesen zweiten Sturz nicht ab. Während all die Gäste in ihrer Erstarrung verharrten, unfähig den Blick von der Szene abzuwenden, die ihnen für einen Moment wie einer von Lars seltsamen Showeinlagen vorkommen musste, rannte sie über den Weg des Pavillons hinunter zum Strand.
Karin stemmte sich gerade wieder aus dem Wasser empor. Das Make-up ihres Lidschattens lief ihr über das Gesicht wie schwarzen Tränen eines Clowns. Ulla beugte sich zu ihr hinunter, umfasste die Taille mit einem Griff, den jeder Ringer nicht besser hinbekommen hätte und zog sie hoch.
„Mir ist schlecht“, jammerte Karin und lehnte den Kopf an Ullas Schulter.
Ulla tat, als habe sie es nicht gehört und zog ihre Freundin vollends auf das Ufer. Dort sackte Karin erneut auf die Knie und übergab sich.
„Meine Beziehung mit Winton ist in Bewegung“, hatte Karin Ulla und Christian einmal versucht zu erklären. Beide hatten das bezweifelt, wenigstens in der Art, wie Karin es meinte. Doch nun, als die sie die Freundin dort an dem Strand hocken sahen, mussten sie ihr Recht geben.
Sie kotzte eine Mischung aus Wasser und Bier und all die Erwartungen, sie sie in den letzten Monaten mit Winton verknüpft hatte. Sie schien damit gar nicht mehr aufhören zu können. Ihr Körper zitterte auf, wenn sich ein neuer Schwall empor kämpfte und sie ihn auf den matschigen Sand spie.
Christian konnte sich nicht entscheiden, ob ihm Karins Auftritt oder Wintons Reaktion peinlicher war. Krissy klammerte sich immer noch an seinen Arm. Er riss sich jedoch los und rannte hinunter zum Ufer.
Karin kniete auf dem matschigen Uferboden. Ulla stand über ihr gebeugt und hatte ihr die Hand auf den Rücken gelegt.
Die Wellen spritzen auf, als Winton mit den Füßen in den See sprang. Er lugte durch die Seitenscheibe in den Wagen. Ein wenig Wasser hatte sich im Fußraum angesammelt. Wütend schlug Winton mit der Hand auf das Autodach.
„Was hast du dir dabei gedacht?!“ schrie er und wandte sich zu Karin um, woraufhin sie wieder zu kotzen begann.
Ulla sah zu ihm hoch.
„Ihr ist schlecht“, sagte sie.
„Das ist ja wohl auch das mindeste!“ schrie Winton.
Karin schien es bewusst zu werden, dass sie vor ihrem Freund kniete. Sie schüttelte Ullas Hand von ihrem Rücken ab und bemühte sich, aufzustehen.
„Du bist ein Arschloch!“ schrie sie, als sie endlich stand.
Ulla war ein Stück zurück getreten, dass Karin und Winton sich nun direkt anstarren konnten.
„Sieh dir meinen Wagen an!“
Winton wies mit der Hand hinter sich.
„Sei froh, dass er nicht ganz abgesoffen ist und du drin sitzt!“ keifte Karin zurück. Dann beugte sie sich hinunter und übergab sich wieder.
Sie richtete sich aber sogleich wieder auf.
Krissy hatte den Platz des Michael Jackson Imitators eingenommen und tanzte wieder allein vor dem Lagerfeuer. Sie beachtete Winton und Karin nicht. Ihre Hände formten unsichtbare Gebilde im Nachthimmel und der Tiger auf ihrem Rücken fauchte.
Der Joint und der Alkohol ließ sie nicht mehr so sicher auf den Beinen balancieren. Sie schwankte ein wenig und fing sich im letzten Moment ab. Sie tanzte barfuß. Niemand beachtete sie. Die Gäste standen sahen hinunter zu Karin und Winton, die nicht nachließen, einander zu beschimpfen.
„Das ist besser als jeder Witz, den ich kenne“, meinte der Bärtige zu den Frauen. Sie kicherten.
Lars meint, eine Party biete doch immer wieder Überraschungen. Spontanität sei das Beste, was man zulassen könne, woraufhin in Christian der unbezwingbare Drang aufloderte, dem Gastgeber ins Gesicht zu schlagen. Aber davon wurde er abgehalten.
Gerade in den Augenblick, als er sich Lars zuwenden wollte, stolperte Krissy über ihre eigenen Füße.
„Ups!“ rief sie und fiel vornüber. Ihre Hände suchten, sich an etwas zu klammern und erwischten das Ende der Girlande. Das Gewicht, mit dem Krissy daran zog, hielt die provisorische Befestigung nicht stand. Die Girlande wurde aus den Haken im Pfeiler gerissen und fiel von dort direkt in das Feuer. Augenblicklich loderten die Flammen heller auf.
Die Gäste wandten sich erschrocken um. Krissy schrie und krabbelte vom Lagerfeuer weg. Lars sprang auf, als müsse er irgendetwas löschen. „Wow!“ sagte der Bärtige und nickte zustimmend. Die beiden Frauen an seiner Seite giggelten.
Winton und Karin ließen sich davon nicht beeindrucken. Sie stritten weiter, doch niemand hörte ihnen mehr zu.
Ulla trat an Christians Seite, der sich nicht entscheiden konnte, ob er in die lodernden Flammen und hinunter zum See blicken sollte.
„Ich glaube, wir können jetzt fahren“, sagte Ulla zu ihm.
„Ja“, nickte Christian bestätigend und nahm ihre Hand.
Kommentare
Der Autor schuf ein Werk mit Feuer -
Und wie es wirkt. Ganz ungeheuer!
LG Axel
Danke für die schöne Partyyyyyyy!!!!!!
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