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Eifersucht
Erzählung von
Hans Werner
Als Rita eines Morgens den Wäschekorb ausleerte und Grob- und Feinwäsche sortierte, um die Waschmaschine zu füllen, entdeckte sie auf einem der weißen Herrenhemden ihres Mannes einen seltsamen lippenförmigen Abdruck unterhalb des Kragens. Es war mit Sicherheit die Spur eines Damenkusses. Sehr deutlich konnte man die Umrisse erkennen, schwach zwar, aber doch klar gezeichnet, die geschwungenen, etwas aufgeworfenen Lippen eines vollen Frauenmundes. Rita betrachtete eine ganze Zeit lang, wohl einige Minuten, dieses schwach abgedruckte Bild, das, wenn man es gegen das Licht hielt, feingliedrig wie ein Wasserzeichen, sogar die zarte Maserung von Frauenlippen erkennen ließ. Sie empfand leichten Schwindel. Ihr war, als ob der Fliesenboden des Badezimmers ins Schwanken geriete. Mit einer Hand musste sie sich am Rand des Waschbeckens festhalten, um nicht zu taumeln. Fieberhaft überlegte sie, wann ihr Mann, Dr. Florian Ehrhard, hoch angesehener Notar dieser Stadt, dieses Hemd wohl zum letzten Mal getragen hatte. Vor einigen Tagen waren sie zusammen beim Tanztee im Parkhotel gewesen, wo sich Paare aus besseren Kreisen regelmäßig trafen. Hatte sie, beim letzten Tango, zu vorgerückter Stunde, ihren Mann nicht leidenschaftlich an sich gedrückt? War sie da mit ihren Lippen seiner Schulter unabsichtlich nahe gekommen? Sie konnte sich nicht entsinnen, ihm beim Tanzen Küsse gegeben zu haben. Es war sowieso nicht ihre Art, vor anderen Leuten Zärtlichkeiten auszutauschen. Aber ab und zu legte sie schon mal ihr Gesicht an seine Brust, und da er einen Kopf größer war als sie, hätte dieser Lippenabdruck auch von ihr sein können. Aber sie war sich, so sehr sie auch nachgrübelte, nicht mehr sicher, ob sie es selbst gewesen sei. Ihr Mann bekleidete eine hohe Stellung, er musste seine Hemden täglich wechseln, denn bei der vornehmen Kundschaft, die täglich seine Kanzlei aufsuchte, war ein tadelloses Outfit unabdingbare Voraussetzung. Ach, dachte sie, du machst dir zu viele Gedanken. Es wird schon nichts gewesen sein.
- Na, mein Schatz, wie ging es heute?
Florian war wie jeden Tag gegen 19 Uhr von der Arbeit heimgekehrt und begrüßte seine Gattin in der gewohnten jovialen Art.
- Hier riecht es prima. Was hast du Tolles gekocht?
Rita lächelte. Sie wusste, dass bei ihrem Mann die Liebe stets durch den Magen ging. Sie trat auf ihn zu und blieb vor ihm stehen, schaute ihn erwartungsvoll an und versuchte zu lächeln. Aber er nahm sie nicht in die Arme, fing auch nicht ihren Blick auf, sondern sah irgendwie über sie hinweg.
- Sauerbraten mit Knödeln, Flori, sagte sie schließlich, das magst du doch besonders gern.
- Und ob. Gerade heute hab ich einen Riesenappetit. Hatte nicht einmal ein Mittagessen. Schwierige Testamentsverhandlungen. Manche Mandanten sind eklig und verbohrt.
- Hattest du Ärger?
Rita schaute ihn teilnahmsvoll an. Doch er sah nur vor sich hinab auf den Teller, in den er eine Riesenportion geschöpft hatte.
- Manche Menschen sind so schwierig. Wenn sie nicht am Besitz kleben können wie Schmeißfliegen am Fliegenfänger, dann sind sie zum Sterben unglücklich. - Rita, mit manchen Menschen ist es furchtbar. In allem sehen sie nur ihr Eigentum. Dabei ist uns doch alles nur auf Zeit geliehen. Nur auf Zeit. Irgendwann muss man alles hergeben. Niemand weiß das besser als ein Notar.
- Nur mich nicht, Liebster.
Rita war zu ihm aufs Sofa gerutscht und wollte ihn mit beiden Armen umschlingen.
- Ja, dich nicht. Du gehörst mir - und ich - Dir.
Florian hatte es lieb und zärtlich gesagt, seine tiefe Stimme bekam in solchen Momenten einen warm singenden Klang.
- Aber jetzt bitte, lass mich essen. Ich vergeh vor Hunger.
- Und ich auch, sagte Rita und rückte etwas gekränkt von ihm ab.
Anschließend verbrachten sie zusammen einen harmonischen Fernsehabend, der Film handelte von Fremdgehen und Eifersucht. Es wurde kaum gesprochen. Rita ertappte sich immer wieder dabei, dass sie ihrem Mann einen prüfenden Seitenblick zuwarf. Ihr war, als müsste sie seine Augen überwachen, ob nicht ein verräterischer Glanz in ihnen aufleuchtete. Nach dem Film gingen sie sofort zu Bett, und eigentlich war ihnen beiden danach, noch ein wenig miteinander zu kuscheln. Aber in ihrem verletzten Stolz fühlte Rita in sich eine leise Trauer, deren Ursache sie nicht einmal hätte klar benennen können. Deshalb wandte sie sich ab, als sich Florian ihr nähern wollte. Sie vergrub sich in ihre Kissen. Er indessen machte danach auch keine weiteren Anstalten mehr auf sie zuzugehen, was sie eigentlich erwartet hätte, und schließlich versanken sie bald danach in ihren gewohnten Schlaf.
Der Lippenfleck auf dem Hemd wollte Rita auch die kommenden Tage nicht aus dem Kopf gehen. Immer wieder musste sie an ihn denken, an diesen Lippenfleck, und, ohne sich dessen recht bewusst zu sein, gewöhnte sie es sich an, ihren Mann unauffällig nach den einzelnen Punkten seines Tagesablaufs auszufragen.
- Könntest Du mir heute noch auf die Bank gehen und ein wenig Geld mitbringen. Du weißt, der Eismann kommt und gestern musste ich tanken. Vielleicht geht’s nach der Testamentseröffnung mit den Erben von Gropius. Die ist doch heute um 14.00 Uhr angesetzt?
- Ja, gern, Liebes. Mach ich. Reichen 300 Euro?
Nachmittags konnte es dann passieren, dass sie sich ins Café Kreuz setzte, das sich gegenüber dem Notariat befand, in dem Florian arbeitete. Von einem Fenster aus überwachte sie dann, wer in die Kanzlei hineinging und wer herauskam. Obwohl dieses mehrstöckige Gebäude zusätzlich noch eine Frauenarztpraxis enthielt, fühlte Rita bei jeder einigermaßen gut aussehenden Frau, die eintrat oder herauskam, einen Stich, so, als ob diese es gewesen sein könnte, die sich an ihren Mann herangemacht hatte. Ach, das ist ja krankhaft, sagte sie darauf immer wieder zu sich selbst. Und doch nahm sie in diesem Café immer wieder ihren Beobachtungsposten ein.
- Na, Frau Ehrhard, sollen wir diesen Tisch jetzt für Sie reservieren?, meinte eines Tages Rudi, der blonde Kellner, und blinzelte ironisch.
So ging das einige Tage. Zu ihrer Beruhigung hatte Rita keine Lippenflecken mehr auf den Hemden ihres Mannes gefunden. Aber, ob sie es nun wollte oder nicht, ihr Vertrauen war dahin, ebenso ihre Ruhe, sie lebte in einer dauernden Anspannung bei dem Gedanken, es könnte doch etwas gewesen sein. Sie musste einfach Gewissheit haben.
Eines Morgens kam ihr plötzlich der rettende Einfall.
Sie