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an sein Haupt er neigt
und schüttelt mild das Laub der Äste.
So mancher Mensch denkt: Ob er wohl denkt?
Haben sie, des Waldes Recken,
ihre eigne Hochkultur?
Und wenn ja, zu welchen Zwecken?
Und kennen sie der Menschen Sorgen,
die sie verfolgen, treiben, jagen?
Und sollten wir der Bäume Rauschen
- so wie sie uns - stillschweigend lauschen,
und auch, wie sie, so ab und an
unsre Häupter etwas neigen?
Vielleicht hat er, der hohe Baum,
uns einiges zu sagen.
Vielleicht kennt er den Grund der Fragen,
der Sorgen, die wir in uns tragen.
Was ist der Baum
Was ist der Baum, wenn nicht der König
der Pflanzen in der Natur.
Nur er von allen, das sind nicht wenig,
zeigt vom König die Statur.
Die aus Geäst geflocht'ne Krone
trägt er würdig, königgleich.
Er IST der König, ganz zweifelsohne,
in seinem großen Pflanzenreich.
Dem Samenkorn zum Glücke
Mein lieber Freund war an die hundert,
seinem Ende doch schon nah.
Und deshalb war ich nicht verwundert,
als ich ihn am Boden sah.
Es war Wehmut mehr als Trauer,
die ich ganz spontan empfand.
Unsre Freundschaft war von Dauer,
wir haben lange uns gekannt.
Sein Tod schlug eine große Lücke
in des Waldes Baumgeäst,
die Licht - dem Samenkorn zum Glücke -
hinunter bis zum Boden lässt.
Das helle, warme Sonnenlicht
weckt frisches, junges Leben auf.
Wenn ein alter Baum zerbricht,
beginnt ein neuer seinen Lauf.
Ich wär gerne eine Pflanze
Der Mensch war stets ein suchend Wesen
mit einem wahren Superhirn.
Er lernte denken, schreiben, lesen
dank diesem Ding hinter der Stirn.
Der Mensch muss ständig was verbessern,
er überlegt und plant und baut.
Er muss dämmen und entwässern,
was es nicht gibt, muss er erfinden,
wenn etwas lose ist es binden,
wo nichts es gibt, er dennoch schaut.
Jetzt geht sein Blick auch steil nach oben,
wohl alles ist ihm zuzutraun.
Er sucht sich einen Platz da droben,
um eine neue Welt zu baun.
"Es kann dem Mensch sogar gelingen"
- sagen manche heimlich, still -
"sich vorher selber umzubringen."
Die Frage ist, ob er das will.
*
Das Tier ist auch ein suchend Wesen,
es sucht nach Nahrung immerfort.
So ist es immer schon gewesen,
im Notfall wechselt es den Ort.
Ansonsten hat es keine Eile,
stattdessen jede Menge Zeit.
Es kennt nicht Kurz- und Langeweile,
weiß nichts von Gestern oder Heut.
*
Ich selbst wär gerne eine Pflanze,
am liebsten dieser stille Baum,
der furchtlos steht wie eine Lanze,
den Laute, Fortschritt kümmern kaum.
Er steht so treu an gleicher Stelle,
wohin ein Samenkorn einst flog.
Er ist wie eine Lebensquelle,
die auch nie in die Fehde zog.
Baumschatten
Wenn vor dem Wald der Bäume Schatten
- am Morgen diese sie nicht hatten -
nach Osten hin unendlich werden,
verschmelzen sie mit allen Schatten,
um Teil der dunklen Nacht zu werden.
Ein Baum verlässt nur tot sein Land
Ich war ein Kind, so fünf, sechs Jahre
- vielleicht war alles nur ein Traum -
Meine Mutter, die wunderbare,
erzählte mir von einem Baum:
"Es war im Land, wo wir einst wohnten,
die Linde stand am Küchenhaus.
Und jedes Jahr die Blüten thronten
ganz dicht an dicht, so Strauß an Strauß.
Ich spürte oft die raue Rinde
ganz zart an meiner Mädchenhand.
Man nannte sie 'Die schöne Linde',
ein Irgendetwas uns verband.
Mein Kind, ich musst mich von ihr scheiden,
das Schicksal trieb uns aus dem Land.
Wer hatt' es besser von uns beiden..?
Ein Baum verlässt nur tot sein Land."
(Küchenhaus - Ein kleines, einfaches Häuschen, das im Sommer als Küche und Schlafstätte benutzt wurde.)
Nur Gehabe
Der stolze Baum war alt und hoch und prächtig,
ein Heer von jungen war dicht um ihn geschart.
So beugt´ er sich nur leicht und sehr bedächtig
bei einem Sturm, der 'König', groß und mächtig.
Es hat sein Heer vor Schaden ihn bewahrt.
Der stolze Recke eines doch nicht wusste:
Dass Bäume fällen, sich für Menschen lohnt.
Es kam der Tag des Sterbens, der Verluste,
ein jeder Baum des Heeres sterben musste.
Der alte Baum alleine blieb verschont.
Und ohne diese Bäume, die ihn schützten,
findet der Wind bequem das hohe Ziel.
Der Alte hatte nichts um sich zu stützen,
er sträubte sich, um schließlich doch zu stürzen.
Zerschmetternd er auf einen Felsen fiel.
Der "Edelmut" der Menschen, ihn zu schonen,
Gehabe nur und hat zu nichts geführt.
Symbole, die in alten Bäumen wohnen,
zu wahren, sich doch alle Mühen lohnen.
Ein Täter nur, der Alte isoliert.
Jeder Baum hat eine Krone
Bäume sind uns stille Diener,
wir wären ärmer ohne sie.
Wir brauchen sie bereits als Kind,
weil sie zum Klettern nützlich sind.
Hätte die Menschheit in der Kindheit
vom Baum das Holz nicht vorgefunden,
hätte der Mensch, trotz seiner Klugheit,
wohl das Feuer nicht erfunden.
Es waren Bäume, sie gaben ihr
Entwicklungshilfe seit dem Start,
durch Brennholz, Bauholz und Papier,
bis hin zu unsrer Gegenwart.
Es wäre Zeit uns jetzt zu mahnen:
"Wir verbrennen, zu unsrem Wohle,
das Vermächtnis ihrer Ahnen,
Erdgas, Öl, die schwarze Kohle."
Uns Jungen gaben Wiesenbäume
ihre Blüten, ihre Früchte
und den Schatten in der Sonne.
Ihr Stamm gab Schutz vor fremden Blicken
bei des ersten Kusses Wonne.
Wir schrieben unser Liebeswort
in des Baumes weiche Rinde.
Es war, in unsrem Heimatort,
die schönste Eiche... oder Linde?
Jeder Baum hat eine Krone,
das ist recht und angebracht.
Er ist ein König, zweifelsohne,
der Schöpfer hat es so gedacht.
Bäume - Ein Kinderreim
Birken, Erlen, Linden, Eichen
sind Verwandte, die sich gleichen.
Dieses zeigen sie uns allen,
wenn im Herbst die Blätter fallen.
Drei Brüder
Drei Brüder, fast achtzig, ein Leben lang Bauern,
in Demut mit Fleiß unsre Zeit überdauern.
Geboren, gelebt, und wohl bald auch gestorben
im Haus ihrer Ahnen, von keiner umworben.
Drei Männer, ein Haushalt ohne Frau ohne Kind.
Ihr Hof liegt im Wald, dieser ist auch ihr Leben.
Der Wald ihnen gibt und sie dem Wald geben.
Sie sind ein Relikt aus verschwundener Zeit,
zum Leben geschaffen, zum Sterben bereit.
Drei redliche Brüder unsre Landnachbarn sind.
*
Ich hör nicht mehr den Schrei der Säge.
Der Traktor - ob sein Herz noch schlägt?
Der Badesteg, nun alt und träge -
ich sehe, dass er sich noch trägt.
Drei Brüder, gut achtzig, ihr Leben lang Bauern,
sind Rentner geworden, ohne zu trauern.
Sie lebten ihr Leben ohne Frau ohne Kind,
es halfen die Mutter, der Wald und der Wind.
Die Liebe der Brüder zum Bruder, den Wäldern,
vier Kühe, sechs Schafe auf zwei satten Feldern
- und einige Hektar mit wachsendem Wald -
genügten zum Leben zusammen, zu dritt.
Geh ich durch den Wald nun, nur um zu spazieren,
mir kommen Gedanken die vorwärts mich führen.
Mit friedlicher Stille umhüllt mich ihr Wald ...
Ich zähle die Schritte - ein Buntspecht zählt mit.
Der Baum
So wie der Christ
sich auf seinen Tod vorbereitet,
indem er seines Meisters Fleisch isst,
bereitet sich der mit der Natur vertraute
darauf vor, in den Baum zu gehen.
Der Baum spricht nicht. Der Baum hört nicht.
Also muss der Vertraute selbst ein Baum werden.
Und wenn der Baum hört,
hört er nicht wie wir
und wir verstehen es nicht.
Dem Mensch ist es nicht
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© Willi Grigor, 2021