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Seit dem japanischen Angriff auf Pearl Habour 1941 sind die USA weltweit kontinuierlich in offizielle und inoffizielle militärische Handlungen verwickelt, und zum ersten Mal in der Geschichte der USA wurden nach dem 2. Weltkrieg Rüstungsindustrie und militärisches Truppen- und Waffenpotenzial nicht annähernd auf den Stand der Vorkriegszeit zurückgenommen, sondern entsprechend dem neuen Welt- bzw. Supermachtstatus der USA auf einem außerordentlich hohen Niveau belassen. Es ist daher nicht verwunderlich, daß ein seit Jahrzehnten wachgehaltenes 'Bewußtsein vom Krieg' auch eine entsprechende literarische Produktion zur Folge hat. Vor allem von Interesse ist daher nicht die Quantität der Produktion, sondern vielmehr die Eigenart der Vorstellungen von Krieg bzw. Frieden, die uns in diesem Schrifttum entgegentreten.
Die folgenden Ausführungen beschränken sich im wesentlichen auf amerikanische Romane des 20. Jahrhunderts; zunächst sollen jedoch, zum Vor-Verständnis für jene Leser, die sich nicht professionell mit Literatur im allgemeinen und mit Literatur der USA im besonderen beschäftigen, zwei Aspekte kurz umrissen werden..
1) Generell der Unterschied zwischen Literatur und Sachtext, z. B. zwischen einem Roman und einer soziologischen, politischen etc. Studie. In einem Artikel zur literarischen Gestaltung des Ersten Weltkriegs bei britischen Autoren spricht Paul Fussell von "kulturellen Paradigmen" und versteht darunter "Konventions- und Erwartungssysteme, die weitgehend bestimmen, was von den objektiven Phänomenen in die Erfahrung des Einzelnen dringt - was er 'aus den Dingen macht', wie er neue Erfahrungen in die Schemata einpaßt, die als sinnvoll zu erachten ihn seine
Kultur gelehrt hat."1 Zu diesen kulturspezifischen Paradigmen zählen insbesondere auch die bestehenden literarischen Konventionen, in denen vergangene Kriege erzählt worden sind.
Auf den Roman, als Sonderform eines literarischen Texts, wirken nicht nur diese kulturellen Paradigmen, gebrochen durch die jeweils individuellen Eigenarten des Autors. Betrachtet man mit Niklas Luhmann 'Umwelt' als ein von verschiedenen Sinnsystemen getragenes historisch-gesellschaftliches System, so kann Literatur als eines jener Sinnsysteme verstanden werden und der Roman als Versuch, eine 'fiktionale Antwort' auf aktuelle Probleme dieser 'Umwelt' zu entwerfen.2
Für uns als Leser, die wir uns mit diesem fiktionalen Text auseinandersetzen, erscheint es mir wichtig zu betonen, daß es nicht darum gehen kann, diesen literarischen Text nun daraufhin zu befragen, ob und wieweit er historische Ereignisse 'objektiv richtig' zur Sprache bringt, oder ob vielleicht irgend eine andere Textsorte 'wirkichkeitsnäher' ist. Die Frage nach dem Verhältnis von Fiktion und 'objektiver' historischer Wirklichkeit ist, sofern dieses Verhältnis als binäre Opposition gedacht wird, falsch gestellt. Wenn Dieter Wellershoff das Schreiben von Literatur als 'Probehandlung' versteht, so muß wohl auch das Lesen von Literatur als kommunikative Probehandlung gesehen werden, bei der man mit der im Text entworfenen Welt in Beziehung tritt.
Im konkreten Fall: Romane zum Krieg sind immer auch - mehr oder weniger explizit - fiktionale Antworten zum Thema 'warum dieser Krieg?' Sehr oft sind sie auch Anlaß dazu, geltende gesellschaftliche Werte und kulturelle Selbstvorstellungen, in deren Namen Krieg geführt und die (meist jüngeren) Mitglieder der Gesellschaft aufgefordert werden, ihr Leben zu riskieren, kritisch zu hinterfragen. In manchen Fällen erweisen sich diese Symbolsysteme und Leitvorstellungen, auf denen die althergebrachten Verstehensmodelle aufbauen, als nicht mehr tragfähig.
2) Zu den wichtigsten Charakteristiken der amerikanischen Literatur vom Krieg zählt der Umstand, daß sie meist aus der Perspektive des Siegers oder zumindest aus einer Position der Überlegenheit heraus verfaßt wurde. (Zwei wichtige Ausnahmen sind die Südstaatenliteratur zum amerikanischen Bürgerkrieg und, jüngstens, die nach wie vor wachsende Zahl von Werken zum Vietnamkrieg sowie die) Erlebnisberichte und Blogs zu den militärischen Interventionen im, Irak und in Afghanistan.) Im Zusammenhang damit haben sich, geprägt durch die historische Erfahrung eines über dreihundertjährigen Kolonialisierungsprozesses, gewisse Leitvorstellungen im amerikanischen Schreiben vom Krieg herausgebildet, die vom 17. Jh. bis in die Gegenwart hin im Kern relativ unverändert geblieben sind. Wie Richard Slotkin in seiner 1973 erschienenen Studie Regeneration through Violence: The Mythology of the American Frontier, 1600-1860, ausführlich erörtert, prägte die historische Periode der frühen Indianerkriege die Symbolsysteme der amerikanischen Kriegserzählungen und begründete eine spezifische Art, in der über Krieg geschrieben wurde. Dazu gehören, stark verkürzt formuliert, vor allem ein starkes Missionsbewußtsein, der feste Glaube, einen gerechten Krieg in einer einmaligen historischen Situationzu führen, und auch eine ausgeprägte ethnozentrische bzw. ethnophobe Haltung. Hier möchte ich aus der Studie von James Aho, Religious Mythology and the Art of War (1981) zitieren, die zwischen "immanent-kosmologischen" und "transzendental-historischen" Symbolsystemen unterscheidet, die jeweils eigentümliche Vorstellungen von Funktion, Art und Ziel von Krieg aufweisen. Die judäischen, islamischen und protestantischen Religionen zählt Aho zur "tranzendental-symbolischen" Gruppe, in denen Gerechtigkeit als höchste Norm gesetzt wird; zu ihrer Verteidigung führt man Krieg im Namen und im Auftrag Gottes:
In der Regel wird in den judäischen, islamischen und protestantischen Religionen die Verantwortung für die Sünde der Welt auf Minderheiten, Fremde und Ausländer projiziert - auf jene, die sich in Sprache, Gebräuchen und Heiligtümern von Gottes Auserwählten unterscheiden. Durch diese kollektive Objektivierung des Bösen und seine Übertragung auf diesen äußeren Feind wird symbolisch ein Gefühl von "Reinigung" Seiner Getreuen geschaffen. Gemäß dem levitischen Ritus des Sündebocks (Lev. 16:20-12) vermeiden die Projizierenden damit das Eingeständnis ihrer eigenen Schuld. [...] Mythologisch gesehen findet derart der heilige Krieg zwischen den absolut Gerechten und den ebenso absolut gezeichneten Vertretern des Bösen statt. Da sie der Austreibung des objektivierten Bösen dient, muß der Grad der Gewalt im Krieg der Größe des Vergehens gegen Gott und die Menschen entsprechen. [...] Die heiligen Kriege der Hebräer, der Moslems und der Christen zählen daher - im Mythos wie auch in ihrer tatsächlichen Durchführung - zu den gnadenlosesten in der menschlichen Geschichte.3
Die von Aho hier genannten Merkmale treffen auch auf den "Kampf gegen die Wildnis" zu, wie ihn die frühen puritanischen Siedler in Nordamerika - gleich den streitbaren Missionaren des christlichen Abendlandes auf anderen Kontinenten - mit Bibel und Schwert bzw. Feuerwaffe führten; "Wildnis" wurde dabei sehr umfassend verstanden und inkludierte das Land, seine Bewohner, und auch den damit untrennbar verbundenen Bereich der "moralischen Wildnis". Als Beispiel für die oft sehr grimmig anmutende Entschlossenheit eine Stelle aus John Underhill, Newes from America (1639), zitiert nach R. Slotkin, Regeneration Through Violence:
Viele verbrannten im Fort, Männer, Frauen und Kinder. Andere versuchten einen Ausbruch [...] und unsere Soldaten empfingen sie mit ihren Schwertern.