VORSTELLUNGEN VON KRIEG UND FRIEDEN IN DER US-AMERIKANISCHEN ROMANLITERATUR - Page 3

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Ende die Welt von Krieg und Tod fürs erste zumindest zeitweise akzeptieren läßt. In diesem Roman kündigt sich jedoch bereits ein Paradigmenwechsel an, der die seit den Indianerkriegen gültige symbolische Opposition von "Zivilisation/ Wildnis" durch die neue von "Frieden/Krieg" ersetzt; die begriffliche Trennungslinie dieser Oppositionen, die bis dahin vorwiegend kulturell und ethnisch verstanden wurde, verschiebt sich allmählich auf die Ebene verschiedener gesellschaftlicher Zustände. Zusammen mit Ambrose Bierces makabren Bürgerkriegsgeschichten Tales of Soldiers and Civilians (1891) legen indirekt auch die Spätwerke Herman Melvilles (Israel Potter, 1855) und Mark Twains (A Connecticut Yankee in King Arthur's Court, 1889) den Grundstein für eine allmählich wachsende Zahl von Texten, die von der glorifizierenden Tradition in der amerikanischen Kriegsliteratur abgehen und die Unmenschlichkeit des Kriegs thematisieren

DER ERSTE WELTKRIEG

Trotz DeForests, Cranes und Mark Twains innovativer Schreibweisen dominiert jedoch, gefestigt durch Sir Walter Scotts ungeheuer populäre historischen Romane, die oben erwähnte konventionelle Symbolik von Liebe, Krieg und Tod fast ungebrochen in amerikanischen Propagandaschriften und vielen Romanen zum 1. Weltkrieg. Grob gesprochen, lassen sich die Romane dazu in drei Gruppen einteilen: Propagandistische kriegsbejahende Werke; Romane des "rhetorischen Protests"; Romane der radikalen Kritik.

1. Propagandistische kriegsbejahende Werke
Das erwähnte Autostereotyp vom aufrechten Helden, der Glauben, Zivilisation und Demokratie gegen barbarische Horden verteidigt, eignete sich allzusehr für eine Umlegung auf die durch räumliche und kulturelle Distanz geprägte, abstrakte amerikanische Sicht der Lage in Europa. Amerika als 'Ritter der Demokratie' auf dem 'Kreuzzug' gegen 'die Hunnen', um das "unschuldige Belgien", "La Belle France" und "Classical Italy" - Symbole europäischer Kultur - vor dem Verderben zu retten - dieses Selbstverständnis projiziert die Konfiguration der Indianerkriege, komplett mit den Elementen von religiöser Rechtfertigung, ethnophoben Aspekten und geschlechtsspezifischer Rollenverteilung, auf die internationale Ebene.6 Diese patriotischen Romane sind quantitativ am stärksten vertreten; zu den populärsten zählten damals jene von Arthur Guy Empsey, z. B. From the Firing Step (1917), Over the Top (1917), Tales from a Dugout (1918), und A Helluva War (1927), Arthur Trains Earthquake (1918), oder auch Edith Whartons frankophile Romane wie The Marne (1918) und A Son at the Front (1923), sowie M. R. S. Andrews unverblümt propagandistisches Werk The Three Things (1915). Ein Zitat daraus möge stellvertretend Stil und Zielrichtung dieser Schriften illustrieren:

Zivilisation gegen Barbarentum, Gentlemen gegen Hunnen; Engländer und Franzosen, die wir als aufrichtig und sauber kennen, gegen - die unaussprechlichen Deutschen. Vom Kaiser abwärts - 70 Millionen Kanaillen. (1)7

Ich erspare den LeserInnen weitere Beispiele solcher einschlägigen Rhetorik und bringe stattdessen eines aus einem Roman von Willa Cather, One of Ours (1922). Auch hier finden wir im zweiten Teil des Buchs einen amerikanischen Freiwilligen, der den Heldentod für Frankreich stirbt; der erste Teil aber läßt die alltägliche, emotionell und intellektuell repressive Monotonie des Farmlebens im ländlichen Nebraska in bedrückender Eindringlichkeit erstehen und sieht in dem daraus erwachsenden Unbehagen und einer beinahe schon existenziellen Langeweile die Gründe für eine kompensatorisch übersteigerte Abenteuerlust. Zum ersten Mal in der amerikanischen Literatur thematisiert Cather darüber hinaus die psychologischen Zusammenhänge zwischen einem idealisierend überhöhten Frauenbild, repressiver Sexualmoral, Gewalt und (Selbst)Zerstörungslust. Die Faszination des jungen Farmers Claude Wheeler mit Macht und Gewalt, seine narzißtisch-asketische Neigungen und sein Unvermögen zur Aufnahme befriedigender heterosexueller Beziehungen stehen, so wird impliziert, in einem engen Wechselverhältnis zu seiner idealisierenden Weltschau und seiner Körperfeindlichkeit. Hier eine Passage, in der Claude am Vorabend eines Angriffs im Bett liegt und dem Artillerielärm lauscht, den er als angenehm empfindet:

Was sie [die Kanonen] ihm sagten war, daß Menschen noch für eine Idee sterben konnten. [...] Ideale waren keine veralteten Dinge, schön aber unwichtig; sie waren die eigentlichen Quellen der Macht unter den Menschen. [...] Er würde sein eigenes Abenteuer gegen kein anderes eintauschen. Am Rande des Schlafs schien es ihm zu leuchten, wie die lichte Säule des Brunnens, wie der neue Mond - lockend, halb abgewandt, das helle Antlitz der Gefahr.8

Dezent aber unmißverständlich erstellt Cather hier ein Netzwerk von erotischen Bedeutungsbezügen zwischen Claudes Liebe für die zerstörerische Potenz der Artillerie und seiner idealistischen Todessehnsucht - einer Liebe, die sich im abschließenden Bild der Gefahr in Gestalt einer mit verführerischen (weiblichen?) Attributen ausgestatteten Vision als Drang zur Selbstzerstörung zu erkennen gibt. Am nächsten Tag stirbt Claude heldenhaft im deutschen Maschinengewehrfeuer. Was den Roman letzlich davor bewahrt, in idealisierende Stereotpyen abzugleiten, sind nicht nur die vorher genannten psychologischen Einsichten, sondern auch die nüchternen Worte von Claudes Mutter zum Romanschluß: Im Anschluß an ihre Lektüre der noch Wochen nach seinem Tod eintreffenden Briefe Claudes sowie der Zeitungsberichte zu den steigenden Selbstmordraten amerikanischer Kriegsveteranen gibt sie zu verstehen, daß es für ihren Sohn besser war, seinen ersehnten Heldentod zu sterben, als die Ent-täuschung seiner idealisierten Weltsicht erleben zu müssen

2. Der rhetorische Protest
Während Cathers Held vor der gesellschaftlichen Enge des ländlichen Mittelwestens in den Heldentod flieht, der ihm die Erfüllung seiner idealisierenden Selbstvorstellungen ermöglicht, erleben die Helden der rhetorischen Protestromane den Krieg als fürchterliche Enttäuschung. Ihre anfänglich überschwengliche Kriegsbegeisterung schlägt in ebensolche Verbitterung und in Zynismus um; hier eine Kostprobe des Stils, der in den Werken von Theodore Fredenburg, Lawrence Stallings, James Stevens, William Boyd, Elliot Paul, William March und Dalton Trumbo vorherrscht; es ist eine bittere Parodie auf die üblichen Briefe an die Hinterbliebenen von Gefallenen:

Sehr geehrte Frau ...:
Ihr Sohn Francis starb sinnlos in Belleau Wood. Es wird Sie sicher interessieren, daß er zum Zeitpunkt seines Todes von Ungeziefer befallen und von Durchfall geschwächt war. Seine Füße waren geschwollen und verfault und stanken. Er lebte wie ein verschrecktes Tier, frierend und hungrig. Dann, am 9. Juni, wurde er von einem Granatsplitter getroffen und starb unter fürchterlichen Schmerzen, langsam. Kaum zu glauben, daß er noch drei Stunden am Leben blieb, aber er schaffte es. Er lebte noch drei volle Stunden, schreiend und fluchend. Wissen Sie, er hatte nichts mehr, woran er sich klammern konnte: er hatte längst gelernt, daß alle die großen Worte, die man ihm seinerzeit beibrachte - Ehre, Tapferkeit, Patriotismus -nichts als Lügen waren.9

Literarisch gesehen, verwenden die Autoren dieser Protestromane dieselbe Sprache wie die patriotischen Schriftsteller, nur ist ihre Rhetorik die der Enttäuschung und des Entsetzens. Eine gewisse Ironie liegt

Veröffentlicht / Quelle: 
Zeitschrift für Literatur- und Theatersoziologie 10 (März 2014), 80-99.

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