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traditionellen Argumente und blieb im wesentlichen unangefochten. Nur wenige erinnerten daran, dass sowohl Saddam Hussein wie auch die Taliban nur dank der jahrelangen Unterstützung durch die CIA überhaupt erst zu einem Machtfaktor geworden waren.
Anders beim Irakkrieg 2003. Hier instrumentalisierte die damalige Regierung unter G. W. Bush, anfangs zumindest mit teilweisem Erfolg, das eingangs erwähnte Sündenbock-Szenario: U.S.A. gegen Osama bin Laden und Saddam Hussein, bzw. “coalition of the willing” vs. “the axis of evil”, “rogue states”, und den islamischen fundamentalistischen Terror. Die reichlich arbiträre Verlagerung des Sündenbocks vom schwer fassbaren Osama bin Laden und seinem Al Kaida Netzwerk auf den lokalisierbaren Diktator Saddam Hussein erhöhte zwar die Erfolgschancen, zeigte jedoch auch deutlich Züge eines älteren - man könnte auch sagen: asynchronen - Diskurses: Man schlägt lieber den vertrauten Feind, der eigentlich keine Bedrohung mehr ist, und vermeidet es darüber, die wirkliche neue Gefahr gezielt zu bekämpfen. Das bringt, zumindest kurzfristig, Erfolgsmeldungen und lenkt auch von anderen strategischen Zielen ab. Langfristig allerdings erbrachte diese doppele Sündenbock-Taktik keine nachhaltige Problemlösung. Das militärische Vorgehen gegen einen Scheingegner erwies sich vielmehr als kontraproduktiv und schuf erst die Gefahr, die sie zu bekämpfen vorgab. Die Situation erscheint nicht zuletzt deshalb auch heute noch besonders bedrohlich, weil hier die eingangs erwähnten Elemente eines mit absolutem Sendungsbewußtsein geführten Glaubenskriegs sich mit jenen von Canjar umrissenen "routinemäßigen Produktionsprozessen" verbinden und eine Sprengkraft entwickeln könnten, die auch die schwärzesten bisherigen Szenarien mühelos überträfe. Gleichzeitig haben die amerikanischen Aktionen rund um den Irakkrieg wie auch die zunehmende Bunkerstimmung in den USA selbst jede Menge an Flurschäden verursacht, die dem Anspruch Amerikas als globale Wahrerin von Freiheit und Demokratie nicht besonders zuträglich sind. Die unter Präsident Obama erzielten militärischen Erfolg gegen Al-Kaida (Ausschaltung Osama-bin-Ladens und führeneder Mitglieder der Organisation) sowie der erfolgte Truppenabzug aus dem Irak und der geplante aus Afghanistan lassen zwar eine Richtungsänderung der US-Außen- und Militärpolitik erkennen, für die in den beiden Gebieten eingesetzten Truppen erfolgt dieser Richtungswechsel allerdings zu spät.
Aus zahllosen “personal narratives” und Blogs der SoldatInnen erwächst ein Bild vom Krieg, das starke Ähnlichkeit mit den Erfahrungen ihrer Elterngeneration in Vietnam zeigt:
Auch sie müssen erkennen, daß sie weniger als Befreier denn als Besatzer angesehen werden; auch sie sind aufgrund ihrer Unkenntnis von Landessprache, Gebräuchen und kulturellen Codes permanent verunsichert und schießen im Zweifelsfalle, bevor sie fragen; auch ihnen stellt sich meist früher als später die Frage nach dem Sinn ihres gefährlichen Einsatzes. Im Unterschied zur Fantasiewelt der Superhelden aus Hollywood und den Cartoons zeichnen all diese Texte (und auch eine wachsende Zahl von Dokumentarfilmen) eine Welt, in der die Protagonisten aufopferungsvoll alle üblichen Gefahren überstehen und Herausforderungen meistern - aber der traditionelle Lohn für ihre Heldentaten bleibt aus, und auch das Vaterland ist danach nicht sicherer als zuvor. Die Titel einiger Schilderungen sprechen für sich - No True Glory, The Unforgiving Minute, Generation Kill, The Deserter’s Tale. Der Erähler in The Deserter’s Tale spricht dies so offen aus wie nur wenige andere:
Ich schäme mich dafür, was ich im Irak getan habe, und dafür, daß unschuldige Zivilisten durch unsere Hand litten oder starben. Daß ich nur Befehlen folgte, macht mich nicht besser und löscht nicht meine Albträume. [Nachdem ich auf der Straße nach Ramadi auf vier koplose Leichen am Straßenrand stieß und sehen mußte, wie Soldaten meiner eigenen Armee mit den Köpfen Fußball spielte, begannen meine Albträume über diesen Vorfall.] (214)
[...]
Ich werde mich nie für meine Desertation bei der amerikanischen Armee entschuldigen. Ich habe ein Unrecht verlassen, und es war richtig so. Ich schulde eine Entschuldigung, und nur eine: an das irakische Volk. (231)
Zusammenfassend läßt sich festhalten, daß zwar nach wie vor der quantitativ größte Teil der amerikanischen Literatur vom Krieg - wie in vielen anderen nationalen Literaturen auch - unreflektiert patriotische Abenteuergeschichten reproduziert. Doch eine wachsende Anzahl ernstzunehmender Autoren vermittelt - im Schatten des nach wie vor enormen Vernichtungs-potenzials auf unserer Welt und unter dem Eindruck des zahlreichen jüngeren Kriegshandlungen seit dem Vietnamkrieg - in ihren Werken die Einsicht, daß Krieg keineswegs mehr der 'Motor der Geschichte' ist. Seine routinemäßige Produktion vernichtet im Gegenteil die Entstehung von Sinn in einem Maße, daß ein sinnvolles Erzählen davon unmöglich zu werden droht. Die 'wahren Geschichten' müssen sich wohl, sollen sie noch geschrieben werden können, nicht im sprach-losen Akt der Zerstörung, sondern im sinnstiftenden Akt der Kommunikation vollziehen.
Ähnliche Gedanken scheinen sich in auch in den USA den letzten Jahren der G. W. Bush Regierung lallmählich durchgesetzt zu haben, als es möglich wurde, die militärischen Operationen im Irak und in Afghanistan kritisch zu kommentiern, ohne sofort als unpatriotischer Nestbeschmutzer abgestempelt zu werden. Bushs Nachfolger Barack Obama versucht nach Kräften, die von seinem Vorgänger geerbten militärischen und wirtschaftlichen Desaster aufzulösen und zeigt dabei wesentlich mehr (rhetorische) Zurückhaltung, wenngleich die derzeit instabile Situation in Nordafrika und dem Nahen Osten eine formidable Herausforderung darstellt. Wie wiederholte Stellungnahmen von Regierungssprechern, aber auch des derzeitigen republikanischen Präsidentschaftskandidaten Mitt Romney erkennen lassen, sind die USA wesentlich vorsichtiger geworden, Präventivkriege als gangbare Diplomatie zu sehen. Vielleicht rufen sie sich sogar jene Denktradition aus der Gründerzeit der U.S.A. in Erinnerung, wie sie etwa aus Thomas Jeffersons Bemerkungen über Krieg in seinen Notes on the State of Virginia (1781) spricht:
Zu keinem anderen Thema werden soviele falsche Berechnungen angestellt wie dazu, Nationen zu überzeugen, daß Krieg in ihrem eigenen Interesse liegt. Würde das Geld, dessen es bedarf, um am Ende eines langen Kriegs eine kleine Stadt oder ein Stück Land, ein Fischereirecht hier oder ein Forstrecht dort zu erwerben, zur Verbesserung des Bestehenden verwendet - für den Ausbau der Straßen, die Erschließung der Flüsse, den Bau von Hafenanlagen, die Pflege der Künste, oder die Beschäftigung der Arbeitslosen -, so wären die Nationen mächtiger, wohlhabender und zufriedener. Dies, so hoffe ich, wird unsere Einsicht sein. (1974, S. 165)
Eine Einsicht, die sich nicht nur die USA öfter als bisher zu Herzen nehmen sollten; sie böte auch der nächsten Generation amerikanischer Jugendlicher mehr Zukunftsperspektiven als bloß jene, für ihr Land in den nächstenn Krieg ziehen zu dürfen.
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