VORSTELLUNGEN VON KRIEG UND FRIEDEN IN DER US-AMERIKANISCHEN ROMANLITERATUR - Page 4

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darin, daß sie, trotz ihrer ernüchternden Erfahrung, die grundsätzlichen Symbolsysteme der konventionellen U. S. Kriegsliteratur nicht in Frage stellen. Zwar zeigt sich in ihren Werken die unüberbrückbare Kluft, die zwischen den an Sir Walter Scotts Romanen genährten Heldenidealen und der ersten hochtechnisierten Massenvernichtung der Menschheit liegt; doch ihr Protest erschöpft sich vielfach in der Klage darüber, daß dies eben kein 'richtiger Krieg' gewesen sei - einer von der 'guten alten Sorte', in dem eben noch Mann gegen Mann kämpfte und nicht blinde barbarische Zerstörungswut herrschte.

3. Radikaler Protest
Im Unterschied dazu erkennen einige wenige Autoren wie John Dos Passos, Ernest Hemingway, e. e. cummings und auch William Faulkner, daß die Greuel des 1. Weltkriegs keineswegs ein Rückfall in frühe Formen von Barbarei sind, sondern die durchaus zeitgemäße Erscheinungsform eines technologisierten Kriegs im Zeitalter der industriellen Massengesellschaft. Die Gefährdung der individuellen Identität, exemplarisch verkörpert im sinnlosen organisierten Massensterben, zu dem der propagandistische Mißbrauch von Sprache aufgefordert hat - diese Gefährdung besteht nicht nur in der psychischen und/oder physischen Vernichtung des Einzelnen im Krieg; dies ist bloß der extreme Endpunkt. Die eigentlichen Ursachen liegen in der doppelbödigen Fortschrittsrhetorik eines kulturellen Systems, das authentische individuelle Erfahrung von Werten nicht mehr gestattet.
Bei diesen Autoren trägt die Erfahrung des Kriegs entscheidend dazu bei, die Diskrepanz zwischen sprachlichem Symbolsystem und Umwelterfahrung bloßzulegen und führt zur Suche nach neuen, angemessenen sprachlichen Ausdrucksmitteln in der literarischen Gestaltung dieser Erfahrung. Kritik an der Sprache als dem Medium kultureller Wertvorstellungen wird zugleich Kritik an dem fortschrittsgläubigen System eines laissez-faire Kapitalismus mit deutlich sozialdarwinistischem Charakter, der dem "Mann auf der Straße" keine Chance läßt. Besonders in Dos Passos Romanen - One Man's Initiation - 1917 (1920), Three Soldiers (1921) - kommt diese gesellschaftskritische Komponente zum Ausdruck: der Krieg wird nicht als Gegensatz zum Frieden, sondern vielmehr als logische Konsequenz des Macht- und Gewinnstrebens einer ungehemmten kapitalistischen Wirtschaft und der mit ihr verbündeten politischen Machthaber gesehen. Derart radikale Systemkritik an einer Gesellschaft, deren offizielles Selbstverständnis sich an der Idee demokratischer Gleichheit orientiert, stößt meist auf geringe Begeisterung, und die zeitgenössische amerikanische Öffentlichkeit reagierte auf Dos Passos' Romane mit schockierter Ablehnung.
Während Dos Passos die Desillusionierung seiner Romanhelden in dialektischer Wechselbeziehung zu den Wertsystemen der amerikanischen Gesellschaft stellt und reformatorische Kulturkritik übt, ziehen Hemingways Helden sich unter dem Schock des Kriegs in sich selbst zurück. Bei Hemingway steht immer das Individuum im Mittelpunkt, und als nachhaltigstes Ergebnis des 1. Weltkriegs ergibt sich die Einsicht, daß weder Leben noch Sterben des Individuums für die Welt von Bedeutung sind. Die technologische Massenvernichtung des Kriegs entzieht dem Einzelnen die Kontrolle über sein würdevolles Leben und Sterben, die anonyme Zufälligkeit des Todes (z. B. durch eine Kilometer entfernt abgefeuerte Granate) beraubt das Individuum auch noch der letzten Möglichkeit, sein Sterben durch rituellen Gestus mit subjektiver Sinnhaftigkeit zu versehen. Das Streben der Hemingway'schen "code heroes" nach individueller Würde stellt sie in die bereits erwähnte Tradition idealistischer Einzelkämpfer, deren Sehnsucht nach heroischem Kampf im Namen eines gültigen Ideals durch die Erfahrungen des 1. Weltkriegs als naive Illusion entzaubert wird.
Die Romane dieser kritischen Autoren bringen zum Ausdruck, was der amerikanische Historiker David Kennedy Mitte der 1970er Jahre präzisiert:

Das Amerika des 19. Jh. sah Krieg als große Gefahr für demokratische Einrichtungen und für wirtschaftlichen Wohlstand, aber als vielversprechende Arena für persönlichen Ruhm. Im 20. Jh. haben wir alle Illusionen über Heldentum im Krieg verloren; nun aber, und darin liegt die Ironie, betrachten wir militärische Bereitschaft als wichtigen Garanten unserer Lebensweise - und als scheinbar unentbehrliches Stimulans für die Wirtschaft.10

DER ZWEITE WELTKRIEG
Was Kennedy hier knapp zusammenfaßt trifft im wesentlichen die Einstellung, die aus den amerikanischen Romanen zum 2. Weltkrieg spricht. In ihnen finden sich weder patriotisch-idealisierende Begeisterung noch verbitterter Protest oder Desillusionierung, wie sie für den 1. Weltkrieg typisch sind. Im wesentlichen wird der Krieg als notwendiges Übel akzeptiert, und über die politische und moralische Rechtfertigung des Kampfs gegen Nationalsozialismus und Faschismus in Europa bzw. den japanischen Imperialismus im Pazifik besteht weitgehender Konsens, der auch nach dem Krieg nicht grundsätzlich in Frage gestellt wird.
Die Kriegsführung selbst unterscheidet sich wesentlich von der des 1. Weltkriegs; Militärstrategen wie auch die kämpfenden Truppen haben gelernt, mit hochentwickelten Technologien umzugehen und sie in der mobilen Kriegsführung effizient einzusetzen. Das sinnlose Massensterben in den Schützengräben gehört der Vergangenheit an, und auch verlustreiche Gefechte, wie etwa die Rückeroberung der Pazifikinseln oder die Invasion in der Normandie, werden akzeptiert, da sie zu greifbaren militärischen Erfolgen führen. Darüber hinaus gehen die USA aus diesem Krieg als eindeutige Sieger und, bis in die fünfziger Jahre, als führende militärische Weltmacht hervor; der Großteil der Romane erscheint in den Jahren zwischen 1945 und 1958.
An erzählerischen Modellen steht den Autoren ein breites Repertoire zur Verfügung: zu den zeitgenössischen Adaptierungen der Familiendramen, Helden-, Liebes- und Abenteuergeschichten treten panoramisch angelegte Werke nach dem Vorbild von Dos Passos, und auch solche mit isolierten Heldenfiguren in der Nachfolge Hemingways, wobei in den meisten Fällen vor allem der lakonische Sprachgestus übernommen wird. Malcolm Cowley bemerkt, mit Blick auf die konservative Erzähltechnik der jungen Kriegsschriftsteller bis in die fünfziger Jahre:

Man kann sagen, daß der Großteil der Romane zum Zweiten Weltkrieg sich in der Struktur an Dos Passos anlehnt, da sie - wie er - kollektive Helden haben, und da er eine Anzahl von strukturellen Techniken zur Darstellung dieser Heldenfiguren entwickelte. Gleichzeitig übernehmen sie die Stimmung von Fitzgerald, den Humor von Steinbeck, und von Hemingway Handlung und Dialog.11

Die etwa 1.500 bisher publizierten Romane (Groschenhefte und Comics-Serien nicht mitgerechnet) sind zum Großteil "combat novels", d. h. sie beschränken sich auf die Schilderung zeitlich, räumlich und personell eng begrenzter Handlungen, wie z. B. das Schicksal einer Kompanie/Patrouille in einer bestimmten Schlacht oder während eines bestimmten Zeitraums, und lassen umfassende politische und ideologische Aspekte außer Betracht. Im Vergleich zu den Romanen des 1. Weltkriegs sind sie wesentlich detaillierter - allerdings psychologisch nur selten besser - in der Darstellung verschiedener Todesarten im Krieg; sehr oft wird daraus bloß 'Pornographie der Gewalt', ein rhetorisches Gemälde von Verstümmelungen und Todesszenen, das zwar überdeutlich die Vernichtungskraft moderner Waffensysteme veranschaulicht, dabei jedoch offensichtlich auf

Veröffentlicht / Quelle: 
Zeitschrift für Literatur- und Theatersoziologie 10 (März 2014), 80-99.

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