Begegnen will ich Dir mit weit offenen Sinnen, Deinen
Erzählungen möchte ich lauschen mit großer Geduld,
meine Leiden ertragen, ohne zu klagen, länger nach
denken, bevor ich mich äußere, Umarmungen wagen,
ohne zu erdrücken, Dir widersprechen, ohne laut zu
werden, Schönes bewundern, ohne es besitzen zu wollen,
meine Meinungen äußern, ohne Dich zu blamieren, die
alte Schuld vergeben, ohne je aufzurechen, die Wahrheit
sagen und nichts verschweigen, Dir beistehen, ohne mich
zu verleugnen, Dich lieben, ohne mich zu vergessen,
doch verschließe ich mich oft, wenn ich Dich treffe,
nehme mir für Deine Erzählung zu wenig Zeit, jammere
über eigenen Kummer und Schmerz, urteile vorschnell
und unbedacht, scheue Deine Berührungen, gerate ins
Brüllen beim Reden mit Dir, möchte viel Schönes
erwerben, um es zu besitzen, äußere meine Meinungen
in verletzender Absicht und vergebe die Schuld nur mit
Aufrechnung, verschweige und vertusche die Wahrheit,
verleugne mich, wenn ich Dir beistehe und verrate mich
selbst bei dem Versuch, Dich zu umarmen, zu lieben.
Wie auch immer ich mich bemühe - bleibe ich doch ein mangelhaftes
Exemplar Mensch. Doch weiß ich mich dabei in bester Gesellschaft.
Kommentare
Der Mensch ist menschlich - nicht perfekt:
Ganz fehlerlos - wär er defekt ...
LG Axel
Ein Leben lang muss man trainieren –
das zu erkennen, akzeptieren …
Mit Gruß und Dank - Marie
Ein ganz ausgezeichnetes Gedicht, liebe Marie - anwendbar und mit Wiedererkennungswert auf und für jeden von uns - in einigen Punkten ganz sicher auch auf Dich (wobei ich mir nicht vorstellen kann, dass Du brüllst). Auf jeden Fall ist dieses Gedicht es wert, öfter gelesen zu werden, um sich seiner Unzulänglichkeiten bewusst und kritischer sich selbst gegenüber zu werden. Vielen Dank für die klugen Worte. Ich kopiere es mir und füge es in den Ordner, der die besten Gedichte bei Literatpro enthält.
Liebe Grüße und ein schönes Wochenende,
Annelie
Danke für Deine ausführliche zugewandte Antwort, ja; ich brülle nur selten, aber dann ricntig laut, jeden Tag nehme ich mir Besserung vor - und versage ständig dabei, wenn ich das Fazit ziehe abends, bin ich manchmal sehr unzufrieden ... doch beim Einschlafen hilft mir, zu wissen, dass es nicht nur mir so geht.
Herzliche Grüße zurück - in Dein hoffentlich erfreuliches Wochenende
Die Sehnsucht nach dem 'Engelhaften' lässt das allzu 'Menschliche' grob aussehen. Doch, die Feststellung:
>Wie auch immer ich mich bemühe - bleibe ich doch ein mangelhaftes
Exemplar Mensch. Doch weiß ich mich dabei in bester Gesellschaft.<
lässt die Fehlbarkeit des Menschen zu. Und das ist gut so! Hab mich über den anregenden Text gefreut.
LG Monika
Man versucht jeden Tag erneut, den eigenen Anspüchen gerecht zu werden - und scheitert immer wieder. So geht es uns allen, und das ist wiederum tröstlich. Danke für deine Worte, die mich sehr erfreut haben, liebe Monika.
Liebe Grüße - Marie
Dieses Gedicht zeigt wahrlich bestens, wie wir oftmals mit den besten Absichten auf unser Gegenüber zugehen und dann oftmals scheitern am allzumenschlichen Zwischenmenschlichen. Vielen Dank fürs Veröffentlichen. Liebe Grüße, Johanna
Vielen Dank für deine reflektierte Antwort, liebe Johanna!
Liebe Grüße - Maeie
Fehlerhaft vielleicht, liebe Marie, aber nicht mangelhaft. Nie! Der Mensch ist Mensch, wäre er perfekt, dürfte er keine Gefühle haben ... meine ich. In Deinen Zeilen, finden wir uns doch alle – bestimmt!
Herzliche Grüße
Soléa
Liebe Soléa, danke, dabei beziehe ich mich nicht auf die Schulnote "mangelhaft", sondern auf das Wort Mangel an sich. Uns allen mangelt es an vielem - auch im Umgang mitienander. Dagegen kämpfen wir ständig an. So sind wir - das ist unser - gutes - Leben.
Herzliche Grüße - Marie