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nicht, ich bitte dich inständig drum; du würdest die Herzen aller, die das Gute lieben, in Verzweiflung versetzen und notwendigerweise zum Frevel anregen, wenn du den Triumph des Lasters so ans Tageslicht zerrst.«
Justine vergoß helle Tränen, als sie sich solch schmerzlichen Gedanken hingab; da wurde sie plötzlich durch Frau d'Esterval unterbrochen. – »Ach, Madame,« sagte sie, diese bemerkend, »wie haben Sie mich betrogen!« – »Teurer Engel,« entgegnete die Megäre und versuchte es, sie zu liebkosen, »es war nötig, um deiner habhaft zu werden. Aber tröste dich, Justine, du wirst dich leicht in alles finden; ich bin fest überzeugt, daß dir nach einigen Monaten nicht einmal der Gedanke, uns zu verlassen, kommen wird. Küße mich, Kleine; du bist sehr hübsch und ich habe große Lust, dich von meinem Gatten bearbeitet zu sehen.« – »Wie, Madame, Sie erlauben solchen Greuel?« – »Ich teile vollständig den Geschmack meines Mannes; er erwidert aber auch mein Entgegenkommen; man kann sich schwerlich ein intimeres Verhältnis vorstellen; wir lesen uns unsere Wünsche von den Augen ab; da wir den gleichen Geschmack und die gleichen Mittel haben, so befriedigen wir uns gegenseitig.« – »Wie, Madame, Sie stehlen und morden?« – »Ja, meine Süße, das macht mir Riesenfreude und erregt gewaltig meine Triebe; du wirst sehen, welch unerhörten Genuß wir haben, wenn wir vom Blut berauscht sind.« – »Sind auch diese Mägde beauftragt, die Reisenden zu benachrichtigen?« – »Diese Ehre ist nur dir vorbehalten. Da wir deine schönen Prinzipien kennen, wollten wir sie in Tat umsetzen. Die Mädchen, von denen du sprichst, sind unsere Komplizen; im Verbrechen großgezogen, lieben sie es fast ebenso wie wir und sind weit entfernt, die Opfer entwischen zu[276] lassen. Du wirst manchmal bemerken, daß mein Mann sich ihrer bedient, jedoch besteht keine Vertraulichkeit zwischen uns und ihnen. Du allein wirst unser Vertrauen genießen; nur du wirst die Freundin des Hauses sein; diese Geschöpfe werden dich ebenso wie uns bedienen; du wirst stets an unserem, nicht an ihrem Tische essen.« – »Ach, Madame, wer hätte daran gedacht, daß eine solche, wie mir schien, achtungswerte Person sich solchen Grausamkeiten hingeben kann?« – »Wende doch nicht solche Ausdrücke an,« erwiderte Frau d'Esterval, mitleidig lächelnd, »was wir tun, ist ganz einfach. Nie irrt man von den Wegen der Natur ab, wenn man seinen Trieben gehorcht; und ich versichere dir, daß wir nur von ihr alle Leidenschaften, denen wir fröhnen, erhalten haben.«
»Wohlan, Justine,« sagte allsogleich d'Esterval, rasch herbeieilend. »Unsere Kaufleute sind beim Souper; suche sie auf, plaudere mit ihnen, warne sie, versuche sie zu retten, namentlich aber gib dich ihnen preis, wenn sie es wünschen; vergiß nicht, daß das dir am sichersten ihr Vertrauen verschafft.«
Während Justine ihres Amtes in bald zu beschreibender Weise waltet, wollen wir unseren Lesern die Kenntnis der schrecklichen Gewohnheiten dieses Hauses und der Personen, die unsere Heldin daselbst trifft, beibringen.
XIII. Kapitel.
Fortsetzung und Ende der Abenteuer in der Herberge. – Erkenntlichkeit. – Abreise.
Madame d'Esterval, mit der wir beginnen wollen, war – wie gesagt – eine große, schöne Frau von ungefähr sechsunddreißig Jahren; sie besaß einen ganz braunen Teint, recht glänzende Augen, eine schöne, vornehme Gestalts die Haare waren von schönstem Schwarz; sie war behaart wie ein Mann, besaß einen hohen Hals, einen kleinen aber wohlgeformten Hinteren, eine trockene, rote Scham; ihr Kitzler war drei Zoll lang und entsprechend dick, ihr Bein war vollendet schön; sie war voll Phantasie und Lebhaftigkeit, talentiert und gebildet, verbrecherisch und tribadisch bis zum höchsten Grade. Aus vornehmer, feiner Familie stammend, hatte sie zufällig die Bekanntschaft d'Estervals gemacht, der, selbst reich und von vornehmer Abstammung, sich beeilte, dieses Mädchen, mit dem ihn die Gleichheit des Geschmacks und der Triebe verband, zu seiner Frau zu machen. Nach der Vermählung ließen sie sich an dieser wilden Stätte nieder,[277] die es ihnen ermöglichte, ihre Frevel recht lange ungestraft zu begehen.
D'Esterval, älter als seine Frau, war ein recht schöner Mann von fünfundvierzig Jahren, von trefflicher Konstitution, voll wüster Leidenschaften; er besaß einen riesenstarken Körper, ein prächtiges Glied; im Genusse zeigte er Merkwürdigkeiten, von denen wir noch gelegentlich sprechen werden. Wohlhabend genug, um das Gastgewerbe nicht ausüben zu müssen, betrieb er es mit seiner Gattin nur deshalb, weil es ihnen die Befriedigung ihrer schrecklichen Triebe ermöglichte. Ein prächtiges Haus auf einem schönen Gute in Poston harrt ihrer für den unglücklichen Fall, daß das Geschick nicht weiterhin einen Schleier über ihre Ausschweifungen breiten sollte.
Es gab keine anderen Bedienten im Hause außer den zwei Mägden, von denen oben die Rede gewesen war. Da diese von früher Kindheit an hier aufgewachsen waren, nirgends hingingen, in Hülle und Fülle lebten und seitens ihrer Herren sich guter Behandlung erfreuten, brauchten diese nicht zu fürchten, daß sie ans Entweichen dachten. Madame d'Esterval sorgte allein für die Beschaffung der Nahrungsmittel; einmal wöchentlich begab sie sich in die Stadt und brachte alles mit, was nicht ihre eigene Meierei liefern konnte. Uebrigens herrschte in diesem Haushalte die vollständigste Einigkeit, so verderbt er auch sein mochte; der beste Beweis, wie falsch es ist, zu sagen, daß Freundschaft nur unter Tugendhaften bestellen könne. Was die Verbindungen löst, sind die Unähnlichkeit der Moral und der Geistesart; sowie aber Einigkeit besteht, sowie zwischen den Gewohnheiten zweier Bewohner des gleichen Hauses kein Widerspruch da ist, besteht kein Zweifel, daß sie das Glück ebenso im Schoße des Lasters wie in dem der Tugend finden können; weil nicht diese oder jenes den Menschen glücklich oder unglücklich machen, sondern einzig die Zwietracht sie in die letztere Lage versetzt; diese schreckliche Gottheit schwingt nur dort ihre Fackeln, wo Disharmonie in Geschmack und Ansichten besteht. Keine Eifersucht störte dieses reizende Zusammenleben. Dorothéa19, glücklich über die Freuden ihres Mannes, gab sich nie lieber ihren Ausschweifungen hin, als wenn sie[278] ihn in erlesenen Genüssen schwelgen sah; umgekehrt riet d'Esterval seiner Frau, zu ficken, wann sie immer Gelegenheit dazu hatte; nie war seine Entleerung genußvoller, als wenn er sie in den Armen eines anderen erblickte. Zerzankt man sich, wenn man so denkt? Ist es anzunehmen, daß ein Ehepaar, das durch solide Rosenketten verknüpft ist, sie je zerreißen würde?
Indessen warnte Justine die beiden Kaufleute auf deren Zimmer auf jede mögliche