Justine oder vom Missgeschick der Tugend - Page 125

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meinem Geschmack untreu werden lassen könnte; ich liebe nur die Männer.« – »Mein Freund,« sagte d'Esterval hastig, »meine Frau kann dir zu Gebote stehen, wenn du es wünscht; sie hat den schönsten Hintern und das größte Vergnügen, darin ein Glied aufzunehmen ... Außerdem hat sie einen Kitzler, der größer ist wie ein Finger mit dem sie dir desgleichen tun wird, wie du ihr.« – »Himmel,« sagte[293] Bressac, »sogleich! Ich habe nie ein wüstes Projekt aufzuschieben vermocht!« Damit bemächtigte er sich Dorothéas, die, bereits trunken von Wein und Wollust, ihm freundlichst entgegenkam, als man plötzlich die Hunde bellen hörte, was die Ankunft von Menschen andeutete. Tatsächlich wurde geläutet; obwohl es schon Mitternacht war, begehrten Fremde Unterkunft. Es waren das Polizeibeamte, die von dem an Bressac verübten Raub und von dem Mord, der an seinem Diener begangen worden war, vernommen hatten, und, nachdem sie den Spuren, soweit sie konnten, gefolgt waren, sich erkundigen wollten, ob es nicht in dieser Herberge Leute gäbe, die ihnen Aufklärung verschaffen könnten, Bressac erschien selbst, erzählte, was ihm zugestoßen war und sagte, der Weg, den die Räuber genommen hätten, wäre ihm unbekannt. Man gab den Leuten zu trinken, man bot ihnen Betten an, die sie aber ausschlugen; dann gingen sie weiter. Die Lustbarkeiten gingen wieder los, sowie sie draußen waren, und der übrige Teil der Nacht wurde mit den skandalösesten Orgien zugebracht.

Da die Mischung der Geschlechter nicht von Erfolg gekrönt war und die Anstrengungen Bressacs nur dazu geführt hatten, daß Dorothéa zweimal sodomisiert wurde, mußten die Männer sich zusammen unterhalten, während die Frauen desgleichen taten. Dorothéa, voll wilder Gier, ermüdete Justine; ebenso erging es d'Esterval und Bressac. Bei Tagesanbruch begab man sich zu Bette mit dem Plane, sogleich nach dem Frühstück gemeinsam aufzubrechen.

»Der Mann, zu dem ich Sie führe,« sagte Bressac, als man das Mahl einnahm, »heißt Graf de Gernande.« – »Gernande!« Sicherlich, »ich bin verwandt mit ihm,« sagte d'Esterval, »er war der Bruder Ihrer Mutter, daher mein leiblicher Vetter.« – »Und kennen Sie ihn?« – »Ich habe ihn nie gesehen; ich weiß nur, daß er ein sonderbarer Mensch ist, ein Mann, dessen Geschmacksrichtung ...« – »Warten Sie, warten Sie,« sagte Bressac, »ich will ihn Ihnen schildern, da Sie ihn nicht kennen.«

»Der Graf da Gernande ist ein fünfzigjähriger, recht dicker Mann. Nichts ist so erschreckend wie sein Gesicht; die Länge seiner Nase, die rabenschwarzen Augenbrauen, die bösen dunklen Augen, sein großer Mund voll schlechter Zähne, seine finstere, kahle Stirne, der rauhe, drohende Ton seiner Stimme, die gewaltige Länge seiner Arme und Hände, alles das macht ihn zu einem gigantischen Wesen, dessen Nähe Schrecken einflößt. Sie werden bald sehen, ob die Moral und die Handlungsweise dieses Satyrs seiner schauerlichen Karrikatur entsprechen. Uebrigens besitzt er Geist und Kenntnisse, aber keine Sittlichkeit und Religion; er ist einer der größten Frevler, die je gelebt haben und der berühmteste Feinschmecker unserer Zeit. Nichts ist sonderbarer als die Art seiner Ausschweifungen. Sein Weib ist der hauptsächlichste[294] Gegenstand seiner wilden Lüste; aber er führt zudem so wüste sodomistische Handlungen aus, daß Ihr Beide mir nach acht Tagen für diese Bekanntschaft Dank wissen werdet.« – »Und dieser Frau, dem unglücklichen Objekt der Raserei ihres Gatten, wollen Sie mich zugesellen?« fragte Justine. – »Gewiß, sie ist ein recht sanftes Weib, wie es heißt ... Ich selbst kenne sie nicht ... doch versichert man, sie wäre ein sittsames und gefühlvolles Weib, das einer gleichgestimmten Seele bedarf, eines sanften Wesens, das sie tröstet. Es scheint mir, Justine, daß das sich mit Ihren Prinzipien vorzüglich verträgt.« – »Zugegeben; aber werde ich, wenn ich das Weib tröste, nicht dem Gatten mißfallen? Werde ich nicht zudem den brutalen Trieben des Frevlers, den Sie eben schilderten, zur Beute fallen?« – »Und wenn?« sagte Bressac, »schreckliches Unglück! Waren Sie nicht in diesem Hause den gleichen Gefahren ausgesetzt?« – »Wider meinen Willen.« – »Nun also, bei meinem Onkel wird es gutwillig geschehen müssen – das wird der ganze Unterschied sein.« – »Ach, mein Herr, ich sehe, Ihr immer aufs Böse gerichteter Witz hat nichts von seiner Schärfe verloren; doch da Sie meinen Charakter kennen, wissen Sie gut, daß ich mich nicht zu allen diesen Dingen hergeben kann. Da d'Esterval sein Haus verläßt und meiner Dienste nicht mehr bedarf, wäre ich Ihnen, meine Herren, sehr verpflichtet, wenn Sie mir meine Freiheit wiedergeben wollten, die mir zu rauben, Sie gar nicht das Recht haben.« – »Oh, was das Recht anbelangt, gewiß,« sagte d'Esterval, »sind wir denn nicht die Stärkeren? Und kennst du, Justine, ein heiligeres Recht als dieses?« – »Ich spreche mich offen gegen diese Freiheit aus,« sagte Bressac. »Von meinem Onkel beauftragt, ihm ein hübsches, sanftes Mädchen zuzuführen, kann ich keine finden, die Justine gleichkäme; ich hoffe, sie ist geschmeichelt, daß ich ihr Geschick unwiderruflich an das der Frau de Gernande knüpfe. Diese benötigt gerade eine solche Gesellschafterin, und sollte diese intime Beziehung sie manchmal auch den brutalen Lüsten des Gatten aussetzen, so muß sie sich doch darein fügen, daß ich sie zu deren Frau bringe.«

Justinens Einwände wären fruchtlos gewesen, sie mußte gehorchen. Man reiste ab. Bis zur Mitte des Waldes wurde der Weg zu Pferde zurückgelegt; in der nächsten Stadt wurde ein vierspänniger Wagen benutzt; ohne besondere Zufälle kam man bei Herrn de Gernande an, dessen prächtiges Schloß isoliert inmitten eines großen, von hohen Mauern umgebenen Parkes an den Grenzen des Lyonnais und der Franche-Comté lag. Aber das mächtige Gebäude war ganz und gar nicht so bewohnt wie es seiner Größe nach schien; man konnte nur wenig Dienerschaft, und zwar in der Nähe der Küchen, in der Mitte des Wohntraktes, bemerken; der ganze übrige Teil war ebenso verlassen und einsam wie die Lage des Schlosses.

Als die Gesellschaft eintrat, befand sich Herr de Gernande im Hintergrunde eines prächtigen, großen Gemaches, eingehüllt[295] in einen Schlafrock von indischem Satin, nachlässig auf einem Sofa ausgestreckt. Neben ihm sah man zwei so lächerlich gekleidete, so kunstvoll und elegant gekämmte Knaben, daß man sie hätte für Mädchen halten können; beide hatten reizende Gesichter und waren höchstens fünfzehn bis sechzehn Jahre alt, befanden sich aber in einem solchen Zustand von Erschlaffung

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Veröffentlicht / Quelle: 
Marquis de Sade: Die Geschichte der Justine. 1906
Prosa in Kategorie: 
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