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und Müdigkeit, daß man versucht war, sie für krank auszusehen.22
»Mein teurer Onkel,« sagte der Marquis de Bressac beim Eintritt, »hier sind zwei meiner Freunde, die ich Ihnen mit umso größerem Vergnügen vorzustellen mir erlaube, als beide die Ehre haben, mit ihnen verwandt zu sein.« – »Ah! Es sind meine Cousins,« sagte Gernande, »ich habe sie nie gesehen; doch das du sie mitbringst, sind sie sicher unser würdig; ich bin daher sehr erfreut, sie zu sehen.«
»Wer ist aber dieses junge Mädchen?« – »Eine vertrauenswürdige Person, die ich, Ihrem Auftrage gemäß, zu Frau de Gernande führe; ich glaube, sie besitzt alle Eigenschaften, die zu diesem Posten erforderlich sind.« – Der Graf ließ Justine näher treten; ohne die Gesellschaft um Erlaubnis zu bitten, schürzte er sie bis übers Kreuz und prüfte sie vom Scheitel bis zur Stahle in der ungezwungensten, brüskesten Weise. »Wie alt sind Sie?« fragte er sie. – »Zwanzig Jahre.« – An diese Frage knüpfte er noch einige Erkundigungen über ihre Person. Justine erzählte kurz die interessantesten Einzelheiten ihres Lebens, ohne an Rodin zu vergessen, verschwieg aber geschickt die Greueltaten, zu denen sie durch d'Esterval genötigt worden war. Dann schilderte sie ihre elende Lage. »Sie und unglücklich,« sagte das Ungeheuer, »desto besser; desto unterwürfiger werden Sie sein. Nicht wahr, meine Herren, es ist das ein sehr geringer Nachteil, daß das Unglück dieses verworfene Volk verfolgt, das von der Natur dazu verdammt ist, neben uns auf derselben Erde zu kriechen? Darum ist es arbeitssamer und weniger frech; es erfüllt dadurch viel besser seine Pflichten uns gegenüber.« – »Aber, mein Herr,« warf Justine ein, »ich habe Ihnen ja meine Abkunft berichtet; sie ist gar nicht niedrig.« – »Ja, ja, ich kenne das; man gibt sich für Gott weiß was aus, wenn man im Elend ist; die hochfahrenden Illusionen müssen für das Unrecht des Geschickes trösten. Wir aber glauben von dieser durch Schicksalsschläge vernichteten Existenz so viel als uns beliebt. Uebrigens ist mir das alles gleichgiltig; ich sehe Sie in der Tracht einer Magd, ich werde Sie also demgemäß behandeln. Doch wird es nur von Ihnen abhängen, glücklich zu werden; haben Sie Geduld, seien Sie diskret, dann will ich Ihnen in einigen Jahren, wenn ich Sie entlasse, ermöglichen, den dienenden Beruf aufzugeben. Mein Freund,« sagte er dann zu Bressac, »erzähle mir jetzt ein wenig[296] von den beiden lieben Verwandten, die du da mitbringst; mit der Schlumpe da haben wir uns lange genug abgegeben.«
»Herr und Frau de Sombreville, bekannter unter dem Namen d'Esterval, haben, lieber Onkel, alle Eigenschaften, die ihre Bekanntschaft angenehm zu gestalten vermögen; ihre große Sittenlosigkeit wird Ihnen sicherlich Achtung einflößen; wenn Sie aber erst erfahren werden, daß sie trotz Ansehen und Reichtum alle Annehmlichkeiten, die ihnen die Welt bieten konnte, beiseite gelassen haben, um sich in einem dichten Walde zu vergraben, wo ihr einziges Vergnügen darin besteht, die Passanten, die um Unterkunft in der Herberge bitten, die sie an dieser düsteren Stätte halten, zu bestehlen und umzubringen; dann hoffe ich, werden Sie mir Dank wissen dafür, daß ich so treffliche Freunde hergebracht habe.« – »Sie bringen die Reisenden um,« sagte Gernande, in ein Gelächter ausbrechend, »ah, das ist ja köstlich! Ich kenne das alles, ich verstehe das vortrefflich ... Es ist unglaublich, was die Phantasie vermag! ... Man tötet, plündert, vergiftet, äschert ein, nichts ist einfacher als all das; aber man ergießt dadurch, und von diesem Moment an ist es göttlich. Ich habe mich früher an all diesen Dummheiten ergötzt, mein Kopf erhitzt sich noch jetzt durch sie; aber da ich altere, ziehe ich ruhigere und häuslichere Genüsse vor. Ich tue vielleicht noch dergleichen, aber zu Hause ist es mir lieber ... Ach so! Die Gattin dieses prächtigen Verwandten ist ja doch ...« – »Ganz so lasterhaft wie er, teurer Onkel; ich hoffe, ihr Zynismus und ihre Lüsternheit werden Sie amüsieren. Glauben Sie mir, daß unser Verwandter zu viel Geist besitzt, um sich an eine Frau zu knüpfen, die nicht die gleichen Laster übt wie er.« – »So ist es recht,« sagte Gernande, »ich gestehe, daß ich ihm ohne diesen Vorbehalt nicht verzeihen könnte, mich mit seiner Frau zu besuchen. Die Frauen, teurer Neffe, fühlen einen unwiderstehlichen Zwang, das an ihrem Geschlechte verübte Unrecht wieder gut zu machen. Verzeihung, Madame« – wandte er sich an Dorothéa – »aber ich liebe die Frauen ebenso wenig wie mein Neffe, und wenn ich mir eine halte, so werden die Leute, die gleich mir denken, dies dadurch entschuldbar finden, daß ich sie zum Opfer meiner Launen ausersehe ...« Dann hieß er Dorothéa nähertreten und fuhr fort: »Ihre Frau ist wenigstens schön, sehr schön; erlauben Sie, Vetter?« Damit schürzte das Scheusal Dorothéa von hinten und prüfte einen Moment ihre Hinterbacken ... »Auf Ehre, ein prächtiges Gesäß, ein wenig männlich zwar, doch ziehe ich es vor. Ich hoffe, Sie haben nie Kinder gehabt?« – »Nein, gewiß nicht; ich setze mich nicht dergleichen Dummheiten aus; wenn aber durch eine Unvorsichtigkeit mir ein solches Unglück zustieße, würden mich zwei oder drei Gläser Sabina rasch befreien.«23 –[297]
»Schön, schön, ich sehe, sie ist recht liebenswürdig Ihre Frau; sie bildet zur meinigen einen prächtigen Kontrast; ich sehne mich danach, sie zusammenzubringen.« – »Wünschen Sie,« fragte d'Esterval, »daß ich sie mit Ihnen allein lasse?« – »Ach nein,« erwiderte der Graf, »wir brauchen uns vor einander nicht zu genieren; ich hoffe, unsere Freuden werden von nun ab wie unsere Gedanken sein.« – »Jawohl, ganz offen,« sagte Bressac, »das ist der wahre Reiz der Geselligkeit.« – »Und Sie, Vetter,« wandte sich Gernande an d'Esterval, »Sie müssen ein Glied besitzen –?« – »Wie ein Maultier,« antwortete Bressac. – »So sehr ich auch gewöhnt bin, mächtige Glieder in meinen Hintern einzuführen, ich versichere Ihnen, daß das seine mir stets Schmerzen bereitet.« Zugleich kam Justine auf ein Zeichen Bressacs herbei, um d'Estervals Hose herabzulassen und den Augen Gernandes den Anblick eines der schönsten und gewaltigsten Gliede, die er je gesehen hatte, darzubieten. »Ah! Herrlich!« sagte Gernande und versuchte es, zu saugen, doch ohne daß es ihm gelungen wäre, es ganz in den Mund zu nehmen. »Es ist wirklich prächtig!