Justine oder vom Missgeschick der Tugend - Page 156

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soll eine tadellose sein.« »Er könnte nicht in besseren Händen sein,« antwortete Verneuil, »er möge dir gleich werden, das ist der beste Wunsch, den ich für ihn hegen kann. Hauptsächlich mußt du ihm seine Schwächen austreiben. Stärke ihn in deinen Grundsätzen, mache seine Seele unvergänglich und flösse ihm Haß für die Frauen ein.« »Niemand anderer könnte ihm diese Dinge besser beibringen,« sprach Justine, »das arme Kind, wie schade.« »Das will ich nicht behaupten,« unterbrach Dorothea lebhaft. »Herr de Bréssac ist der beste Erzieher, den ich kenne und wenn ich zehn Kinder hätte, würde ich sie ihm alle anvertrauen.« »Und ich gehe also leer aus?« fragte jetzt Gernande. »Nein,« antwortete Verneuil, »ich wollte die Justine entführen, lasse sie dir aber. Ich gebe alle meine Pläne bezüglich ihrer auf und du sollst nicht allein bleiben, Bruder.« »Ihr wollt mich also alle verlassen?« fragte Gernande. »Ja, morgen,« entgegnete D'Esterval. »Nun, dann muß ich mich in mein Schicksal fügen,« fuhr Gernande fort, »ich will mich aber beeilen eine neue Frau zu nehmen, damit wir bald eine Orgie begehen können.«

Man zog sich zurück. D'Esterval führte Mme. Verneuil in ein gut verschlossenes Zimmer, das neben dem Verneuil's lag. Gernande nahm Cäcilie, Rosa, Justine und zwei Lustknaben mit sich, während Verneuil Marcelline und Dorothea für sich beanspruchte.

Was nun geschah war fürchterlich. Bréssac und Viktor waren heimlich zu D'Esterval hineingeschlichen und dieser sowie sein Freund Bréssac ergötzten sich daran, die Mutter durch das Kind quälen zu lassen. Man kennt den Charakter dieses kleinen Ungeheuers zu gut, um nicht sicher zu sein, daß er bei der ihm aufgetragenen Rolle großes Vergnügen empfand. Einige Stunden blieb Verneuil in Unkenntnis über die Tätigkeit seines Sohnes und wir werden bald sehen, wie er davon erfuhr. Vorerst aber wollen wir von der sonderbaren Haube sprechen, mit der man das Opfer bekleidet hatte. Da man wußte, daß die Wollust Verneuils nur bei den Schreien seiner Frau erwachen würde, hatte man mit ihrer Mundöffnung einen Trichter in Verbindung gebracht, derart, daß jeder Schrei, dem Brüllen eines Ochsens[375] ähnelte. »Teufel, was ist das?« fragte Verneuil, als er diese Musik hörte, »was machen denn diese Leute, daß sie so gröhlt?« Schließlich nahmen die Schreie ab und statt dessen hörte man das Gestöhn des entladenden D'Esterval. »Er ist fertig,« sprach Verneuil und ergoß gleichfalls seinen Samen in den Hintern Dorotheas. »Ich hin jetzt Witwer.« »Ich glaube auch,« entgegnete die liebenswürdige Gattin D'Esterval's, »aber es bleibt uns das Bedauern nicht gesehen zu haben.« »Vielleicht hätte ich weniger Vergnügen dabei gefunden,« antwortete Verneuil, »indem ich meine Fantasie sprechen ließ, habe ich mich bedeutend mehr aufgeregt. Aber jetzt geh hinein, Dorothea, ich höre deinen Mann noch keuchen, bitte ihn, daß, er dich auf dem Leichnam meiner Frau von John besteigen läßt und wenn du dann, naß vom Samen und dem Blut meiner Frau, zurückkehren wirst, will ich dich von hinten besteigen. Einen Gefallen mußt du mir aber tun, daß du im Augenblick der Krise laut schreist: ›Verneuil, Verneuil du bist Witwer und hast Hörner aufgesetzt bekommen. Mein Mann hat eben deine Frau ermordet.‹ Nicht wahr, mein Engel, du wirst das tun und du sollst auch die Folgen dieses Ausrufes sehen.« »O Verneuil, welch eine Fantasie,« rief Dorothea aus, »welch ein Kopf.«

Wie groß war das Erstaunen Dorothées als sie sah, daß Bressac und Victor an dem eben begangenem Verbrechen mitschuldig waren.

Man winkte ihr, sie möge nichts verraten und statt John's steckte Victor sein Glied in den Hintern. Im Augenblick des Entladens begann der kleine Schuft zu schreien: »ich bin es Vater, der deine Frau getötet hat und ich habe dir Hörner aufgesetzt.« Bei diesen Worten konnte Verneuil sich nicht länger halten. Er stürzte in das Zimmer D'Estervals und angesichts des Leichnams seiner Frau, bestieg er seinen Sohn. Bressac bearbeitete seinen Onkel und hatte gleichzeitig John's Glied in sich und Marcelline peitschte und ermutigte alle Teilnehmer dieser furchtbaren Orgie, die sich bis zum Tagesanbruch hinzog.29

Man kann sich leicht vorstellen, daß man sich bloß trennte, um sich zu versprechen, bald wieder zusammen zu kommen.

Gernande verbrachte einige Tage auf dem Schlosse seiner neuen Gattin und führte sie dann in sein eigenes ein.[376]

Mme. de Volmire konnte ihre Tochter nicht begleiten, sie war zu sehr vom Rheumatismus geplagt.

Um diese Zeit dachte Justine von neuem an die Flucht und sie hätte auch sogleich ihren Gedanken ausgeführt, wenn sie nicht darauf gehofft hätte, unter der zweiten Gemahlin glücklicher zu werden, wie unter der ersten. Fräulein de Volmire war neunzehn Jahre alt, viel schöner als ihre Vorgängerin und wußte Justine derart zu fesseln, daß sie beschloß, sie um jeden Preis zu retten.

Es waren bereits sechs Monate, daß der niederträchtige Gernande sein sanftes und entzückendes Weib durch alle seine Launen quälte. Die ganze Satansbande war wieder versammelt, neue Grausamkeiten begannen und Justine zögerte nicht länger. Sie entdeckte sich ihrer Herrin und bezeugte ihr offen den Wunsch, sie zu befreien.

Es handelte sieh darum, die Mutter von allem zu unterrichten und ihr die Grausamkeit des Grafen vor Augen zu führen. Fräulein de Volmire zweifelte nicht daran, daß ihre Erzeugerin alsbald herbei eilen würde, um sie zu befreien. Aber was dann? Sie waren so sorgfältig behütet. Justine die gewohnt war Hindernisse zu nehmen, maß mit den Augen die Höhe der Terasse ab.

Sie betrug kaum dreißig Fuß. Anderweitige Hindernisse scheinen nicht da zu sein und Fräulein de Volmire, die bei Nacht angelangt war, bestätigte dies. Unsere tapfere und aufrichtige Freundin beschließt also den Sprung zu wagen. Volmire schrieb ihrer Mutter einen rührenden Brief und bat flehentlich um Hilfe. Justine steckte den Brief in ihren Busen, umarmte die teure Freundin und ließ sich hinuntergleiten. Wie aber wurde ihr, als sie bemerkte, daß sie sich nicht im Freien befand, sondern sich ringsum hohe Mauern erhoben. Was sollte nun aus ihr werden? Was sollte man von ihr denken, wenn man sie an diesem Orte treffen würde? Würde der Graf nicht alles erraten und würde sie nicht kaltblütig hingeschlachtet werden? Eine Rückkehr war unmöglich.

Volmire hatte die Leinentücher, die ihr beim Herabgleiten behilflich waren, wieder hinaufgezogen und an die Türen kennte sie nicht klopfen, um sich nicht zu verraten. Es

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Veröffentlicht / Quelle: 
Marquis de Sade: Die Geschichte der Justine. 1906
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