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ich habe niemals diesem Gesellschaftsvertrage zugestimmt und ich liebkose daher alles, was dem zuwiderlauft.« – »Das ist,« sagte Ambrosius, fressend und saufend, »ein unmoralisches Gespräch«. – »Was nennst du unmoralisch?« – »Das, was die Menschen von der Tugend abführt,« sagt Severino. – »Komme doch endlich zur Ueberzeugung,« sagte Ambrosius, »daß Tugend und Laster nur eine Frage der geographischen Lage sind. Wir haben nur einem zu folgen, und das ist unserer eigenen Neigung, denn was die Natur uns eingibt, ist gut.« – »Folglich,« sagt Jerome, »waren die perversen Seelen Nero und Tiberius natürlich?« – »Gewiß! Sie[147] folgten nur der Natur.« – »Ich begreife nicht,« sagt Clement, »wie man auf die längst abgetanen Sachen wieder zurückkommen kann?« – »Ich habe nur widersprochen,« sagt Severino, »damit sich Euer Geist mehr entwickle.« – »Ich bin überzeugt davon,« sagt Ambrosius, »daß du genau so denkst wie wir.« – »Ja, ich gehe noch weiter,« sagt Severino, »vergeblich zermartere ich mein Gehirn nach einem gigantischen, Verbrechen, nichts befriedigt mich.« – »Auch ich,« sagt Jerome, »plage mich seit zwanzig Jahren vergeblich, ein solches zu ersinnen, alles was wir hier tun, ist nur ein Schatten. Immer bleibt mir dieselbe Begierde nach dem Bösen, ich habe mehr Verbrechen kaltblütig als in der Verzückung getan.« – »Du hast also,« sagt Severino, »das Mönchskleid nur angezogen, um die Menschen zu betrügen?« – »Gewiß, denn es ist das Kleid der Falschheiten. Man bedarf nur des Mantels der Tugend und nicht der Tugend selbst. Und mit dieser Falschheit öffnet sich die Bahn zu neuen Verbrechen. Ich muß Euch einmal meine Lebensgeschichte erzählen,« sagt Jerome, »damit Ihr seht, daß ich niemals des Verbrechens satt wurde.« – »Kann man denn das jemals werden?« sagt Silvester. »Warum kann man nicht zu jeder Stunde welche begehen?« – »Nur ruhig,« sagt Severino, seine Rolle fortspielend, »es wird die Zeit kommen, wo das höchste Wesen mit Donnerstimme in alle Herzen sprechen und Euch zwingen wird, alle seine Regungen Gott zu weihen.« – »Mein Freund,« sagt Ambrosius darauf, »die Religion ist das non plus ultra der Dummheit; nur der braucht sie, der ohne sie sich nichts in der Natur erklären kann. Sie dient nur dazu, um die Geister zu verwirren, indem sie alles ins Dunkle hüllt und uns für das, was wir nicht verstehen, etwas bietet, was wir noch weniger verstehen. Die Naturerscheinungen führt sie auf einem unsichtbar Handelnden, auf etwas Unnatürliches zurück. Ist der menschliche Geist befriedigt, wenn man ihm als Erklärung für das, was er nicht sieht und nicht versteht, einen noch unsichtbareren und unverständlicheren Gott bietet? Fragst du einen Christen, wer die Welt geschaffen, wird er dir sagen: Gott. Wirst du ihn um die Gegenmittel gegen diese Unheil fragen, bekommst du zur Antwort: Gebete, Prozessionen, Opfer. Warum ist der Himmel aber böse? Weil die Menschen schlecht sind. Warum sind die Menschen schlecht? Weil ihre Natur verdorben ist. Und warum ist ihre Natur verdorben? Weil Adam in den Apfel gebissen hat. Und wer hat ihn dazu gebracht? Der Teufel. Und wer hat den Teufel geschaffen? Gott. Ja, wozu hat denn Gott den Teufel geschaffen? Da weiß der Trottel keine Antwort. Fragst du so einen Tölpel, was den Menschen in Bewegung bringt, antwortet er: die Seele. Fragst du ihn, was die Seele ist, so bekommst du als Antwort: das ewige Geheimnis. Fragst du ihn, ob die Tiere eine Seele haben, sagt er nein. Ja, warum handeln, fühlen, denken sie dann? Wieder bekommst du keine Antwort. Daraus erhellt, daß der Mensch die Chimäre der Seele nur aus Arroganz geschaffen. Ein Doktor der Theologie würde sich schämen, wenn man seine Seele[148] mit der eines Schweines vergleichen würde. Severino, es ist besser, wenn nur wenige Philosophen sind, denn es ist eine Wollust, anders zu denken wie die Mehrzahl.« – Ambrosius: »Man hüte sich, die Binde von den blöden Augen des Volkes zu reissen. Woher nehmen wir unsere Opfer, wenn alle Menschen Verbrecher wären? Darum laßt uns die Kirche, laßt uns den Thron beschützen, sie fördern die Dummheit und sichern uns unsere Vergnügen. Den Menschen kann man nur mit der eisernen Rute führen, in jedem Staate sollte die Inquisition herrschen. Schauet, wie eng sie in Spanien König und Volk aneinander knüpft, nirgends werden die Ketten so fest sein, wie dort, wo dieses erhabene Tribunal sie schmiedet. Man schimpft sie blutrünstig, ja, ist es nicht besser, zwölf Millionen folgsame Untertanen, als vierundzwanzig Millionen unbotmäßige zu haben? Nicht durch die Zahl seiner Untertanen, sondern durch die Größe seiner Macht und durch den Gehorsam seiner Menschen ist ein Fürst groß. Es gibt kein besseres Mittel, den Glanz und die Macht eines Fürstentums zu heben als die Inquisition, welche alle die, die ihm schaden können, vernichtet. Was liegt an dem vergossenen Blut, welches die Rechte des Souveräns befestigt. Viel mehr Blut würde fließen, wenn diese Rechte gestürzt würden und das Volk in der Anarchie und im Bürgerkrieg sich zerfleischt.« – »Ich glaube,« sagt Silvester, »daß die guten Dominikaner in den Martern ihrer Inquisition auch ihre Wollust nähren.« – »Sicherlich,« sagt Severin, »ich lebte sieben Jahre in Spanien und war sehr intim mit dem Großinquisitor. Eines Tages sagte er mir: ›Kein asiatischer Despot kann seinen Harem mit meinem Kerker vergleichen; Männer, Weiber, Kinder, alle Geschlechter, alle Nationen liegen mir auf einen Wink zu Füßen. Meine Henkersknechte sind die Eunuchen, der Tod meine Kupplerin, man hat keine Ahnung, was mir die Furcht einträgt.‹« – »Ja, beim Teufel,« sagt Jerome, der wieder in die Höhe zu gehen begann, »es gibt auf der Welt nichts Köstlicheres, als die despotische Wollust. Man muß das Ziel seiner Wünsche vergewaltigen müssen. Freiwillig gegeben, macht es kein Vergnügen.« – Antonius schlug vor, sich mit den beiden schwangeren Frauen ein bischen zu unterhalten. Er selbst hat sie in diesen Zustand versetzt. Sein Vorschlag wird angenommen, man schiebt in die Mitte des Saales ein Postament von zehn Fuß Höhe und stellt darauf, Rücken an Rücken die beiden Unglücklichen. Die ganze Umgebung wird mit Dornensträußchen umsteckt. Gezwungen auf einem Fuß zu stehen, stützt sich ihre Hand auf eine biegsame Birkenrute. Die Mönche belustigen sich daran, zu sehen, wie sich