Justine oder vom Missgeschick der Tugend - Page 67

Seiten

welcher die Mädchen für die Orgie aussucht, die Wohnungen visitiert und die Klagen Viktorinens in Empfang nimmt, führt auch die Strafen aus, die entweder er oder Viktorine bestimmt«. Sie sind folgende: Erstens: In der Früh nicht gewaschen sein, das heißt im Sommer um sieben Uhr, im Winter um neun Uhr – fünfzig Rutenstreiche. Zweitens: Die Forderungen für das Souper nicht erfüllen oder nicht die vorgeschriebene Tracht haben – zweihundert Rutenstreiche. Drittens: Aus Mißverständnis oder aus sonstiger Ursache nicht den vorgeschriebenen Körperteil herzeigen – drei Tage nackt sein zu jeder Jahreszeit. Viertens: Schlechte Kleidung, schlechte Frisur – zwanzig Nadelstiche, wohin es dem Regenten gefällt. Fünftens: Nicht angeben, wenn man die Periode hat – sofortige Unterdrückung mit Eiswasser. Sechstens: Am Tage, wo der Arzt die Schwangerschaft konstatiert – hundert Hiebe mit dem Ochsenziemer auf den ganzen Körper. Straflos ist man nur, wenn es den Mönchen gefällt, die Mutter für größere Qualen aufzusparen. Siebentens: Nachlässigkeit, Widerspruch oder Unmöglichkeit, den Willen der Wüstlinge zu erfüllen – vierhundert Rutenstreiche auf den Arsch. Aber wie oft können wir ohne die kleinste Schuld die höllischen Wünsche dieser Scheusale nicht erfüllen, wie oft verlangt einer das, was wir gerade seinem Vormann gewährt haben und es daher nicht sofort erfüllen können. Achtens: Unfolgsamkeit gegen die Direktorin – sechs Stunden nackt in einem Eisenkäfig, der innen mit Eisenspitzen versehen ist, an denen wir uns bei der leisesten Bewegung zerfleischen. Neuntens: Unzufriedenheit, Kummer, Frömmigkeit – fünfzig Rutenhiebe auf den Busen und die Verpflichtung, die heiligsten Sachen zu schänden. Zehntens: Wenn ein Glied der Gesellschaft dich aussucht, um mit dir die höchste Lust zu kosten und er es nicht erreicht, sei es durch seine oder durch deine Schuld – sechs Stunden wie eine Kugel zusammengebunden nackt an die Decke gehängt. Elftens: Ein Rückfall in diesen Fehler, den man für den schwersten hält, und wie leicht ist es möglich, da sie oft selbst verhindern, daß es ihnen kommt, weil sie dann die Strafe selbst bestimmen und ausüben dürfen. Man bohrt ihr zwei ungeheure Godmichés in die Scheide und in das Arschloch, dann befestigt man dieselben mittelst Stricken, bindet dich wie eine Kugel zusammen und hängt dich, in ein Dornenbündel gesteckt, an die Decke, so daß das Blut in das Zimmer heruntertropft. Gewöhnlich setzt sich der Richter darunter, bis sich seine Lust erfüllt hat. Zwölftens: Der kleinste Widerwille gegen einen Vorschlag eines Mönches und man hat keine Ahnung, wie grausam und ekelhaft sie sein können – zwei Stunden an[154] den Füßen aufgehängt. Auf Rebellion steht Todesstrafe und sechs Monate Kerker, während man täglich bis aufs Blut gepeitscht wird für jede, die sich der Rebellion angeschlossen. Dreizehntens: Bestand die Empörung nur in Ratschlägen und hatte sie keine Folge, so wird der Rädelsführer an achtzehn verschiedenen Körperstellen, die der Tagesregent bestimmt, mit einem glühenden Eisen gebrannt, die anderen nur an einer. Vierzehntens: Selbstmordversuch, Verweigerung der Nahrung oder Herbeiführung einer Krankheit – man erkundigt sich über die dir verhaßteste Tätigkeit und verdreifacht sie mit der größten Grausamkeit, man sperrt dich mit den von dir am meisten gefürchteten Tieren auf einen Monat in den Kerker, und einen Monat mußt du während des ganzen Soupers knien. Fünfzehntens: Ungehorsam gegen die Mönche außerhalb der Belustigungen – jede Brustwarze mit einer glühenden Nadel zerstochen, bis sie blutet. Sechzehntens: Der gleiche Fehler während der Unzucht – sechs Monate Kerker in Ketten, schwarzes Brot und Salzwasser, viermal im Tag die Peitsche. Beim Rückfall der Tod. Siebzehntens: Fluchtversuch – ein Jahr Kerker. Achtzehntens: In der Ausführung erwischt werden – Todesstrafe. Neunzehntens: Die daran teilgenommen, unterscheiden sich von der Anstifterin nur durch die Grausamkeit der Todesstraf. Zwanzigstens: Empörung gegen Viktorine – sie der Todesstrafe. Zwanzigstens: Empörung gegen Viktorine – sie leistet der Unzucht dieser Person – so wie Artikel zwölftens. Zweiundzwanzigstens: Abtreibung – fünfhundert Peitschenhiebe auf den Bauch, wobei man die Sorgfalt hat, die Spitzen der Schnüre, die aus Eisen sind, in die Scheide eindringen zu lassen. Hiebei weichen diejenigen, welche Kinder zu machen lieben, nicht früher von dir, bevor du nicht schwanger bist. Die Mönche verwenden sechs verschiedene Todesstrafen: die leichteste ist gebraten zu werden; die zweite, gekocht zu werden; die dritte gerädert; die vierte, gevierteilt. Die fünfte durch eine eigens erfundene Maschine langsam zerschnitten zu werden. Bei der sechsten wird man einfach zu Tode gepeitscht.

Im übrigen können wir machen, was wir wollen, uns streiten, schlagen, besaufen, prügeln, ja sogar ermorden, nichts wird uns verübelt; ja, für manches werden wir sogar belohnt. Vor sechs Monaten hat die schöne vierzigjährige Frau ein Mädchen aus Liebe und Eifersucht erstochen. Die Mönche freuten sich über die Tat und einen ganzen Monat erschien die schamlose Person mit Rosen gekrönt. Sie soll einst Viktorine ersetzen. Du siehst also, nur durch Verbrechen kann man diesen wilden Tieren gefallen. Viktorine kann uns durch ein gutes Zeugnis unendlich viele Unannehmlichkeiten ersparen, aber leider läßt sich dieses nur durch Scheußlichkeiten erkaufen, die oft noch viel schwerer zu ertragen sind. Sie selbst ist heilig und außerhalb jeglicher Strafe. Man ist sicher, daß sie zu sehr den Geschmack der Mönche teilt, um sie zu verraten. Die Unmenschen könnten auch ohne diese Gesetze uns quälen, aber diese Art von Gerechtigkeit befördert[155] ihre Wollust. Unsere Nahrung ist sehr gut und sehr reichlich, wahrscheinlich weil wir dadurch geeigneter für ihre Lüste werden. Alle Mahlzeiten – es sind deren vier – sind überaus reichlich. Auch bekommen wir täglich zwei Flaschen Wein und eine Flasche Likör; diejenigen, welche nicht so viel trinken, geben es ihren Kameraden, und es gibt solche, welche sich täglich berauschen. Viktorine präsidiert bei den Mahlzeiten. Sie selbst speist aber separat, und mitunter speisen einige Mönche mit ihr; zu diesen Mahlzeiten zugezogen zu werden, gilt als Ehre. Bei den Soupers der Mönche müssen immer wenigstens zwölf anwesend sein und sechs zur Bedienung; die letzteren nackt. Für je zwei Mädchen wird ein Knabe zugezogen, weil sie schwerer zu beschaffen sind und daher geschont werden müssen. Trotzdem werden auch diese genau so gemartert und eventuell getötet. Ich brauche dir doch wohl nicht erst zu sagen, daß nie ein Fremde hieherkommt. Wenn wir krank sind, pflegt uns der Arzt, und

Seiten

Veröffentlicht / Quelle: 
Marquis de Sade: Die Geschichte der Justine. 1906
Prosa in Kategorie: 
Thema / Klassifikation: