Justine oder vom Missgeschick der Tugend - Page 68

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wenn wir sterben, werden wir zwischen die Hecken in vorbereitete Gruben geworfen. Ist die Krankheit schwer oder ansteckend, so werden wir lebendig eingegraben, weil diese Ungeheuer sagen, es sei besser wenn eine stirbt als zwanzig. Seit den dreizehn Jahren, da ich hier bin, sind über fünfundzwanzig auf diese Weise umgekommen. Im übrigen hängt dies von der Zuneigung ab, die der Tagesregent für die Kranke hat. Steht sie in seiner Mißgunst, so gibt er dem Arzt ein Zeichen und dieser stellt ein Zeugnis über ansteckende Krankheit aus. Eine halbe Stunde nachher hat die Unglückliche zwei Fuß Erde über der Nase. Wir stehen im Sommer um sieben Uhr, im Winter um neun Uhr auf, doch kommen wir infolge der Belustigungen der Mönche sehr spät ins Bett. Sobald wir aufgestanden sind, kommt der Tagesregent einen Besuch machen. Er setzt sich in einen Lehnstuhl und eine nach der anderen muß zu ihm hinkommen, auf seiner Lieblingsseite geschürtzt. Er filzt, küßt, untersucht, und sobald er damit fertig ist, kommt die Direktorin und macht ihren Rapport. Die Strafen werden entweder sofort vom Tagesregenten ausgeführt oder für den Abend aufgehoben. Wird eine zum Tode verurteilt, so wird sie sofort geknebelt und in den Kerker geworfen. Die Todesstrafe selbst wird erst beim Souper ausgeführt. Bevor die Unglückliche aber in den Kerker hinuntergeführt wird, wird sie, nachdem ihr der Regent deutlich und klar den bevorstehenden Tod vor Augen geführt, zuerst noch zur Direktorin geführt, damit diese und der Regent sich eine Stunde mit ihr belustigen können. Nichts soll den Elenden über das Vergnügen gehen, welches sie bei der zum Tod Verurteilten empfinden. Man kann sich daher vorstellen, wie wenig sie mit einem Todesurteil sparen. Die Todeskandidatin wird von ihnen hiebei in der furchtbarsten Weise zur Befriedigung der ausschweifendsten Genüsse mißbraucht und uns das Schicksal dieser Armen recht eingeprägt. Einige Tage vor deiner Ankunft war ich Zeuge[156] einer solchen Szene. Ein schönes Mädchen von siebzehn Jahren wurde von Viktorine des Fluchtversuches beschuldigt. Sie führte Jerome, der Regent war, in die Zelle und zeigte ihm das durchfeilte Fenstergitter. Vergebens beteuerte die Arme ihre Unschuld; sie war sowohl Jerome, als der Direktorin verhaßt, und dieselben hatten selbst das Gitter durchsägt. Ich wurde zugleich mit einem jungen Mann der Todesbelustigung zugezogen. Man kann sich nicht vorstellen, welche Greuel Jerome die Unglückliche erdulden ließ. Als er sie sodomisierte, sagte er zu ihr: »Ich weiß wohl, daß du unschuldig bist, aber ich will bei deiner Hinrichtung entladen.« Er fragte sie dann, was für einen Tod sie haben wollte. Sie antwortete: »Den schnellsten.« – »Dann stirbst du den langsamsten, und ich selbst werde ihn dir geben.« Hierauf puserierte ihn der junge Mann, ich mußte ihm das Arschloch lecken, und indem er das arme Opfer küßte, schlürfte er ihre Seufzer der Verzweiflung und der Todesangst mit Wollust. Hierauf entlud er in den Mund der Unglücklichen, indem er sie mit aller Kraft ohrfeigte. Nach den Strafen erhält Viktorine die Liste der zum Souper Befohlenen und trifft ihre Anordnungen diesbezüglich, ja nach dem verlangten Zustand derselben. Trotz der kleinen Belustigungen pflegt der Regent selten den Saal zu verlassen, ohne zuerst noch irgend eine größere Szene, die Viktorine mit der größten Schamlosigkeit arrangiert, zu genießen. Hierauf geht er ins Knabenserail, wo dasselbe geschieht. Wenn ein Mönch vor dem Frühstück ein Mädchen wünscht, so überbringt der Kerkermeister den Befehl. Wenn sie zurückkommt, überbringt derselbe ein Zeugnis über ihre Aufführung, so daß die Direktorin sofort die eventuelle Strafe eintragen kann. Bis zum Souper haben sie dann Ruhe. Nur selten kommt es vor, daß ein Spezialbefehl von den Mönchen, die tagsüber im Kloster sind, kommt. Um sieben Uhr abends, im Winter um sechs Uhr, kommt der Kerkermeister die zum Souper befohlenen Mädchen holen, während die für die Nacht bestimmten in die Zimmer ihres Herren gehen und dort, nur begleitet von den Ehrenfräuleins, auf diese warten. – »Was sind das, Ehrenfräuleins?« fragte Justine. – »Am Anfang jedes Monats wählt sich jeder Mönch zwei Mädchen aus, die ihm während des ganzen Monats als Dienerinnen und Lustobjekt zur Verfügung stehen. Er darf sie weder wechseln, noch zwei Monate hintereinander dieselbe behalten. Nichts ist so ekelhaft und so grausam wie dieser Dienst. Ich weiß nicht, ob du ihn aushalten wirst. An jedem Tag um fünf Uhr gehen die Ehrenmädchen nackt zu ihrem Herrn und verlassen ihn nicht, bis er ins Kloster zurückkehrt. Es gibt keinen Dienst und keine Marter, die er ihnen nicht auferlegt. Er kennt kein anderes Nachtgeschirr als ihren Mund oder ihre Brust. Tag und Nacht sind sie seinen Prügeln, Martern und quälenden Belustigungen ausgesetzt. Die kleinste Widersetzlichkeit wird bei einem Ehrenfräulein noch strenger gestraft als sonst. Sie müssen die vom den Orgien erschöpften Mönche durch ihren Mund[157] wieder in Ordnung bringen und überallhin begleiten, und sitzen während des Soupers entweder wie ein Hund zu seinen Füßen oder zwischen seinen Knien, um ihn mit dem Munde zu geilen. Es kommt auch vor, daß er sich auf ihr Gesicht setzt oder sie mit einer Kerze im Arschloch als Leuchter benützt. Kürzlich haben sie alle zwölf in bizarre, überaus schwierige Positionen gestellt, wobei die Armen beim Stürzen entweder in Dornen oder in kochendes Wasser fielen. Bei diesem Anblick ergötzten sich die Mönche an Speise und Trank, sowie an allen möglichen Ausschweifungen.« – »O, Himmel,« sagte Justine, »kann man noch weiter die Schlechtigkeit und Gottlosigkeit treiben?« – »Es gibt keine Greueltaten,« antwortete Omphale, »die der Mann, der Religion und Gesetz verachtet, nicht kennt, und doch weißt du nicht alles. Die Schwangerschaft, auf der ganzen Welt geachtet, ist bei ihnen der Grund zu schrecklichen Martern. Mit Schlägen entbinden sie sie, und wenn sie die Frucht schonen, so geschieht dies nur zu Zwecken der Wollust. Hüte dich daher vor diesem Zustand.« – »Aber kann man das?« – »Es gibt so gewisse Schwämmchen, doch muß man sich hüten, daß Antonius es bemerkt; noch sicherer ist es, es sich nicht kommen zu lassen, was doch bei diesen Ungeheuern leicht möglich ist. Kein Mönch, mit Ausnahme des Regenten und des Abtes, darf das Serail betreten. Doch nachdem die Regenten jede Woche wechseln, hat

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Veröffentlicht / Quelle: 
Marquis de Sade: Die Geschichte der Justine. 1906
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