Justine oder vom Missgeschick der Tugend - Page 69

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jeder Gelegenheit, diese Rechte zur Genüge auszunützen. Außerdem steht es jedem Mönche frei, sich soviel Mädchen und Knaben, als er will, aufs Zimmer kommen zu lassen. Dafür gibt es keine Entschuldigung, selbst nicht Krankheit. Oft verlangen sie ein Subjekt, von dem sie wohl wissen, daß es sie nicht befriedigen kann, aber sie wollen nur ihrer Grausamkeit dienen. Im übrigen haben alle Mönche gleiche Rechte und der Abt nur den Vorzug des Eintrittes in das Serail, um die Anordnungen betreffs Kleidung und Polizei treffen zu können. Die sechs Mönche genießen die höchsten Ehrenstellen in ihrem Orden. Außer den großen Mitteln, die der Orden für diese Erholungsstätte, wohin alle Mitglieder zu kommen hoffen, zur Verfügung stellt, verfügt noch jeder zu diesem Zwecke über einen Teil seines großen Vermögens. Fünfmalhunderttausend Francs dienen für Unzuchtzwecke, vier Frauen und Männer durchreisen ganz Frankreich, um die zwei Serails zu ergänzen. Die Objekte dürfen nicht älter als sechzehn und nicht jünger als zehn Jahre sein. Sie müssen fehlerlos und mit allen Reizen geschmückt, vor allem aber von vornehmer Abkunft sein. Darauf halten die Wüstlinge sehr viel. Auf Jungfernschaft halten sie nichts, auch verheiratete Frauen und verführte Mädchen lassen sie rauben, aber der Raub muß konstatiert sein, denn das befördert ihre Erregung. Nur durch Tränen wollen sie ihr Vergnügen erkaufen. Wenn sie dich nicht für so tugendhaft erkannt hätten, wenn du dich nicht so gewehrt hättest, hätten sie dich nicht vierundzwanzig Stunden behalten. Wir sind alle von adeliger Abkunft, ich bin[158] die einzige Tochter des Grafen von Villebrunne und sollte einst ein Vermögen von achtzigtausend Francs Rente erben. Als ich als zwölfjähriges Kind vom Landgut meines Vaters in mein Kloster gebracht wurde, wurde unser Wagen angegriffen, meine Gouvernante ermordet und ich geraubt. Hieher gebracht, wurde ich noch am selben Abend geschändet. So ist es uns allen ergangen; nicht eine Einzige, die sich nicht ihrer vornehmen Verwandtschaft rühmen kann und trotzdem mit der größten Schamlosigkeit behandelt wird. Aber diese Elenden schonen nicht einmal ihre eigenen Familien. Eines unserer schönsten Mädchen ist die Tochter Clements. Das neunjährige Mädchen ist die Nichte Jeromes; auch Severino hat mehrere Kinder hier im Hause gehabt, alle hat er sie ermordet. Ambrosius hat einen Knaben im Serail, den er selbst entjungfert hat. Sobald ein neues Objekt ankommt, wird, wenn die Zahl voll ist, eine vom selben Geschlechte ausgeschaltet. Die Arme steht dann am Rande des Grabes. Sie wird auf vierundzwanzig Stunden nackt in den Kerker gesteckt und das Souper, bei welchem sie abgeschlachtet werden soll, mit der größten Ausschweifung ausgestattet. Sechs der schönsten Frauen und die sechs kräftigsten Männer werden zugleich mit der Direktorin zu dieser blutigen Orgie zugezogen. Eine Stunde vor dem Souper wird das Opfer, mit Zypressen gekrönt, hereingeführt, und man wählt die Martern aus, die den Scheusalen am meisten zusagen; das Opfer wird auf ein Piedestal gesetzt und gleich nach dem Souper beginnen die Martern, die bis zum Tage dauern. Doch wozu soll ich dir das alles sagen, du wirst es nur zu bald selbst sehen.« – »O, Himmel,« rief Justine aus, »so ist auch der Mord, das schändlichste aller Verbrechen, nur eine Quelle neuer Lust für sie? Gewöhnt, nur im Schmerze und in der Verzweiflung anderer sich zu berauschen, glauben diese Ungeheuer, zu unserem ersten Schmerz neue Martern hinzufügen zu müssen, um ihre Wollust zu steigern!« – »Zweifle nicht daran,« sagte Omphale, »sie schlachten uns ab, weil das Verbrechen sie reizt. Du wirst selbst hören, mit welcher Geschicklichkeit sie ihren schändlichen Standpunkt verteidigen.« – »Kommen diese Ausschaltungen oft vor?« – »Alle vierzehn Tage, und hiebei werden sie nur von ihrer Laune geleitet. Sie ermorden morgen die, welche sie heute mit Zärtlichkeit überhäuften, und lassen die zwanzig Jahre leben, deren sie schon ganz satt sind. Ich gebe dir einen Beweis dafür: Dreizehn Jahre bin ich hier, täglich allen Orgien zugezogen, verbraucht durch die schamlosen Exesse müßten sie doch meiner schon satt sein und doch lassen sie mich weiter leben, während ich sie die herrlichsten Kreaturen schon nach acht Tagen habe morden sehen. Das letzte Opfer war sechzehn Jahre alt, erst sechs Monate hier; sie wurde schwanger und das war ihr Todesurteil.« – »Und die, welche durch Zufall sterben, so wie die gestern,« fragte Justine, »werden die zu den Ausschaltungen dazugezählt?« – »Keineswegs, deshalb wird doch alle vierzehn Tage ein anderes[159] Opfer geschlachtet.« – »Kommen solche zufällige Todte oft vor?« fragte Justine. – »Nein,« antwortete Omphale, »sie begnügen sich mit den angeordneten Opfern. Glaube aber nur ja nicht, daß du durch die größte Folgsamkeit dem Schicksal entrinnen kannst. Die Pflichteifrigsten, Gefälligsten verschwanden oft schon nach sechs Monaten, während die Faulen oft jahrelang leben; ich kann dir daher diesbezüglich keinen Rat geben, denn hier herrscht der einzige fantastische Wille dieser Ungeheuer. Wenn eine Frau verurteilt ist, so erfährt sie es erst in der Früh durch den Regenten. Er sagt ihr: Deine Herren haben dich verurteilt, heute abend hole ich dich. Ist er fort, dann küßt sie ihre Genossen und je nach ihrem Charakter sucht sie sich in Ausschweifungen zu betäuben oder in ihrer Zelle ihr Schicksal zu beweinen. Aber keine Klage, kein Verzweiflungsschrei darf ertönen, sonst wird sie auf der Stelle in Stücke gehauen. Die Stunde schlägt und der Mönch führt sie in das finstere Gefängnis, wo sie bis zum nächsten Tage bleibt.«

»Während dieser vierundzwanzig Stunden wird sie wiederholt besucht. In ihrer fürchterlichen Grausamkeit lieben es die Mönche, ihr das Schreckliche ihrer Lage immer wieder vor Augen zu führen; auch können sie sie allen Martern unterwerfen, so daß sie aufs Schändlichste vergewaltigt, halb tot zur Hinrichtung schwankt. Unter keinem Vorwand kann dieselbe aufgeschoben oder verzögert werden, ihr Gesetzt diesbezüglich ist unverletzbar. Schenke mir die Einzelheiten dieser grauenhaften Szene, sie endigt mit der Volltrunkenheit und dem Delirium fast aller. Die Aufnahme findet unter ähnlichen Formalitäten statt, wie du sie selbst erduldet.« – »Und die Mönche?« fragte Justine. »Wechseln die auch?« – »Nein,« antwortete Omphale, »Ambrosius, der jüngste, ist seit zehn Jahren hier, die andern fünfzehn, zwanzig und fünfundzwanzig Jahre. Der Abt ist ein Italiener und naher Verwandter des Papstes. Er hat die wundertätige Jungfrau eingeführt,

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Veröffentlicht / Quelle: 
Marquis de Sade: Die Geschichte der Justine. 1906
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