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wird da die Dummheit einwerfen; »Ihr habt die Gesellschaft einem Scheusal ausgeliefert, dessen vollendete Ruchlosigkeit vielleicht Tausenden das Leben kosten wird!« – »Welch eine treffliche Handlung!« antworten wir der von altväterischen Vorurteilen von Moral und Tugend umnebelten Dummheit; »wir haben der Natur Dienste geleistet; wir haben ihr ein Werkzeug bereitet, mit dem sie das notwendige Uebel, nach dem sie beständig dürstet, verrichten kann.«
Wir verbrachten noch drei Monate auf meinem Landgut, in Wollust und Ausschweifungen wühlend, als Gründe der Klugheit uns bewogen, uns dort wieder einzufinden, wohin uns unsere Pflicht rief. Das erste Abenteuer, das ich als Beichtiger nach meiner Rückkehr erlebte, fand mit einer dreißigjährigen, noch ziemlich hübscher Betschwester statt; sie lag auf dem Totenbette, als sie mich holen ließ. »Mein Vater,« sagte sie, »es ist Zeit, daß ich das verwerflichste Unrecht wieder gut mache. Betrachten Sie die Million in Gold dort auf dem Tische und dieses junge Mädchen (damit wies sie auf ein zwölfjähriges, ziemlich hübsches Kind); nichts von alledem ist mein. Ich war aber so schlecht, alles zu behalten.« – Ach, wer weiß, ob ich nicht noch schlechter gehandelt hätte! – »Eine meiner Freundinnen übergab mir auf dem Totenbette vor zwei Jahren dieses Mädchen und dieses Geld, wobei sie mir den Eid abnahm, ich würde beides dem Herzog de Spinosa in Million in Gold dort auf dem Tische und dieses junge behalten; aber der Schleier zerreißt im Augenblicke, da ich ihn berühre, und die Stimme meines Gewissens quält mich derart, daß ich nicht imstande bin, meine Sünden zu gestehen und Ihnen die Mittel, sie gutzumachen, anzugeben.[228] So sehr ich auch Ihnen vertraue, mein Vater, halte ich mich doch für verpflichtet, meinem Erben ein Schreiben zu hinterlassen, das sie von dieser Maßregel verständigt.« – »Diese Vorsicht,« unterbrach ich sie, »würde nur unnötigerweise Ihre Sünden bekannt machen und würde zugleich Ihr Mißtrauen mir gegenüber beweisen; von diesem Augenblicke an brauche ich mich aber nicht weiter um diese Angelegenheit zu kümmern.« – »O, mein Herr! reden wir nichts mehr von diesem Schreiben, da es Sie ärgert; tun Sie selbst alles. Sie allein sollen die Stimme meines Gewissens beruhigen, ohne daß sonst jemand in die Sache eingeweiht wird.« – »Das, was Sie da getan haben, ›antwortete ich, ruhiger geworden‹ war zweifellos schrecklich; und ich weiß nicht, ob die einfache Rückerstattung, die Sie vorhaben, zur Beruhigung des Himmels hinreichen wird.« Dann fuhr ich strenge fort: »Wie weit haben Sie sich hinreißen lassen, zugleich die Freundschaft, die Religion, die Ehre und die Natur zu hintergehen! O nein! Glauben Sie nur ja nicht, daß die einfache Rückerstattung genügen wird. Sie sind reich, Madame; Sie kennen die Not der Armen; fügen Sie ohne Zaudern die Hälfte Ihres Vermögens zu der rückzuerstattenden Summe, um die himmlische Gerechtigkeit zu versöhnen ... Sie wissen, Madame, Ihre Sünden sind recht groß, aber die Armen sind unsere besten Fürsprecher bei Gott; feilschen Sie nicht mit Ihrem Gewissen; sind Sie einmal die Beute der Dämonen, die auf Ihre Seele lauern, dann werden Sie nicht mehr imstande sein, das höchste Wesen anzuflehen und die Verzeihung für Ihre Verbrechen zu erlangen, deren Sie so sehr bedürfen« – »Sie erschrecken mich, mein Vater.« – »Ich muß es tun, Madame; in meiner Eigenschaft als Mittler zwischen dem Himmel und Ihnen muß ich Ihnen die Geißeln zeigen, die zu Ihren Häupten drohen. Doch warum warne ich Sie? Solange Sie noch Zeit haben, die Strafe abzuwenden; Sie sind verloren, wenn Sie wanken.«
Bestürzt über den Ton, mit dem ich diese letzten Worte aussprach, ließ meine Fromme sofort eine Geldkasse herbeibringen, deren Inhalt sich auf Achthunderttausend Livres belief, was der Hälfte ihres Vermögens entsprach. – »Nehmen Sie,« sagte sie mir, indem ihren Augen ganze Tränenfluten entströmten, »nehmen Sie, mein Vater, damit ist meine Schuld beglichen; beten Sie für meine arme Seele und beruhigen Sie mich, ich bitte Sie drum.« – »Ich möchte es gerne, Madame,« entgegnete ich, indem ich das Gold und das kleine Mädchen durch Clementia, die ich als meine Schwester mitgeführt hatte, wegschaffen ließ, »ja, ich wünsche innig, Ihre Besorgnisse vollständig zerstreuen zu können; aber könnte ich es tun, ohne Sie zu[229] betrügen? Ich fühle es, Sie müssen auf die Barmherzigkeit Gottes rechnen; aber vermag Ihre Bußetat den Frevel wettzumachen? Wird sie, die sich nur auf das Unrecht, das Sie an Menschen verübt, erstreckt, auch einen erzürnten Gott besänftigen? Wenn man über die Größe, die Unendlichkeit dieses höchsten Wesens nachdenkt, kann man da hoffen, es milde zu stimmen, wenn man so unglücklich war, es zu beleidigen? Erkennen Sie das Wesen dieses schrecklichen Gottes in der Geschichte seines Volkes; sehen Sie ihn in seiner Eifersucht, seiner Rachgier, seiner Unversöhnlichkeit; und alle diese Eigenschaften, die beim Menschen als Laster gelten, werden in ihm zu Tugenden. Und tatsächlich, wie vermöchte er, beständig von seinen Geschöpfen erzürnt, unaufhörlich vom Teufel angefeindet, wie vermöchte er ohne ungewöhnliche Strenge seine Macht zu zeigen? Das Kennzeichen der Autorität ist die Strenge; die Duldsamkeit ist die Tugend des Schwachen. Immer hat der Despotismus die Macht angezeigt; möge man mir noch so oft versichern, daß Gott gut sei, ich sage, er ist gerecht; die wahre Gerechtigkeit aber hat sich nie mit Güte vertragen, die im Grunde genommen nur eine Wirkung der Schwäche und Dummheit ist. Madame, Sie haben Ihren Schöpfer schwer beleidigt; Sie vermögen Ihre Sünden nicht gutzumachen und ich kann es Ihnen nicht verhehlen, daß es nicht in meiner Macht liegt, Sie vor den gerechten Strafen, die Sie verdienen, zu schützen; ich kann nichts, als Gott um die Ruhe Ihrer Seele anzuflehen. Ich werde es sicherlich tun; aber kann ich, ein schwaches Geschöpf wie Sie, mir Erfolg versprechen? Die Strafen, die Sie erwarten, sind entsetzlich; dem ewigen Feuer der Hölle ausgeliefert zu sein, das ist, ich fühle es, eine gräßliche Strafe, an die unsere Phantasie uns nur schaudernd denken läßt; doch ist dies Ihr Los und ich sehe kein Mittel, Sie davor zu schützen.« Der Taumel meiner Sinne, der ganz dem Eindrucke meiner Rede auf die Fromme entsprach, war unbeschreiblich; mein Glied zerriß beinahe meine Hose; ja, einen Moment lang konnte ich nicht an mich halten