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geworfen, sowohl um sie allen Nachforschungen zu entziehen als auch, weil ich, da ich mich zu viel an ihr ergötzt hatte, es nach meiner Gewohnheit gerne sah, wenn sie litt.
Ich fand Bonifacio sehr zufrieden mit dem Erfolge unserer Ränke, aber sehr begierig danach, auch seinerseits Nutzen aus ihnen zu ziehen. Ich mochte noch so oft sagen, daß der Gegenstand nicht der Mühe lohne; verführt von der vornehmen Abkunft und dem Gesichte Frosinens, wollte er sich unbedingt überzeugen; natürlich hinderte ich ihn nicht daran. »Jetzt wäre Gelegenheit,« sagte Bonifacio, »Chrysostomus, unserem Prior, einen Beweis von Höflichkeit zu geben; von Freundschaft und Vertrauen zu ihm erfüllt, habe ich ihm von deinem Glücke Mitteilung gemacht; ich bin überzeugt, es würde ihm ein Vergnügen bereiten, daran teilzunehmen.« – »Recht gerne,« antwortete ich; »die Manieren, der Geist, der Geschmack und Charakter von Chrysostomus sagen mir sehr zu; ich ergreife daher eifrig jede Gelegenheit, um mich ihm zu nähern.« Wir trennten uns; mein beständig wohl ausgestattetes Serail lieferte mir reichlich Material zur Befriedigung der Lüste meiner Gefährten und wir vollführten furchtbare Grausamkeiten.
Ihr wißt von Chrysostomus' Leidenschaft; auch die Bonifacios' trug einen ausgesprochen absonderlichen Charakter; er liebte es, Zähne zu reißen; manchmal bearbeitete er das Opfer von hinten, während wir diese Operation vollführten; andere Male riß Bonifacio, während wir Sodomie trieben. Alle beide befriedigten ihre Gelüste mit Frosine vollauf; nachdem wir ihre schönen zweiunddreißig Zähne geraubt hatten, wollte der Prior sie auf seine Weise opfern. Ihr erinnert Euch an seine Leidenschaft. Man ließ diese Unglückliche Sublimat in Scheidewasser trinken; ihre Schmerzen und Zuckungen waren so heftig, daß es unmöglich war, sie festzuhalten, um sich an ihr zu ergötzen. Indeß gelang dies dem Chrysostomus doch; sein[223] Genuß trug den Stempel der außerordentlichsten Trunkenheit und des unbegreiflichsten Entzückens an sich. Wir beschlossen, es ihm nachzuahmen, und wir fühlten bald, daß es nichts Wollusterregenderes gäbe als diese Art des Genießens. Sicherlich ist dies leicht begreiflich; alles verengt sich dann in der Frau; übrigens durchtobt sie ein derartiger Sturm von Empfindungen, daß es nicht möglich ist, nicht davon mitergriffen zu werden. – »O Justine!« unterbrach hier Clément seinen Genossen, »Sie sehen, Chrysostomus dachte wie ich. Man erregt nie so sehr seine Sinne als wenn man in dem Gegenstande, der unseren Lüsten dient, eine möglichst starke Empfindung, welcher Art immer, hervorruft.«15 – »Wer zweifelt denn an dieser Wahrheit?« fragte Severino, »war es der Mühe wert, deshalb Jérome zu unterbrechen?« – Der Erzähler fuhr fort: »Niemand war davon mehr überzeugt als Chrysostomus; niemand bewies dies häufiger und besser durch die Tat.« Frosine starb unter entsetzlichen Qualen, mit Bonifacios Glied im Hintern, das des Chrysostomus in der Scheide, das meine in ihrer Achselhöhle. Doch war dies nicht das einzige Opfer, das wir in dieser Weise umbrachten. Wir trieben es so arg, daß wir bis sechs auf einmal auf diese Weise töteten; drei wanden sich vor unseren Blicken, während wir je eine im Mund, in der Scham, im Hintern bearbeiteten. Nach den Mädchen versuchten wir es mit Knaben und unsere wollüstigen Regungen verdoppelten sich.
Unsere Orgien wurden durch philosophische Erörterungen unterbrochen; wir begingen nicht früher eine Schaudertat, bevor wir sie nicht zu rechtfertigen gesucht hatten; keiner verstand sich so gut darauf wie Chrysostomus.
»Es ist recht erstaunlich,« sagte er uns eines Tages, »daß die Menschen närrisch genug sind, um der Moral irgendwelchen Wert beizulegen; ich muß gestehen, daß ich nie begreifen konnte, weshalb sie ihrer bedürfen; die Verderbnis ist nur deshalb gefährlich, weil sie nicht allgemein ist. Man liebt nicht die Nähe eines an einem bösartigen Fieber Erkrankten, weil man die Ansteckung fürchtet; aber ist man einmal selbst davon ergriffen, so fürchtet man nichts mehr. Das Zusammenleben einer ganz von Laster durchseuchten Gesellschaft kann nichts Nachteiliges haben; wenn alle gleicherweise verderbt sind, können sie ohne Gefahr miteinander verkehren. Dann wäre nur die Tugend gefährlich; da sie nicht mehr den Maßstab abgäbe, wäre es schädlich, sie auszuüben. Bloß der Wechsel kann[224] von Nachteil sein; wenn aber alle stets den gleichen Standpunkt beibehalten, kann es keine Gefahren geben. Es ist ganz gleichgiltig, ob man gut oder böse ist, wenn nur alle Welt das eine oder das andere ist; aber wenn die Gesellschaft auf Tugend gestimmt ist, wird es nachteilig, böse zu sein; das Umgekehrte ist der Fall, wenn alle verderbt wären. Wenn aber der Standpunkt ein indifferenter ist, warum sollte man dann fürchten, das eine dem anderen vorzuziehen? Warum sollte man staunen und betrübt sein, daß man sich auf die Seite des Lasters schlägt, sobald alles uns dahin treibt und es im Grunde vollständig gleich ist? Wer kann mir beweisen, daß es besser ist, die anderen zu beglücken als sie zu quälen? Lassen wir einen Augenblick das Vergnügen, das mir das eine oder das andere bereiten könnte, beiseite: ist es durchaus nützlich, wenn die andern glücklich sind? Wenn das aber nicht der Fall ist, weshalb sollte ich mich dann hüten, ihnen Leid anzutun? Es scheint mir, daß es sich bei alledem nur darum handelt, was ich bei dieser oder jener Handlung empfinde; denn da die Natur mir mein eigenes Glück ans Herz gelegt hat, keineswegs aber das der anderen, hätte ich ihr gegenüber nur dann Unrecht, wenn ich es unterlassen hätte, mich ihren Absichten und Zwecken gemäß zu ergötzen. Dasselbe Wesen, das mein Geschmack oder meine Gewalttätigkeit unglücklich gemacht haben, weil es schwächer ist als ich, wird seine Ueberlegenheit gegen einen anderen mißbrauchen, so daß sich alles ausgleicht. Die Katze vernichtet die Maus, wird aber selbst von anderen Tieren gefressen. Nur um dieser Zerstörung willen hat uns die Natur geschaffen. Hüten wir uns also wohl, je der Verderbnis oder Sittenlosigkeit zu widerstreben, wenn unsere Neigungen uns dahin drängen; es ist gar nichts Schlechtes daran, sich ihnen zu überlassen. Aus den Grundsätzen, die ich aufstelle, geht also hervor, daß immer der Zustand der unglücklichste ist, in dem die Sittenverderbung am allgemeinsten verbreitet ist; denn weil das Glück sichtlich im Bösen enthalten ist, wird derjenige, der sich diesem am eifrigsten hingibt, notwendigerweise am glücklichsten sein. Man hat sich arg getäuscht, als man sagte, es gäbe eine Art natürlicher Gerechtigkeit, die dem