Justine oder vom Missgeschick der Tugend - Page 100

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und mußte mich reiben. – »O, mein Vater,« sagte sodann das gutmütige Geschöpf, ohne meine Erregung zu bemerken, »geben Sie mir wenigstens die Absolution?« – »Gott behüte mich davor,« antwortete ich in festem und strengem Tone; »ich werde die Vermittlerrolle, die mir der Himmel zuwies, nicht so schänden; ich kann nicht durch diesen heiligen Segen den Schuldigen dem Guten gleichstellen. Ihn zu fordern, mich drum bitten zu wagen, ist ein neuerlicher Frevel, wegen dessen der Himmel Sie unbedingt strafen wird. Leben Sie wohl, Madame, Ihre Kräfte schwinden, ich merke es; raffen Sie sich auf, um den furchtbaren[230] Augenblick, da Sie vor Gott stehen werden, zu ertragen; ein zweifellos schrecklicher Moment, wenn man den göttlichen Urteilsspruch, der zur Hölle verdammt, vernehmen muß!«

Da fiel die Unglückliche in Ohnmacht; ich aber, trunken vor Geilheit, Frevelmut und Bosheit, schwang mein wütendes Glied und senkte es tief in den Hintern meiner Frommen, die, nur infolge Entkräftung sterbend, sich genug Reize bewahrt hatte, um noch Begierden zu erwecken. Ich muß gestehen, daß ich mich schon seit langem nicht besser entleert hatte. Hierauf verschwand ich, alles Geschmeide, dessen ich habhaft werden konnte, mitnehmend; am gleichen Abend noch erfuhr ich, daß mein armes Beichtkind ihre geängstigte Seele während meines Samenergusses aufgegeben hatte. Das kleine Mädchen schenkte ich dem Kloster und behielt mir nur die Schätze, die ich allem vorzuziehen begann.

Doch empfand ich auf dem Gipfel des Glückes und des Seelenfriedens, dessen sich mein philosophisches Gemüt erfreute, jene innere Unruhe, die eine Geißel unserer Seele und die allzu traurige Beigabe unseres Menschentums ist; gegenüber allen Genüssen gleichgiltig geworden, vermochte mich keiner mehr anzuregen. Ich ersann Schaudertaten und führte sie kaltblütig aus; da ich mir nichts zu versagen brauchte, verwirklichte ich sofort alle meine ausschweifenden Wünsche, so kostspielig sie auch sein mochten. Ich ließ Opfer meiner Geilheit selbst von den Inseln des Archipels herbeibringen; und als meine Emissäre eines Tages mit denen des Großherrn konkurrierten, konnte ich den Triumph erleben, daß die meinigen jene des Sultans aus dem Felde schlugen.

Aber all das tat mir nicht not; ein einfacher Genuß ließ mich nicht die geringste Erregung verspüren; ich brauchte Verbrechen und konnte nicht genug arge ersinnen.

Als ich eines Tages den feuerspeienden Aetna betrachtete, wünschte ich dieser berühmte Vulkan zu sein. »Höllenschlund,« rief ich bei seinem Anblick aus, »wenn ich gleich dir alle Städte ringsum verschlingen könnte, wie viele Tränen ließe ich fließen!« Kaum war mein Ausruf vollendet, als ich neben mir ein Geräusch vernahm; ein Mensch hörte mir zu. »Sie haben da einen merkwürdigen Wunsch,« sagte er zu mir. – »In dem Zustand, in dem ich mich befinde,« erwiderte ich übellaunisch, »hegt man noch ungewöhnlichere.« – »Möglich,« antwortete mir jener; »aber bleiben wir bei dem, den Sie eben ausgesprochen haben, und vernehmen Sie von mir, daß er ausführbar ist. Ich bin Chemiker; ich habe mein Leben mit[231] Naturforschung verbracht, um ihre Geheimnisse zu enthüllen; seit zwanzig Jahren widme ich meine Entdeckungen nur dem Unglück der Menschen. Sie sehen, wie ich spreche; Ihr eigenartiger Wunsch hat mir Vertrauen zu Ihnen eingeflößt; vernehmen Sie denn, daß man die schrecklichen Eruptionen dieses Berges nachahmen kann; wenn Sie wollen, werden wir es gemeinsam versuchen.« – »Mein Herr,« sagte ich dem Manne, indem ich ihn einlud, sich mit mir neben einem Baume niederzulassen, »besprechen wir uns, ich bitte Sie inständigst darum. Ist es wirklich wahr, daß Sie das können?« – »Nichts leichter als das.« – »Und wir können durch die Erhitzung dieses tätigen Vulkans dieselben Wirkungen hervorrufen wie ein Erdbeben?« – »Gewiß.« – »Wir werden Städte zerstören?« – »Wir werden sie zerstören, wir werden die ganze Insel von unterst zu oberst kehren.« – »Tun wir es, mein Herr, tun wir es; ich überhäufe Sie mit Gold, wenn es Ihnen gelingt.« – »Ich verlange nichts von Ihnen,« antwortete mir mein Gefährte, »das Unglück ergötzt mich, und wenn ich mich ihm hingebe, lasse ich mich dafür nicht bezahlen. Ich verkaufe nur Rezepte, die den Menschen. Nutzen bringen, die schädlichen verteile ich umsonst.« – Ich konnte mich an dem Manne nicht sattsehen. – »Welch ein Glück,« rief ich begeistert aus, »Leuten zu begegnen, die gleich Ihnen denken! Und sagen Sie mir, Sie Himmlischer, weshalb tun Sie das Böse? Was empfinden Sie, wenn Sie es ausüben?«

»Hören Sie mich an,« sagte mir Almani (dies der Name des Chemikers), »ich will Ihre beiden Fragen beantworten. Der Beweggrund, der mich zum Bösen treibt, ist meinem tiefen Eindringen in das Wesen der Natur entsprungen. Je mehr ich ihr Geheimnisse zu entreißen versuchte, desto mehr fand ich, daß sie sich nur mit dem den Menschen Schädlichen befaßt. Folgen Sie ihr bei all ihrem Tun: Sie werden sie stets gefräßig, zerstörend und boshaft, stets inkonsequent, widerspruchsvoll und verwüstend finden.

Blicken Sie einen Augenblick lang auf die Unzahl von Leiden, die ihre höllische Hand über die Welt ergehen läßt. Welchen Zweck hat es denn gehabt, uns zu erschaffen und so unglücklich zu machen? Warum geht unsere traurige Person sowie alles, was sie geschaffen hat, so unvollkommen aus ihrer Werkstätte hervor? Muß man nicht sagen, daß ihre mörderische Kunst nur Opfer habe schaffen wollen, daß das Böse ihr einziges Element sei und daß sie die schöpferische Kraft nur dazu benütze, die Erde mit Blut, Tränen und Trauer zu bedecken? Daß sie ihre Energie nur dazu brauche, um ihre Geißeln zu schwingen?[232] Einer Ihrer modernen Philosophen nannte sich den Liebhaber der Natur; nun gut, ich, mein Freund, erkläre mich als ihren Henker. Lernen Sie sie kennen, ergründen Sie sie, diese grausame Natur, Sie werden sie nur deshalb schöpfen sehen, um zu zerstören; nur durch Morde gelangt sie zu ihren Zielen und wird gleich dem Minotaurus nur durch das Unglück und die Zerstörung des Menschen fett. Welche Achtung, welche Liebe können Sie denn für eine solche Kraft hegen, deren Wirkungen stets gegen Sie gerichtet sind? Sehen Sie sie jemals ein Geschenk machen, das nicht von schwerem Leid begleitet wäre? Wenn sie Ihnen zwölf Stunden lang leuchtet, stürzt sie Sie zwölf andere Stunden in Finsternis. Läßt sie Sie die Freuden des Sommers genießen, so zerstört sie diese durch die Schrecken des Gewitters;

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Veröffentlicht / Quelle: 
Marquis de Sade: Die Geschichte der Justine. 1906
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