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Wir vermehrten die Zahl jener derart, daß die ganze Insel so furchtbar erschüttert wurde, wie noch nie seit Jahrhunderten.
Zehntausend Häuser stürzten in Messina ein; fünf öffentliche Gebäude wurden zerstört, fünfundzwanzigtausend Seelen fielen unserer grenzenlosen Bosheit zum Opfer. »Mein Lieber,« sagte ich zu dem Chemiker nach Beendigung unseres Experimentes, »es ist das Sicherste auseinanderzugehen, nachdem man so viel Böses zusammen begangen hat; nimm diese fünfzigtausend Francs und sprechen wir nie voneinander.« – »Stillschweigen will ich versprechen,« sagte Almani, »das Geld weise ich zurück. Erinnern Sie sich nicht, wie ich sagte, ich wolle mich nie für böse Taten bezahlen lassen? Hätte ich Ihnen Gutes erwiesen, dann würde ich eine Belohnung annehmen; aber[235] ich habe nur Böses verübt, das mir Freude bereitet hat; wir sind quitt. Adieu.«
Mein Ueberdruß gegenüber Sizilien verdoppelte sich nach diesem schrecklichen Ereignis; da ich fühlte, daß nichts auf der Welt mich fürderhin an dieses Land fesseln könnte, verkaufte ich mein Gut, nachdem ich alle Mitglieder meines Serails und auch Clementia, trotz ihrer außerordentlichen Anhänglichkeit an mich, umgebracht hatte. Bestürzt über meine Barbarei und Undankbarkeit, erstaunt darüber, daß ich ihr noch ärgere Qualen vorbehielt als den anderen, wagte sie es, mir Vorwürfe zu machen. »O Clementia,« sagte ich ihr, »wie schlecht kennst du die Seele eines Wüstlings gleich mir, da du dir über das Los, das ich dir bestimmte, nicht klar warst! Weißt du denn nicht, daß die Dankbarkeit, von der du meine Seele erfüllt glaubtest, nur dazu gut ist, um mit Frevel zu lohnen? Wenn ich dich schlachtend irgendwelche Regung oder Gewissensbiße empfinde, so nur deshalb, weil ich dich nicht genug martern kann.« Sie starb vor meinen Augen, während ich heftig entlud.
Ich schiffte mich nach Afrika ein mit dem Plane, mich mit den Kannibalen dieser schrecklichen Gegenden zu verbinden, um womöglich noch tausendmal wilder zu werden wie sie.
Aber diesmal wollte der Unbestand des Geschickes mir die Kehrseite zeigen und mich überzeugen, daß, wenn es auch fast immer die Frevel begünstigt, dennoch die Henker ihrerseits zum Opfer fallen müssen, wenn neue Verfolger auftreten ... Doch beweist diese Wahrheit nichts für die Tugend, da man diese in meiner Erzählung stets in Nöten sieht; aber das soll uns nur lehren, daß der Mensch infolge seiner Schwäche ein Spielball aller Launen des Geschickes, diesen, wenn er vernünftig ist, nur Geduld und Mut entgegensetzen soll.
Ich hatte mich in Palermo auf einem kleinen, leichten Fahrzeug eingeschifft, daß ich nur für mich gemietet hatte. Kaum befanden wir uns auf der Höhe der Klippen von Quels, als wir die Küsten Afrikas sichteten. Als wir dort anlangten, griff uns ein barbarisches Korsarenschiff an und nahm unseres ohne Widerstand. In einem Augenblick sah ich mich, meine Freunde, meines Vermögens und meiner Freiheit beraubt; ich verlor in einer Minute die kostbarsten Güter des Menschen. »Ach!« sagte ich zu mir, als ich gefesselt war, »wenn dieses auf schlechtem Wege erworbene Geld in bessere Hände fiele, dann würde ich vielleicht an die Gerechtigkeit des Schicksals glauben; aber ist es in besseren Händen bei solchen Frevlern, die in diesen Küstenstrichen nur deshalb kreuzen,[236] um das Serail des Beis von Tunis zu bevölkern? Ist es bei ihnen besser aufgehoben als bei mir, der es auch zur Bildung von Serails benutzte? Wo ist denn also diese edle Gerechtigkeit des Geschickes? Geduld! es handelt sich nur um eine seiner Launen: diese vernichtet mich heute, eine andere erhöht mich morgen wieder.«
In wenigen Stunden kamen wir in Tunis an. Mein Kapitän stellte mich dem Bei vor, der seinem Bostangi Befehle gab, mich sogleich bei Gartenarbeiten zu verenden; mein Geld wurde eingezogen. Ich wollte einige Einwendungen erheben; da warf man mir vor, ich sei Priester eines in den Augen Mohammeds verfehmten Glaubens, weshalb man mir niemals dieses Gut rückerstatten werde. Ich mußte schweigen und arbeiten. Da ich kaum zweiunddreißig Jahre zählte, war ich wenigstens in meiner Vollkraft; obgleich entnervt durch meine Ausschweifungen, fühlte ich doch alle nötige Energie in mir, mein Geschick geduldig zu tragen. Schlecht genährt, auf schlechtem Lager, viel arbeitend, empfand ich keinen moralischen Katzenjammer, wenn ich auch physische Mißstimmung verspürte; im Geiste empfand ich immer noch die gleiche Geilheit und Bosheit.17 Manchmal betrachtete ich die Mauern des Serails, unter dem ich arbeitete, und sagte mir: »O Jérome! auch du hast ein Serail gehabt und köstliche Opfer, die es bevölkerten; jetzt aber mußt du aus eigener Schuld denen dienen, mit denen du rivalisiert hast.«
Eines Abends, da ich mich diesen traurigen Gedanken hingab, sah ich ein Briefchen zu meinen Füßen fallen; ich beeile mich, es aufzuraffen. Gott! wie war ich erstaunt, da ich Josephinens Schrift und Namen erkannte, der Unglücklichen, die ich in Berlin in der Gewißheit verkauft hatte, sie würde das Opfer eines Lustmordes werden.
»Es ist köstlich, Böses mit Gutem zu vergelten,« schrieb mir Josephine in diesem Briefchen, »Sie glaubten, ich sei der Wut eines Frevlers zum Opfer gefallen; Sie haben mich zu diesem Zwecke ihm ausgeliefert; doch hat mich mein Stern vor dem schauerlichen Los, das Sie mir bestimmt haben, geschützt. Wenn ich mich aber wahrhaft glücklich schätze, so deshalb, daß ich imstande bin, Ihre Ketten zu zerbrechen. Morgen werden Sie zur gleichen Stunde als Zeichen meiner unabänderlichen Gesinnung eine Börse mit 300 venetianischen Zechinen und das Bildnis derer, die Sie ehemals[237] liebten, erhalten ... Ein Brief wird dabei sein; er wird Ihnen den Weg zu unser beider Rettung zeigen. Adieu, Scheusal ... das ich wider meinen Willen lieben muß; wenn du mir schon nicht Dank erweist, so achte wenigstens die, welche an dir nur durch Wohltun Rache übt.
Josephine.«
Unbegreifliche Wirkung des abscheulichsten Charakters! meine erste Regung war die der Verzweiflung über das Entwischen eines meiner Opfer; meine zweite war die des Aergers darüber, jemandem einen Dienst zu verdanken, den ich stets nur beherrschen hatte wollen. »Tut nichts,« sagte ich mir, »nehmen wir es an; die Hauptsache ist, sich von hier zu retten. Sie wird schon merken, wenn ich ihrer nicht mehr bedarf, welches in einem Herzen wie dem meinigen die Wirkungen der Dankbarkeit sind.«
Das zweite Briefchen, das Geld, das Bildnis, alles kam zur angesetzten Stunde. Ich küßte das Geld, spuckte auf das Porträt und las hastig