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dauerte ungefähr zwanzig Minuten, bis die Vorspeise aufgegessen war und der Kellner die Bestellung der Hauptspeise in Empfang nehmen wollte. Doch dieses Mal warteten sie mit dem Bestellen, bis nun alle am Tisch sitzen würden. Nach weiteren zehn Minuten hörte man von draußen eine Stimme ertönen, die Sophie unverkennbar aus Hunderten wiedererkennen konnte. Dieses hochfrequente Gezeter hatte Sophie selbst Stunden nach der Arbeit noch im Ohr, was für ihren ruhigen Feierabend natürlich alles andere als erholsam war. Es schien, als würde sich Simone draußen mit jemanden streiten, doch worüber der Streit ging, konnte man von drinnen nicht verstehen. Da es wohl noch länger zu dauern schien, bis sich Simone wieder beruhigt hätte, beschloss Sophie sich auf der Toilette noch einmal frisch zu machen. Dazu hatte sie immer einen kleinen Schminkspiegel dabei, um jederzeit ihr Aussehen unbemerkt auf der Toilette überprüfen zu können. So musste sie nicht am Waschbecken den großen Spiegel benutzen, wo sie jeder gleich gesehen hätte, wenn sie ihr Make-Up korrigieren wollte. Sophie wollte die Peinlichkeit vermeiden, dass Simone sie dabei in flagranti erwischt, was gewiss mit einer abfälligen Bemerkung verbunden gewesen wäre. Während Sophie nun auf dem herabgelassenen Toilettensitz Platz genommen hatte und ihre Handtasche durchwühlte, um den Handspiegel hervorzuholen und einen Blick hinein zu werfen, erschreckte sie, als sie ihre geschwollen Augen sah. Blutrote Äderchen durchzogen ihre weiße Augenhaut, was durch Mascara und dick aufgetragenen Lidstrich besonders stark zur Geltung kam. Schnell breitete sich in ihr Nervosität aus, die ihr das Atmen erschwerte.
"Jetzt bloß keine Panikattacke! Beruhig dich! Das kriegen wir schon hin",
sprach sie sich wiederholt mit verlangsamter Stimme vor. Sophie hatte zwar Unmengen an Kosmetik in ihrer Tasche, jedoch nichts, was sie zum Abschminken hätte verwenden können. So versuchte sie hektisch das Make-Up zu entfernen, indem sie mit Spucke befeuchtetes Toilettenpapier mehrfach über ihre Augen wischte. Doch sie verschmierte es dadurch lediglich und ihre dicken Tränensäcke wurden nur noch stärker betont. Vorsichtig öffnete Sophie anschließend die Tür und warf einen Blick durch den Spalt in den Waschraum, um sich zu vergewissern, alleine zu sein. Da sie keinen sehen konnte, nutzte sie die Gelegenheit, um sich am Waschbecken mit Wasser und Seife das Gesicht auszuwaschen und als der letzte Rest an Schminke entfernt war, musste sie feststellen, dass kein Handtuch oder Papier vorhanden war, mit dem sie sich abtrocknen hätte können. Nur ein Handgebläse hing an der Wand, unter welches Sophie aus ihrer puren Verzweiflung heraus versuchte, das Gesicht zu klemmen. Der Lärm, den das Gerät dabei produzierte, überdeckte selbst das laute Quietschen der Tür zur Damentoilette, die sich gerade öffnete. Sophie bemerkte zunächst nicht, dass jemand den Raum betreten hatte und als sie ein weiteres Mal den Anschaltknopf des Gebläses betätigen wollte, sah sie aus ihrem Augenwinkel heraus einen Schatten, der sich neben ihr aufbaute. Erschreckt richtete sich Sophie auf und stoß dabei kräftig mit ihrer Stirn an das Metallgehäuse des Handtrockners.
"Geht es Ihnen gut?",
fragte sie eine ältere Dame, die neben Sophie stand und dabei zusah, wie sie sich schmerzverzerrt an den Kopf fasste.
"Mehr oder weniger.",
ächzte Sophie und eilte ohne sich noch einmal umzudrehen und mit vor Scham gerötetem Gesicht aus der Damentoilette. Vor der Tür begann der Schmerz noch heftiger in ihrem Kopf zu pochen und ein breiter roter Streifen zeichnete sich deutlich auf ihrer Stirn ab.
"Der Abend läuft ja wie geschmiert.",
fluchte sie und während sie noch nach einem Taschentuch kramte, um sich ihr nasses Gesicht abzutrocknen, hörte sie hinter sich eine tiefe Stimme ertönen:
"Entschuldigung. Ist das die Schlange für begossene Pudel?"
Sophie dachte zunächst, dass sie sich verhört hätte. Doch als der Mann hinter ihr erneut fragte:
"Entschuldigen Sie?",
drehte sie sich letztlich doch zu ihm um und sah, dass er von Kopf bis Fuß komplett durchnässt war. Ihre Blicke trafen sich und für einen kurzen Moment erstarrte Sophie regungslos. Ihr stand das Abbild eines Mannes gegenüber, so dachte sie, den Gott nicht besser hätte zeichnen können und obwohl sie eigentlich vor Peinlichkeit am liebsten im Erdboden versunken wäre, vergingen einige Sekunden, in denen sie sich von seinen stahlblauen Augen und dem blonden nassen Haar, von dem einzelne Strähnen an seiner Stirn klebten, wie gefesselt fühlte. Sophie spürte, wie sich langsam ein Kloß in ihrem Hals bildete, den sie ein paar Mal erfolglos runter zu würgen versuchte. Hitze durchströmte Sophies elektrisierten Körper und erneut fragte sie der Schönling mit maskuliner Stimme:
"Sie hatten wohl auch den Schirm vergessen?"
"Äh. Was? Nein. Wieso?",
stammelte Sophie, die noch keine passenden Worte finden konnte. Sein wunderschönes Gesicht hatte sie sprachlos gemacht und sein Anblick hielt Sophie immer noch in dessen Bann gefangen. Es durchdrang sie eine enorme Energie, sodass ihr der Moment wie eine Ewigkeit erschien und da ihr noch Wasser über das Kinn zu Boden tropfte, reichte der Fremde ihr ein Taschentuch. Sophie sah, wie seine Hand ihr entgegenkam und sagte:
"Danke. Hier drinnen ist das Wetter auch nicht besser."
Der Mann begann daraufhin plötzlich loszulachen, worauf sich die Anspannung in Sophies Körper löste und sie ebenfalls mitlachen musste. Ihr war in diesem Moment gar nicht bewusst, wie unangenehm ihr diese Situation doch erschien, so konnte Sophie ihren ganzen Mut zusammennehmen, um sich nochmals für das Taschentuch zu bedanken, ehe sie sich von ihm verabschieden würde. Da sie dachte, nicht den Hauch einer Chance bei so einem attraktiven Mann zu haben, hätte sie auch nicht damit gerechnet ihn jemals wiederzusehen.
"Also vielen Dank nochmal."
und Sophie reichte ihm die Hand, worauf er mit kraftvollem Handschlag erwiderte:
"Gern geschehen. Hat mich gefreut."
Noch völlig in Gedanken versunken und mit einem breiten Grinsen im Gesicht, ging Sophie wieder zu ihrem Tisch zurück, wo Simone bereits mit einer abfälligen Bemerkung auf sie wartete:
"Bist du ins Klo gefallen?",
fragte sie lachend, während sich alle Blicke auf Sophie richteten. Sie hatte ganz vergessen, sich ihr Gesicht mit dem Taschentuch abzutrocknen, das ihr der Unbekannte gegeben hatte und gerade als Simone eine weitere Beleidigung formulieren wollte, tauchte Jacob auf. Sophie hob den Kopf, der ihr immer noch vom Zwischenfall auf der Toilette schmerzte und plötzlich verschlug es ihr erneut die Sprache. Es war derselbe Mann, der ihr
Leseprobe aus: Schwarzes Kolorit