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Zug davon nehmen und mir erzählen, was denn überhaupt passiert ist!“
Ihre Entschlossenheit verwunderte Dr. Kollwitz sichtlich. So ein selbstsicheres Auftreten war er von seiner Angestellten bis jetzt noch nicht gewohnt. Sichtlich beeindruckt von diesem Befehlston, begann er zunächst tief ein- und auszuatmen. Anschließend nahm er zwei Hübe aus dem Salbutamol-Spray, das er stets in seiner Manteltasche bei sich trug. Kurz darauf kam er auch schon schnell wieder zu Atem. Doch der Schrecken in seinem bleichem Gesicht blieb an ihm haften, was Sophie beängstigte. Während sie ihm daraufhin den Schlüssel zurückgegeben hatte, sagte er:
„Die Polizei hat mich vor wenigen Minuten angerufen. Ich soll gleich bei ihnen vorbei kommen. Dich wollen sie auch sprechen.“
Noch nie hatte Dr. Kollwitz Sophie zuvor geduzt, was sie in diesem Moment jedoch nicht realisiert hatte. Ihre Gedanken drehten sich nur noch um Katherine. Sie befürchtete das Schlimmste und auch wenn sie es am liebsten gar nicht hören wollte, fragte sie vorsichtig:
„Ist was mit Katherine?“
„Anscheinend!“,
antwortete er kurz, denn erneut stockte ihm für einen Moment der Atem. Auch Sophie fühlte, wie Panik sich in ihr ausbreitete und langsam schnürte sich ihre Kehle zu. Ohne auch nur ein weiteres Wort verloren zu haben, drängelten sie sich mit überhöhter Geschwindigkeit durch den morgendlichen Berufsverkehr. Bis sie nach einer gefühlten Ewigkeit die Polizeistation erreichten. Dort erwartete die Beiden bereits ein Beamter, der an der Eingangspforte sie in Empfang nahm. Er bat sie gleich mit in sein Büro zu kommen, indem ein weiterer Polizist stand und sich bei ihnen vorzustellen begann:
„Guten Morgen. Ich bin Kriminalinspektor Klein und mein Kollege Kommissar Mallich.“
Dr. Kollwitz, der sich mittlerweile wieder emotional etwas festigen konnte, übernahm das Reden:
„Guten Tag meine Herren. Mein Name ist Robert Kollwitz, praktizierender Zahnarzt in eigener Praxis. Neben mir meine Angestellte Frau Basdeki. Sie haben mich wegen Frau Heine kontaktiert?“
Er schilderte den beiden Polizisten, in welchem Verhältnis er zu Katherine stand. Währenddessen blieb Sophie paralysiert stehen und starrte an die holzverkleidete Wand, die sich hinter dem großen Schreibtisch drückend über den gesamten Raum zu legen schien. Vor Anspannung schmerzten ihr sämtliche Muskeln im Körper. Ihr Kiefer drückte sie dabei so fest zusammen, dass ihre Zähne zu knirschen begannen. Alles was sich um sie herum abspielte, drang nur wie in dicke Watte verpackt zu ihrem Bewusstsein hindurch. Nur in Bruchstücken konnte sie ihre Umgebung wahrnehmen und wie durch einen Filter, der alle Stimmen zu einem einheitlichen Brei komprimierte, hörte sie noch, wie jemand mit ihr zu sprechen versuchte:
„…Frau Basdeki! Geht es Ihnen gut?“
Sophie blickte zu der Stimme hinüber, doch ohne ihr zu antworten.
„Haben Sie verstanden, was ich gerade gesagt habe, Frau Basdeki?“,
versuchte Herr Klein bei Sophie nachzufragen. Als er wieder keine Antwort von ihr bekam, stand er auf und fasste nach ihrem Arm. Er führte sie vorsichtig zu einem alten Polstersessel in der Ecke des Raums und allmählich begann Sophie zu registrieren, was sich gerade abzuspielen schien. Erneut begann der Kriminalpolizist zu fragen:
„Können Sie wiederholen, was ich Ihnen über Frau Heine gesagt habe?“
„Katherine? Was ist mit ihr?“,
stammelte Sophie, während ihre Augen langsam gläsern wurden. Mit gedämmter Stimme versuchte der Kriminalpolizist ihr zu erklären:
„Frau Heine wurde heute früh tot aufgefunden. Anscheinend hätte man sie erdrosselt. Aber Konkretes wissen wir bis jetzt noch nicht. Es tut mir schrecklich leid, Frau Basdeki. Wir konnten nichts mehr für sie tun.“
Als seine Worte Sophies Bewusstsein erreichten, liefen Tränen über ihre Wangen. Ihr gesamter Körper verlor auf einen Schlag jegliche Anspannung, die sich zuvor in ihm aufgebaut hatte und wie in Treibsand versank sie dabei im Sessel. Herr Klein konnte nur noch mit ansehen, wie Sophie innerhalb weniger Sekunden völlig in sich zusammensackte und laut zu weinen begann. Hilflos wirkend versuchte er nachzufragen, ob sie sich hinlegen wolle oder psychologische Betreuung benötige. Doch jegliche Kontaktaufnahme zu ihr scheiterte. Sophie fühlte sich wie in einen ihrer zahllosen Träume gefangen, die einem farblosen Gefängnis glichen und nur der Tod sie erwachen hätte lassen können. Die Polizisten beschlossen, dass es besser wäre, sie auf die Couch im Aufenthaltsraum zu legen. Während Inspektor Klein mit Dr. Kollwitz zurück in das Büro ging, um weitere Fragen abzuklären, blieb Kommissar Mallich stillschweigend an ihrer Seite und wartete, bis Sophie aus diesem Alptraum erwachen würde, der nun zu ihrer Realität geworden war.
8
Der Bodenfrost reichte an diesen Tagen mehr als dreißig Zentimeter tief. Die Friedhofsverwaltung der Stadt beschloss, die gefrorene Erde mit einem Feuer aufzutauen, das einen ganzen Tag lang brennen musste, damit am nächsten Morgen der Bagger das Grab ausheben konnte. Dazu legten Arbeiter Hohlblocksteine in Form einer rechteckigen Fläche auf den vereisten Boden und entfachten mit Braunkohle und trockenem Holz ein Feuer, das sie im Anschluss mit einer dicken Stahlplatte abgedeckt hatten. Um das Glutbett möglichst lange brennen lassen zu können, schützten sie es mit einer Plane, die sie über das Grab gespannt hatten. Sophie beobachtete indes das rege Treiben am Friedhof aus nächster Nähe. Sie war froh, dass Katherines Leichnam nun endlich Frieden finden könnte. Viel zu lange hatte es ihrer Meinung nach gedauert, bis die Rechtsmediziner mit der Obduktion fertig waren. Das Erdrosseln konnte zwar als Todesursache bestätigt werden, doch die Frage nach dem Täter blieb weiterhin offen und obwohl sich die Staatsanwaltschaft eifrig darum bemühte, den Mörder ausfindig zu machen, waren alle bisherigen Bemühungen erfolglos. Sophies Gedanken drehten sich dabei einzig und alleine um die Suche nach einer Begründung für Katherines Tod. Es ergab für sie einfach keinen Sinn, weshalb eine Frau wie sie unter solch qualvollen Umständen sterben hat müssen. Weder Geld noch sexueller Übergriff konnten als Motiv festgestellt werden und so verzweifelte Sophie regelrecht an ihrer Ungewissheit. Den Verlust machte es umso schmerzhafter, denn mit Katherine starb auch der letzte Halt in Sophies Leben, der sie in Zeiten größten Selbstzweifels noch an das Gute glauben ließ. Dr. Kollwitz war inzwischen vergebens bemüht, Kontakt zu Sophie aufzunehmen. Sie wollte in dieser Zeit aber möglichst wenig Menschen um sich haben, sodass das Polizeirevier und ihre Wohnung die einzigen Orte wurden, an denen sie noch zu leben schien. Immer wieder wurde sie vom Staatsanwalt zu Katherine, ihrem
Leseprobe aus: Schwarzes Kolorit