Schwarzes Kolorit (Leseprobe: Kapitel 1) - Page 6

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kleinen beruflichen Liaison abgefunden, die nie ihr Privatleben erreichen konnte. Was Sophie sehr schade fand, da sie wohl um einiges glücklicher miteinander gewesen wären, als es zu Lebzeiten Sophies Eltern waren. Der Tag verging und viele Patienten waren über die langen Wartezeiten sehr verärgert, doch von Katherine war selbst gegen 16:00 Uhr noch nichts zu hören. Dr. Kollwitz beschloss, nach dem Ende seiner Sprechstunde bei ihr Zuhause vorbeizufahren. Er wollte nachsehen, ob mit ihr alles in Ordnung wäre. Man konnte deutlich bemerken, dass er sich Sorgen machte, denn normalerweise war Dr. Kollwitz ein Arzt, der sich stets viel Zeit für seine Patienten und deren Fragen nahm. Nur an diesem Tag schien er mit seinen Gedanken ganz wo anders zu sein und auch Sophie konnte kaum all ihre Aufgaben alleine bewältigen. Ständig läutete das Telefon, waren Patienten für die Behandlung vorzubereiten, Termine auszumachen oder Schreibkram zu erledigen. Sie waren froh, als dann der letzte Patient die Praxis verließ und nur noch der Anrufbeantworter für eingehende Telefonate zu Verfügung stand. Zwar wäre Sophie noch gerne mit Dr. Kollwitz zusammen zu Katherine gefahren, doch wollte er, dass sie sich gleich zuhause etwas ausruhe. Schließlich wusste er, welchen Stress sie tagsüber gehabt hätte. Auf Sophies Bitte würde er sich jedoch noch bei ihr melden, wenn er Näheres über Katherine erfahren konnte. So verabschiedeten sich beide und brachen in unterschiedliche Richtungen auf.
5
Nervös ging Sophie in ihrem Zimmer auf und ab und wartete, bis endlich Dr. Kollwitz anrufen würde. Obwohl sie sich vor einem halben Jahr das Rauchen abgewöhnte, verspürte sie den starken Drang nach einer Zigarette. Sie war sich sicher, dass es das nicht wert gewesen wäre, doch in diesem Moment war ihr das ziemlich egal. Als sie gerade aufbrechen und sich ihre Schuhe anziehen wollte, um am Kiosk auf der anderen Straßenseite eine Packung ihrer alten Lieblingsmarke zu kaufen, klingelte das Telefon. Angespannt und mit zittriger Hand nahm Sophie den Hörer ab und stöhnte ein kurzes:
„Hallo?“
hinein. Eine weibliche Stimme am anderen Ende des Apparats erwiderte im Echo:
„Hallo?“
Sophie war etwas irritiert. So fragte sie erneut:
„Hallo? Katherine, bist du es?“
„Hier ist Mama!“
und Sophies Anspannung wich schlagartig dem Frust, der sich mit den Worten:
„Was willst du denn? Ich hab jetzt keine Zeit!“
bemerkbar machte. Völlig unerwartet erwiderte ihre Mutter mit verständnisvoll klingender Stimme:
„Ok, das verstehe ich. Soll ich dich vielleicht später nochmal anrufen? Ich wollte dir aber was Wichtiges mitteilen.“
„Ja, ruf ‘später an. Oder nein, ich ruf ‘dich an!“,
versuchte Sophie ihre Mutter abzuwimmeln, um die Leitung gleich wieder frei zu bekommen.
„Na schön, aber bitte vergiss nicht zurückzurufen! Du sollst nämlich wissen, wie Besonders du bist!“,
redete sie ihr nochmal ins Gewissen, in der Hoffnung, ihre Tochter würde sich auch daran halten. Der letzte Satz überraschte Sophie dann schon etwas. Soweit sie sich zurückerinnern konnte, hätte ihre Mutter sie noch nie als etwas Besonderes bezeichnet. Wenn überhaupt, so empfand sie sich in Gegenwart ihrer Eltern eher als lästige Belastung. Zwar hätte Sophie gerne gewusst, was ihre Mutter damit meinte, nur wollte sie sicher nicht mehr zurückrufen, wenn sie bis dahin noch nicht sicher gehen konnte, dass es Katherine auch gut geht. Eine positive Sache hatte der Anruf ihrer Mutter dann doch, denn das Verlangen sich eine Zigarette anzuzünden, löste sich bei dem Gedanken an die Vorstellung, eine Nachricht von Katherine verpassen zu können, in Rauch auf. Sophie zog den Stiefel wieder aus, in den sie bereits mit einem Fuß hineingestiegen war und legte sich mit dem Telefon in der Hand ins Bett. Einige Stunden vergingen und immer wieder blickte sie auf die laut tickende Uhr über ihrer Badezimmertür. Sie fand es seltsam, dass Dr. Kollwitz sich bei ihr noch nicht gemeldet hatte. Sophie versuchte sich selbst durch die Überzeugung zu beruhigen, dass das ein gutes Zeichen war, denn wenn etwas Schlimmeres passiert wäre, hätte sie wohl früher davon erfahren. Kurze Zeit später spielte sie dann mit dem Gedanken, ihre Mutter zurückzurufen. Sophie hoffte, der Anruf könnte sie vielleicht daran hindern, ständig an ihren Fingernägeln kauen oder sich einzelne Haare ausrupfen zu müssen. Über die Jahre hatten sich bei ihr einige Ticks entwickelt. Obwohl sie auf jeden einzelnen am liebsten verzichtet hätte, gaben sie ihr jedoch eine Möglichkeit, den inneren Druck, der sich häufig bei ihr aufbaute, besser ablassen zu können. Für sie bedeuteten diese Gewohnheiten eine Art Ventil und je mehr sie davon hatte, desto sicherer fühlte sie sich. Fingernägelkauen oder Haarezupfen waren dabei noch die Harmlosesten von allen. Damit konnte sie zwar nicht ihre Angstzustände oder Panikattacken kurieren, doch gaben sie ihr zumindest eine Möglichkeit, ähnlich wie bei einem Blitzableiter, überschüssige Energie aus ihren Körper nach außen abzuleiten. Seit dem sie sich mit Katherine privat zu treffen begann und sich zu ihr eine gute Freundschaft entwickelte, hatte Sophie endlich einen Menschen gefunden, dem sie auch ihre Ticks anvertrauten konnte. Katherine wusste als Einzige auch, dass Sophies Arme von etlichen Narben übersät waren, die sie sich früher selbst mit einem Messer oder den Fingernägeln zufügte. Niemand sonst wusste davon, nicht mal ihre Eltern. Für Sophie wurde Katherine der wichtigste Mittelpunkt in ihrem Leben. Dank ihr konnte sie es sogar schaffen, mit dem Selbstverstümmeln und Rauchen aufzuhören. So wurden mit der Zeit die Sorgen um Katherine nicht weniger und auch wenn sie es eigentlich vermeiden wollte, selbst bei ihr anzurufen, haderte sie mit dem Gedanken. Sie versuchte sich nicht ständig von ihren Ängsten leiten lassen, wozu ihr sogar auch Katherine immer geraten hat. Letzten Endes scheiterte ihr Vorhaben dann sowieso am Stress, den sie tagsüber hatte. Denn Sophie schlief ohne jegliche Vorahnung erschöpft ein und erst kurz nach Mitternacht wachte sie wieder auf. Für einen Anruf wäre es bereits etwas zu spät geworden und so hoffte sie, der nächste Tag würde mehr Gewissheit darüber bringen, was der Grund für Katherines mysteriöses Fehlen gewesen war.
6
Am darauffolgenden Morgen war es noch finster, als Sophie ihre Wohnung verließ. Sie wollte an diesem Tag bereits die erste Straßenbahn nehmen, die Richtung Stadt fuhr. Auch wenn sie nicht wusste, was sie schon eineinhalb Stunden vor Arbeitsbeginn in der Praxis machen

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